Unsere Freunde von Berliner Akzente nehmen dich mit auf Stadtführungen, bei denen Berliner mit jeder Menge Herz anderen Berlinern ihre Stadt zeigen. Diesmal veranschaulicht eine Wohnung in Prenzlauer Berg, wie Berliner um 1900 lebten. Rita Falkenbach hat sie uns aufgeschlossen.
Rita Falkenbach öffnet die Tür in eine Welt, die längst Vergangenheit ist. In der Wohnung Dunckerstraße 77, erste Etage rechts, gibt es keine Steckdosen, keine Heizung und keine Spül-Toilette. Alles ist so eingerichtet, wie Menschen im Jahr 1900 in der anderthalb Zimmer-Wohnung tatsächlich lebten. Mit Kohle-Ofen, Bade-Bottich, Bettwärmer und Waschbrett statt Waschmaschine.
Dielen aus der Gründerzeit
Die Tapete mit dem dezenten rot-grünen Blumenmuster im schmalen Korridor ist vergilbt. Die zweite Tür links steht offen, fahles Licht fällt auf die braun gestrichenen Dielen. „Die sind noch original“, sagt Rita Falkenbach, „120 Jahre alt. Wertarbeit.“ Zumindest fürs Vorderhaus habe man damals sehr gut abgelagertes Holz verwendet, weiß die 65-Jährige. Seit sie vor fünf Jahren in den Ruhestand trat, führt die ehemalige Chemisch-Technische Assistentin Besucher durch die Ausstellung Zimmermeister Brunzel baut ein Mietshaus – Bauen und Wohnen in Prenzlauer Berg um 1900.
Die Frau ist eine von rund fünf ehrenamtlichen Rentnern, die im nebenan gelegenen Seniorentreff Herbstlaube ihre Nachmittage verbringen und interessierten Berlinern und Touristen gern die 56 Quadratmeter große Wohnung zeigen. Sie wollen die Vergangenheit des Stadtteils vor dem Vergessen bewahren. Wohl kaum ein Viertel hat sich in Berlin stärker gewandelt als Prenzlauer Berg. Um 1900 entstanden hier in rasendem Tempo ganze Straßenzüge mit den schönen Gründerzeit-Häusern. Arbeit boten die nahegelegenen Fabriken, zum Beispiel die Brauereien, die das gute Wasser auf dem Prenzlauer Berg nutzten.
Seniorenverein mietet die Wohnung an
Die Dunckerstraße 77 ist eine typische bürgerliche Vorderhauswohnung, wie sie einst Angestellte oder „kleine Beamte“ bewohnten. Anderthalb Zimmer. Genauso groß wie die Wohnung von Christa Seeger. Die zog kurz nach der Wende in die Dunckerstraße, lebt noch immer hier und führt oft durch die Museumswohnung. Aber heute fühlt sich die Mittsiebzigerin nicht wohl, sie hat sich ihr Handarbeitszeug mitgebracht in die SeniorenbegegnungsstätteHerbstlaube. Der Verein Miteinander-Füreinander Seniorenbegegnungsstätten, der den Rentnertreff betreibt, kümmert sich ums Museum.
2003, als das Haus von der kommunalen Wohnungsgesellschaft an einen privaten Investor verkauft wurde, hat der Verein die Wohnung angemietet und so vor der Modernisierung bewahrt. Rita Falkenbach bringt Christa Seeger einen Kamillentee. „Bleib du ruhig hier sitzen, ich zeige den Leuten schon die Wohnung“, sagt sie. Die grauhaarige alte Dame lächelt zufrieden, häkelt weiter am Topflappen. Menschen, die den alten Prenzlauer Berg noch kennen, sind hier selten geworden.
1 1/2 Zimmer für zehn Menschen
Die Wohnungen seien nach der Sanierung teuer geworden, erklärt Rita Falkenbach. Rentner könnten sich das kaum noch leisten. „Und viele der Bewohner aus der Zeit vor der Wende…“, Falkenbach stockt einen Moment, „na ja, die sterben langsam weg, so ist das eben“. Sie selbst wohnt nicht weit entfernt, an der Weißenseer Spitze.
Jetzt führt sie uns durch die Wohnung, wo um 1900 mehr als zehn Menschen in den anderthalb Zimmern lebten. In der „guten Stube“ – sprich dem Wohnzimmer – zeigt sie auf den zwei Meter hohen Alt-Berliner Kohleofen, der mit weißen Kacheln gesäumt ist. Der Ofen sei nur angeheizt worden, wenn Besuch gekommen sei, erzählt Rita Falkenbach. Gelebt habe man vor allem in der Küche, wo die Kochmaschine den ganzen Tag über befeuert wurde und für Wärme sorgte.
Anders als heute, wo die Anderthalb-Zimmer-Wohnungen üblicherweise von Singles bewohnt würden, hätten vor 100 Jahren zehn Personen nicht als „Überbelegung“ gegolten. In der Dunckerstraße 77 hätten sogar bis zu 17 Menschen in einer Wohnung gelebt, weiß Christa Seeger. Drei Kinder im schmalen Bett im schlauchartigen Schlafzimmer – „damals keine Seltenheit“. Und wenn diese in der Schule waren, wurde das Bett sogar noch an Schichtarbeiter zum Schlafen vermietet, um Geld in die Kasse zu bekommen.
Heutige Bewohner des Hauses könnten sich das kaum noch vorstellen, sagt Rita Falkenbach. Vielfach würden Touristen staunend durch die Räume gehen und sich wundern, wie drei Menschen in einem gut 90-Zentimeter breiten Bett schlafen konnten. Oder wie eine ganze Familie nacheinander in einem Metall-Bottich baden konnte. Oder darüber, dass der Balkon nicht den Menschen vorbehalten war, sondern Kleintieren, wie Hühner oder Kaninchen, die sie dort hielten.
Aber manchmal kommen auch Leute aus dem Haus. Wie eine der jungen Mieterinnen aus den oberen Stockwerken. „Im Gegenzug durfte ich mir bei ihr dann ansehen, wie so eine sanierte Wohnung aussieht“, erzählt Falkenbach. „Laminat, der Schnitt der Zimmer geändert, der Flur breiter, kaum wiederzuerkennen.“ Auch ein ehemaliger Mieter habe mal vorbeigeschaut. Der habe vor vielen Jahren mal eine Zeit lang in genau der Museumswohnung gelebt und seiner Lebensgefährtin gezeigt, wo damals sein Bett gestanden habe.
Rita Falkenbach wirkt nachdenklich. „Kaum vorstellbar, dass das hier die Erstbebauung war.“ Damals, 1895, als der Zimmermeister Heinrich Brunzel das Grundstück von der Terraingesellschaft Berliner Bauverein kaufte. „Berlin wuchs rasant. 1875 gab es eine Million Einwohner, 1900 waren es schon zwei – die mussten ja irgendwo wohnen“, sagt die Rentnerin. So viel habe sich da eigentlich doch gar nicht geändert. „Berlin brauchte damals Wohnraum – genauso wie heute.“
Die Feinkostläden, Bio-Eisdielen und vegan-vegetarischen Restaurants, die hier in den vergangenen Jahren neu eröffnet haben – für Rita Falkenbach zeigen sie an, wohin in Prenzlauer Berg die Reise geht. „Jung, hip, mit Geld“, das sei die neue Mieterklientel. Und so kommen nicht selten ältere Prenzlberger ins Museum, die vor Jahren weggezogen sind aus dem Kiez, um ihre Erinnerung aufzufrischen. „Denen muss man dann gar nicht viel erklären“, sagt Falkenbach. „Die sagen dann nur ,ich hab‘ auch mal so gewohnt‘ – und gehen andächtig durch Stube, Kammer und Küche.“
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