Da hilft auch kein Klopfen. Die Rollläden vom Neuköllner „Laube Shop“ bleiben unten. Der Spätkauf, vor dessen Tür sonst die Stammgäste in der Sonne sitzen, hat an diesem schwülen Sonntag geschlossen. Die ganze Laubestraße liegt still und leer, nur am Polizeirevier direkt gegenüber fährt ein Auto vom Hof.
Ein paar Querstraßen weiter sind die mit Graffiti beschmierten Rollläden eines Spätis am Hermannplatz heruntergelassen, auch in der Sonnenallee, der Panierstraße und der Weserstraße haben viele Spätis geschlossen.
Es ist ein für Berlin ungewöhnliches Bild, das der sonntägliche Spaziergang durch den Norden Neuköllns bietet. Geht es nach dem Gesetz, müsste es aber in ganz Berlin so aussehen. Denn sonntags dürfen nur Läden öffnen, die entweder Touristenbedarf verkaufen oder auch wochentags nur ein begrenztes Warenangebot haben: Blumen, Zeitungen, Backwaren und Milchprodukte.
Weil aber fast alle Läden Tabakprodukte und Alkohol im Sortiment haben, sollten sie eigentlich zubleiben. Dass das in Berlin kaum jemand weiß, liegt daran, dass sich kaum einer der etwa 1000 Spätis daran hält.
In Neukölln finden nun aber verstärkt Kontrollen statt. Sahhüseyin Özer, dem der „Laube Shop“ gehört, macht seit drei Wochen sonntags nicht mehr auf. Er ist schon mehrere Male für das Verkaufen am Sonntag angezählt worden und sollte Strafe zahlen. Özer ist sauer. „Eine meiner Stammkundinnen wollte letzten Sonntag bei mir eine Zeitung kaufen. Sie musste zur Tanke gehen!“
Spätis sind nicht einfach nur Läden
Die Spätis hier im Kiez sind nicht einfach nur Läden. Den Anwohnern sind sie Wohnzimmer, Stammkneipe und Tante-Emma-Laden in einem. So wie der Späti International in der Weserstraße. Wer unter der Woche vorbeikommt, trifft hinter der Kasse auf Mehmet Sevim. Der schmale junge Mann lächelt auf die Frage nach den Sonntagsverkäufen und ruft seine Frau an – „meine Chefin“, wie er sagt – und reicht das Telefon weiter.
Aber trotz des Verbotes aufmachen? Seit die Sevims Anfang des Jahres zum ersten Mal Strafe zahlen mussten, trauen sie sich eigentlich nicht mehr. Schließlich sieht die Polizei an den hochgezogenen Rollläden sofort, wenn der Laden offen ist. Und je öfter man erwischt wird, desto höher wird das Bußgeld – zwischen 250 und 2500 Euro sind möglich. Im Kiez erzählen sie sich von einem, der letztendlich insgesamt 17.000 Euro Strafe zahlen musste. Zwei Spätis im Kiez droht die komplette Schließung. Das Ordnungsamt kann nämlich ein sogenanntes Gewerbeuntersagungsverfahren einleiten, wenn es immer wieder zu Verstößen kommt. Fatma Sevim regt das alles auf. „Wir sind doch nicht in Bayern“, sagt sie. „Da ist am Wochenende alles tot.“
Die Zahlen zeigen: Die Kontrollen haben zugenommen
Besonders eng arbeitet Jurgeit mit Firat Yildiz zusammen, der um Ecke der Wohnung der Sevims seinen Laden hat. Der 28-Jährige freut sich über den Besuch, bietet Kaffee an. Unter den Späti-Besitzern hat sich herumgesprochen, dass eine Reporterin im Kiez unterwegs ist – während der Gesprächs klingelt Yildiz’ Handy zwei Mal. „Ja, sie ist schon da“, sagt er dann. Sie sind gut vernetzt, die Späti-Besitzer hier. Das hilft. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Yildiz. Er hat seinen Laden seit neun Jahren, viele seiner Kunden sind Stammkunden. Wenn die jetzt zu anderen Spätis gehen, tut ihm das weh. Vor zwei Wochen wurde Yildiz am Sonntag erwischt – zum zweiten Mal. „Das wird teuer.“
Anders als in anderen Bezirken werden die Spätis in Neukölln nicht nur kontrolliert, wenn es Beschwerden gibt, sondern auch im Rahmen der normalen Streife. Wird ein Späti sonntags beim Verkaufen erwischt, zieht das Nachkontrollen mit sich, viele Spätis werden öfter angezählt. Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey betont, dass das keiner politischen Linie folge. „Wir haben uns intensivere Kontrollen bei Spätis nicht auf die Fahne geschrieben.“
„Aus meiner Sicht sind die Kontrollen ausreichend“
Trotzdem ist die Situation in anderen Bezirken viel entspannter. In Pankow etwa werden die gut 400 Läden, von denen sich ein Großteil in Prenzlauer Berg befindet, nur kontrolliert, wenn es Beschwerden beim Ordnungsamt gibt. „Aktuell liegen keine Beschwerden vor“, sagt Ordnungsstadtrat Torsten Kühne (CDU). „Eine flächendeckende Überwachung in allen Pankower Verkaufsstellen ist durch das Ordnungsamt Pankow auch nicht ansatzweise zu leisten.“
In Friedrichshain-Kreuzberg kontrollieren die Mitarbeiter ebenfalls nicht ohne konkreten Verdacht, sagt der dortige Ordnungsstadtrat Peter Beckers (SPD). Müsste es mehr sein? „Aus meiner Sicht sind die Kontrollen ausreichend.“ Bislang funktionierte in Berlin dieser Status quo: Das Gesetz bleibt gleich, Kontrollen finden kaum statt, sonntags kann verkauft werden. Doch weil man nun in Neukölln am Status quo rüttelt, werden wieder Forderungen nach einer Gesetzesänderung laut.
Jeden Sonntag Strafe? Lohnt sich trotzdem
Und so finden die Späti-Besitzer ihre eigenen Wege, mit dem Gesetz umzugehen. Manche dunkeln ihren Laden ab, andere reagieren nur auf Klopfen oder ziehen die Rollläden nur halb hoch, um bei Besuch von Polizei oder Ordnungsamt schnell schließen zu können. Ein Späti-Besitzer in der Sonnenallee verrät, dass er jeden Sonntag offen hat und jeden Sonntag Strafe zahlt. Für ihn lohnt sich das Geschäft trotzdem. Wenn die Polizei kommt und ihn zum Schließen auffordert, macht er einfach eine Stunde später wieder auf. Sahhüseyin Özer macht nichts davon. Er hat Angst um seine Gewerbeerlaubnis. Aber wenn er weiter per Gesetz sonntags nicht öffnen kann, wird er seinem Bruder, der im Laden arbeitet, kündigen müssen.
Die Petition von Christina Jurgeit zu den Spätis findest du hier.