Theatertipp

Der Schuss 2-6-1967

Eine Szene aus dem Stück "Der Schuss 2-6-1967" in der Neuköllner Oper.
Eine Szene aus dem Stück "Der Schuss 2-6-1967" in der Neuköllner Oper. Zur Foto-Galerie
Vor 50 Jahren wurde Benno Ohnesorg bei einer Demo gegen den persischen Schah in Charlottenburg von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras erschossen. Im Musiktheater "Der Schuss" an der Neuköllner Oper wird die verhängnisvolle Nacht erlebbar und du kannst Zeitzeuge sein.

Weiße Türen, weiße Wände, weißer Boden: Türen öffnen und schließen sich – plötzlich greift eine Frau zum Megafon und wir werden inmitten der Studentenunruhen am 2. Juni 1967 befördert. Fünf Schauspieler sprechen nun wild durcheinander, ein Gefühl von Unruhe und Aufgebrachtheit macht sich breit. Dann folgt ein Szenenwechsel und der Intendant der Deutschen Oper Berlin (gespielt von Martin Gerke) betritt die Bühne. Genau dort fuhren am besagten 2. Juni der Schah und seine Frau vor, um sich das berühmte Mozart-Stück Die Zauberflöte anzusehen. Wir Zuschauer werden hier und jetzt vom Intendanten mit großen Gesten in diesen heiligen Hallen willkommen geheißen und er beruhigt uns, dass wir vor dem Studentenmob in Sicherheit sind und der sicherlich bald aufgespießt wird.

Diese direkte Ansprache zum Publikum schafft Nähe, doch am liebsten würden wir schreien: „Hey, hier soll niemand aufgespießt werden!“ Aber dann spürt man, dass man zu einem merkwürdigen Innehalten verdammt ist. Wir Zuschauer können nichts tun und wissen bereits, dass diese Nacht, der Schuss des Polizisten Karl-Heinz Kurras und die späteren Vertuschungsversuche der Behörden, eine Welle der Gewalt aulösten. Und auch, dass die Rote Armee Fraktion (RAF) Ohnesorgs Namen und Geschichte für ihre Zwecke ausnutzte.

Im Mittelpunkt steht eine Frau

Das Außergewöhnliche des Musiktheaters von Arash Safaian (Musik) und Bernhard Glocksin (Text) ist allerdings, dass sie als zentrale Figur Christa Ohnesorg ausgesucht haben. Über die Frau des erschossenen Studenten ist kaum etwas bekannt, daher umgeht das Stück als historisch korrekt überprüft zu werden. Allerdings wird die Figur Christa Ohnesorg genutzt, um nicht nur eine besondere Perspektive auf die Geschehnisse zu erhalten, sondern auch dafür, die Zeit und ihre Folgen zu veranschaulichen.

Am Anfang steht das glückliche Hochzeitspaar: Christa und Benno scherzen und freuen sich auf ihre Zukunft. Wenig später trägt Benno ein Transparent für die Demo, Christa schickt er nach Hause, weil sie ein Baby bekommt. Was dann kommt, ist das schier unendliche Warten auf seine Rückkehr. In einer Episode irrt Christa (gespielt von Josephine Lange) durch die Straßen und wird von zwei Männern – die zur Spaßguerilla gehören – bedrängt, dass sie mit ihnen schlafe. Diese Szene kann exemplarisch für die neue Unterdrückung der Frau in der 68er-Bewegung verstanden werden. So gab es Studenten-Sprüche wie: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, was die Abwertung der Frau ganz deutlich unterstreicht. Wer sich weigerte, der gehörte nach Sicht der Bewegung zu den zu bekämpfenden Spießern des Bürgertums.

Christa wird von der Spaßguerilla bedrängt. ©Matthias Heyde

Die herausragende Musik von Arash Safaian (sein Werk Über Bach wird in Konzerten europaweit gespielt) rüttelt auf. Sie verstärkt das Gefühl von Aggression und Panik, das am 2. Juni geherrscht haben muss, und öffnet uns zugleich das Tor zur Gedankenwelt von Christa. Das musikalische Konzept verleiht erzählerische Tiefe und gibt vor allem den Menschen, die die Ereignisse nicht erlebt haben, eine emotionale Verbindung zu diesen Momenten des Wandels.

Kurzum: In Der Schuss 2-6-1967, das von Fabian Gerhardt (Stadtaffe) inszeniert wurde, treffen innovative Erzählperspektive, packende Opernstimmen und Musik sowie Videos mit okkultischen Riten aufeinander und beleben so einen Tag und eine Tat wieder, die nicht vergessen werden dürfen.

Das Stück läuft noch bis zum 8. Juli. Die nächsten Vorstellungen finden ab dem 22. Juni statt. Die Ticketpreise beginnen ab 16 Euro (ermäßigt 9 Euro).

Foto Galerie

Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131, 12043 Berlin

Begeistert noch immer: Die Neuköllner Oper

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