Nach dem Betreten des Kesselhauses sieht man zuerst einmal nichts. Der Raum ist riesig und dunkel wie die Nacht. Langsam werden aber die Silhouetten vieler großer Liegekissen erkennbar. Man kann sich gemütlich hinlegen und das imposante Bild bewundern, das sich auf der großen Leinwand bietet. Es wirkt etwas merkwürdig: Man hat das Gefühl, die Perspektive einer Schnecke einzunehmen, die auf ihrem Haus eine Kamera mitschleppt, um das Stadion herumspaziert und es von allen Ecken und Enden filmt. Und es wird noch spannender: Die Projektion ist kein laienhaft gedrehtes Video, das einfach in Zeitlupe abläuft. Das Stadion ist vielmehr vom belgischen Künstler David Claerbout digital aufwändig nachgebaut worden und stellt seinen eigenen Zerfall in realer Zeit dar.
Das Projekt soll den Alterungsprozess des Stadions veranschaulichen und ihn in den kommenden 1000 Jahren verfolgen. Es ist eine postapokalyptische Dystopie, die Claerbout zeichnet. Die Prämisse: Seit dem 10. September ist das Olympiastadion sich selbst überlassen. Die aktuellen Wetterbedingungen nehmen live Einfluss auf seinen Zustand. Früh am Morgen lächelt die Sonne, spät am Abend dämmert es. Je nach Tageszeit kann man auf der Leinwand den Sonnenuntergang, einen heftigen Regenschauer oder den Einbruch der Nacht erleben. Das Gras wächst, die Säulen werden langsam mit Moos bedeckt und die wilden Pflanzen wuchern immer mehr. Details kann man der zweiten, kleineren Leinwand entnehmen, die ausgewählte Nahaufnahmen zeigt. Doch hier wird es tricky: Um die Veränderungen wirklich bemerken zu können, muss man nach dem ersten Besuch ein zweites Mal kommen, am besten ein paar Wochen oder sogar Monate später. Passend dazu ist der Eintritt frei.
Im Kesselhaus wird immer nur ein künstlerisches Werk präsentiert. Olympia kann man noch bis zum 28. Mai 2017 erleben. Künftig sollen weitere internationale Künstler ihre Werke hier zeigen. Ab dem 22. Oktober sind auch im ehemaligen Maschinenhaus monografische und thematische Ausstellungen zu sehen. Außerdem eröffnen noch ein Café und ein Biergarten. Die alte Kindl-Brauerei hat sich damit endgültig der Kultur zugewandt. Schon 2014 wurde das neue Konzept für das Zentrum der zeitgenössichen Kunst entworfen. Aus der Nachbarschaft hat die Idee seither viel Unterstützung erfahren.