Vor einigen Wochen hat ja meine Freundin Maria von ihren Erfahrungen mit einer offenen Beziehung erzählt. Und kam zu dem Schluss: Sex mit anderen – kein Problem, wenn man sich liebt und ehrlich ist. Und die Sexgeschichten wirklich nur Sexgeschichten bleiben und nicht auf emotionaler Ebene in der Beziehung herumgrabbeln. Ähnlich sehen das auch meine Freundin Cathy* und ihr Freund Max*. Und doch ist bei ihnen vieles anders. Grund genug, da mal nachzufragen und ihre Geschichte zu erzählen.
Auch Cathy ist vor ein paar Jahren nach Berlin gezogen, frisch von der Uni in Amsterdam, voller Elan, etwas Neues zu machen. Und, um mit Max zusammen zu sein. Auch die Kennenlern- und Liebesgeschichte klingt ein bisschen sehr nach Berlin-Klischee. Hier die Kurzversion: Beide hatten schwierige bis dramatische Beziehungen hinter sich. Lügen, Betrug, Schmerz. Und hatten so GAR keine Lust auf etwas festes Neues. Locker sollte es sein, alles, bloß kein emotionaler Stress. Beide erkundeten gerade die Berliner Techno- und Sexparty-Szene. Für Cathy, Anfang 20, war das alles noch neu und extrem aufregend, Max war schon ein bisschen erfahrener. Dann trafen sie sich, irgendwann um sechs Uhr morgens, mit verschwitzten Haaren und jeder Menge Alkohol im Blut, redeten, knutschten und verbrachten den Rest des Wochenendes zusammen. Reine Partybekanntschaft, aufregend, anziehend, aber nix auf Dauer, dachten beide. Doch als Cathy wieder in Amsterdam war, wollte sie Max sofort schreiben. Am Tag danach auch. Vier Wochen später besuchte er sie in den Niederlanden. Dann reiste Cathy wieder nach Berlin. Und plötzlich war nichts mehr entspannt und locker, dafür „übertrieben emotional“ und leidenschaftlich, wie Cathy heute sagt.
Erst Partybekanntschaft, dann offene Beziehung
Max hatte mit seiner Ex-Freundin versucht, eine offene Beziehung zu führen und war gescheitert. An Eifersucht und fehlgeleiteter Kommunikation. Vielleicht auch an mangelnden Gefühlen, genau kann er das nicht mehr sagen. Cathy hatte vor Max nur ein paar kürzere Beziehungen geführt, die aber mehr oder weniger monogam. Beide hatten in den letzten Monaten als Singles viele wechselnde Sexpartner gehabt, beide wollten experimentieren, mit Praktiken, den Geschlechtern, den Orten. Und das änderte sich auch nicht, als die beiden entschieden: Wir wollen zusammen sein, als Paar. Es war Max, der vorschlug, man könnte doch weiter experimentieren. Und trotzdem ein Paar sein. Sprich: Eine offene Beziehung führen. Für Cathy stand aber eine Sache fest: „Ich fand die Idee reizvoll, weiter auf Sexparties zu gehen, weiter neue Erfahrungen zu sammeln. Ich habe Max ja auch in diesem Kontext, in diesem State of Mind kennengelernt. Aber ich bin auch sehr eifersüchtig, wenn ich jemanden liebe, was die Sache nicht ganz unkompliziert macht. Deswegen gab es für mich nur eine Option: Wir haben Sex mit anderen, aber nur gemeinsam.“
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Als Cathy ein paar Monate später nach Berlin zog, meldeten sich beide bei diversen Dating-Apps an, suchten nach Singles und anderen Paaren, die Lust auf Dreier, Vierer und „irgendwie auch auf einen Austausch darüber, wie man diese Art der offenen Beziehung leben kann“, hatten. Das klappte. Und machte beiden Spaß. Beide hatten das Gefühl, sich so noch näher zu sein, das Vertrauen in die Beziehung wuchs, die Lust an der Lust trieb sie an, fremde Körpersäfte waren der ganz besondere Kitt, der sie verband. Und vielleicht auch ein wenig erhaben machte über Fragen, die sich manche Paare in monogamen Beziehungen stellten. Langeweile im Bett, mangelnde Lust, das kam bei ihnen nicht vor. Sie gingen auch weiter zusammen auf sexpositive Parties, ins Berghain, ins KitKat, ins Insomnia. Die Regeln waren klar: Wenn der eine jemanden kennenlernt und „was gehen“ soll, wird der Partner mit einbezogen. Keine Ausnahmen.
Doch nach ein paar Monaten wurde klar: Ganz so einfach ist es eben doch nicht. Immer wieder kam es vor, dass Max derart sexuell aufgeladen durch den Club rauschte, dass er Cathy manchmal fast vergaß. Und eben doch schon mit anderen Frauen rumfummelte, während sie noch tanzte. Er war getrieben, in manchen Wochen viel stärker als Cathy, die auch mal einfach zu zweit bleiben wollte. Immer häufiger wurde aus den lustvollen Gesprächen über das nächste Doppeldate eine vorwurfsvolle, teilweise verletzende Diskussion. „Wann gehen wir endlich wieder zusammen aus? Warum lehnst du so viele Frauen ab, die mir gefallen? Warum bist du so schnell eifersüchtig?“, waren Fragen, die Max stellte. „Warum muss es jedes Wochenende sein? Wann bleibt Zeit für uns, unsere eigene Sexualität zu zweit? Warum bist du sauer, wenn ich mal keine Lust habe? Und seit wann schreibst du dieser Frau aus dem Club eigentlich so oft auf WhatsApp?“ waren Fragen, die Cathy hatte.
Offene Beziehung schützt nicht vor Eifersucht
Einmal ging Max alleine feiern. Cathy blieb zu Hause, sie war seit einer Woche erkältet und schlicht erschöpft vom Feiern. Max vögelte mit einer anderen Frau. Nach den Regeln der beiden bedeutete das: Er betrog Cathy. Denn sie war nicht dabei, noch nicht einmal im selben Club. Am nächsten Tag stand er vor Cathys Tür und erzählte ihr alles. Und hoffte auf Verständnis. „Für mich war das ein harter Vertrauensbruch. Wir hatten doch schon so viel Freiheit. Ich habe teilweise ihm zuliebe andere Paare getroffen, auch wenn ich lieber zu zweit geblieben wäre. Wir hatten so oft Sex, haben tolle Menschen kennengelernt. Trotzdem hat ihm das offenbar nicht gereicht.“ Dass Cathy anfing, an der Beziehung zu zweifeln, sogar über Trennung nachdachte, schockte Max. Dass das Thema Sex sie an diese Grenze bringen konnte, hätte er irgendwie nicht gedacht. Bei all der Offenheit, die sie hatten. Und auch Cathy war hin- und hergerissen. Konnte, musste sie ihm diese letzte Freiheit nicht auch noch geben? Wenn sie ihn doch liebte? Warum Regeln aufstellen, wenn man sich doch vertrauen wollte? Bei anderen Paaren, die eine offene Beziehung führten, klappte es ja auch …
Irgendwann kam sie aber zu dem Schluss: „Ich muss gar nichts. Außer, auf meine Gefühle hören. Hätte ich zu allem ja gesagt, wäre ich sehr unglücklich geworden. Das hätte die Beziehung am Ende auch zerstört.“ Cathy blieb also dabei: Klare Regeln – oder Trennung. „Vielleicht klingt das für Außenstehende absurd, dass es für mich einen radikalen Unterschied macht, ob wir zusammen mit anderen schlafen oder getrennt voneinander. Aber für mich ist es ein Unterschied. Zusammen sind wir ein Team, ein Paar, auch im Bett mit anderen. Wir sehen, spüren den anderen. Kommunizieren. Können von der Erfahrung zehren, gemeinsam. Wenn jeder alleine loszieht, bröckelt diese Nähe. Und mein Kopfkino, die Ungewissheit, macht mich wahnsinnig.“
Unterschiede akzeptieren, Druck rausnehmen
Die Beziehung gerettet hat, so glauben beide, vermutlich die Tatsache, dass sie eben nicht nur durch Sex und wilde Nächte zusammengehalten wurde. Die beiden verbrachten gerne Zeit miteinander. Sie unterstützten sich, beruflich, emotional. Sie redeten viel. Sie fanden sich attraktiv, witzig, hatten sich viel zu sagen. Nur die ewige Jagd nach neuen Abenteuern war zum Streitthema geworden. Max wollte Cathy nicht verlieren und gelobte Besserung. Er ging nicht mehr alleine aus. Und versucht, keinen Druck aufzubauen, wenn Cathy mal keine Lust auf Dates hat. „Wir werden in dieser Sache vermutlich nie ganz gleich ticken. Er will manchmal eben mehr als ich. Aber wir wissen, dass wir uns deswegen nicht trennen wollen. Jede Beziehung ist Arbeit. Auch unsere. Wer eine offene Beziehung lebt, wie auch immer sie gestaltet ist, braucht nicht weniger Vertrauen, ist nicht automatisch entspannter als monogame Paare, im Gegenteil.“
Die beiden sind bis heute zusammen und führen einige Diskussionen immer noch. Aber Max rüttelt nicht mehr an den Grundsatzentscheidungen, die beide für ihre offene Beziehung getroffen haben. Und an manchen Wochenenden bleiben beide auch einfach zu Hause. Zu zweit.
Gut, dass ich da mal nachgefragt habe.
Eure Mascha
(*Namen, wie so oft, von der Kolumnistin geändert)