Da sitzt sie, groß und divaesk auf einem ledernen Barhocker. Sie zieht genüsslich am Wodka Soda und unterhält sich mit dem Bartender. Das wird sie im Laufe des Abends noch häufiger machen, sich mit den Bedienungen unterhalten. Barbie Breakout kennt sich aus in der Szene – gut genug, um manch einen Ort lieber zu meiden. „Betty F ist nicht so unsers, sorry“, winken sie und ihr Freund ab. Clubaffine Homosexuelle werden sie sowieso als die Resident-DJane des GMF kennen, Gegner der homophoben Gesetzesänderungen in Russland als Sinnbild der Unterdrückten. Barbie Breakout war es, die sich selbst im Frühsommer 2013 aus stillem Protest mit Nadel und Faden den Mund vernäht hat und das Video auf Youtube stellte. Jetzt sitzt sie in der Liberate Bar, absolut entspannt, die damaligen Schmerzen sind vergessen wie Blutabnehmen beim Arzt. Es ist Samstag nach Einbruch der Dunkelheit.
„Die Platte hat so ihren eigenen smell.“
Der Hackesche Markt, das ist ihr Kiez, sie wohnt wenige Blocks weiter, in der Karl-Marx-Allee. Nach neun Jahren Gleimstraße wollte sie nur noch weg. Zu viel Bürgertum, zu langweilig. „War nicht mehr geil“, winkt sie mit ruhiger, tiefer Stimme ab. Aber „die Platte“, wie sie ihre Wohnung in der Karl-Marx-Allee liebevoll schimpft, „hat auch so ihren eigenen smell.“ Sie spricht vom Stahlbeton, dessen ausgiebige architektonische Nutzung zu DDR-Zeiten sich unweigerlich auf den Geruch der Wände ausgewirkt hat. Noch im Urlaub verfolgt sie dieser Duft: „Ich hab meine Wohnung gerochen aus den Taschen raus!“ Das reicht langsam. Mitsamt Freund und schwulen Katzen soll es woanders hingehen. „Ins Grüne. Nach Friedenau“, möglichst schon nächstes Jahr. Die beiden Kater brauchen mehr Auslauf, Barbie einen Szenenwechsel.
Köln? Zu schwul.
Wandern die beiden – also Barbie und ihr Freund – über das Kopfsteinpflaster, klammert sie sich ein wenig an seinen Arm, aber eher aus Prophylaxe. Und aus Zuneigung. Die beiden sind seit einem Jahr zusammen, wohnen zusammen, wollen heiraten. Barbie führt ihn am Central Kino vorbei in einen Hinterhof. Das Pan Asia residiert hier – und auch hier wird sie mit Küsschen begrüßt, auch aus der Küche eilt Personal. Welcome Drinks für alle.
Als ihr Freund draußen eine raucht, bekommt er den Gossip mit. Nichts schlimmes, nur Talk: „Barbie Breakout sitzt drinnen. Wow. Krass. Ja!“ Ob Barbie genervt ist oder diese unaufdringliche Aufmerksamkeit genießt, ist ihr schwer anzusehen. Im Vergleich zur Jugend in Hessen ist sie jedenfalls ein Witz. Mit zwölf Jahren, in Hofheim, noch hinter Frankfurt am Main, war sie/er „bunt, hip, punk, alles was aus dem gängigen Schema der Männlichkeit rausfällt. Hab ständig aufs Maul bekommen.“ Auch hier erzählt sie absolut gelassen, blickt immer wieder in die Ferne. Erst mit dem Wechsel an die sonst so verrufene Odenwaldschule und dem Umzug nach Berlin, konnte sie ihr Coming-Out langsam genießen. Auch in Köln war sie mal, ein dreiviertel Jahr, „aber da hab ichs nicht ausgehalten. War mir zu schwul.“ In Berlin könne man einfach man selbst sein, einfach in irgendeine Bar gehen. Oder auf dem Sofa liegenbleiben. „Die einzige Stadt weltweit, die für mich lebenswert erscheint. Auch weil ich mich mal langweilen kann“, sagt sie, und langweilt sich trotzdem nicht. Stattdessen hält sie ein Taxi an, um nach Schöneberg zu kommen. Der Abend ist noch jung, die nächste Location ruft: Das La Cocotte im Akazienkiez.