Die antifeministische Krawallschachtel hat abgesagt. Statt der Journalistin Ronja von Rönne sitzt deshalb die Musikerin Balbina auf dem „Spex“-Podium zum Thema Geschlechterrepräsentation im Popgeschäft. Ein Glücksfall für die mitternächtliche Runde am Abschlusstag des Pop-Kultur-Festivals im Berghain. Denn die 32-jährige Berlinerin, die im Frühjahr ihr viel beachtetes Album „Über das Grübeln“ veröffentlichte, spricht sehr anschaulich über ihre Erfahrungen in der Branche und verleiht der von „Spex“-Chefredakteur Torsten Groß moderierten Diskussion immer wieder produktive Impulse. „Ich bin seit 15 Jahren dabei und es war ein ständiger Kampf, von dem ich Hornhaut an den Ellenbogen habe“, sagt sie. Männliche Kollegen, die gleichzeitig gestartet seien, hätten auf ihrem Weg schneller, deutlich mehr Förderung erfahren. Wenn diese sich für ihre kreativen Vorstellungen einsetzten, hieße es immer, sie wüssten ja genau, was sie wollten. „Wenn ich dasselbe tue, gelte ich als schwierig und zickig.“
Frauen hatten Premium-Plätze im Programm
Dass es auch anders geht, haben die drei Tage Pop-Kultur-Festival gezeigt. Hier standen viele (nicht nur weiße) Frauen auf den Bühnen und hatten an allen drei Abenden den Premium-Platz in der größten Halle. Knallvoll ist sie allerdings erstmals am Abschlusstag beim Konzert von Sophie Hunger und ihrer hervorragenden vierköpfigen Band. Mit großer Leichtigkeit schlägt die zwischen Gitarre und Klavier wechselnde Schweizerin einen Bogen von rockigen Stücken wie „Love Is Not The Answer“ über eine Piano-Adaption von „Purple Rain“ und ihrer melancholischen Ballade „Die Ganze Welt“ bis hin zu „Spaghetti mit Spinat“, das in einer langen, umjubelten Jazz-Passage der Band gipfelt.
Ein weiterer Höhepunkt der letzten Festival-Nacht ist der Auftritt von Ebony Bones im heiligen Berghain-Herz. Die Punkrock-sozialisierte Londonerin, die ein neonbuntes Fransenkleid trägt, gibt von der ersten Sekunde an alles, schmeißt sich mit voller Power in eine krawallige Version von „W.A.R.R.I.O.R“, springt ins Publikum, tanzt mit einer Frau, kommt zurück auf die Bühne und feuert ständig die Menge an. Nach einer Weile mischen sich immer mehr Disko-Elemente in den Sound. Kuhglocken-Synkopen vom Drummer, ein funky Lick vom langhaarigen Oben-Ohne-Gitarristen – die neue Single „Oh Promised Land“ kickt sofort ans Tanzbein. So berauschend geht es weiter und man bekommt Lust, die im Oktober erscheinende EP von Ebony Bones zu hören.
Auch die Hoffnung von Senatskanzlei-Leiter Björn Böhning, das Festival könne einmal eine Art „Berlinale der Musik“ werden dürfte utopisch sein. Dafür bräuchte man ein Budget, das es erlaubt, auch ein bisschen Hollywood-Glam zu buchen. Wovon die erste Ausgabe weit entfernt war, richtig große Namen fanden sich nicht im Line-Up. Aber man vermisste sie auch gar nicht, denn es gab ja – um im Berlinale-Bild zu bleiben – ein starkes Panorama- und Forumsprogramm mit ambitioniertem Kunst-Pop-Theater (Bianca Casady & the C.I.A.), intelligentem Pop (Sophie Hunger), vielen überzeugenden Elektronikern (Pantha Du Prince, Cummi Flu) und spannenden Newcomern (Isolation Berlin, Schnipo Schranke). Rote Teppiche sind ohnehin überschätzt.