Im ehemaligen Gasdepot hat ein vegetarischer Imbiss aufgemacht, im Stoff- und Gerätelager wird Tango getanzt, der Spitzbunker aus dem Krieg ist jetzt Kletterturm, in den dachlosen Werkhallen soll bald ein XL-Biergarten mit Pool eröffnen. Kritiker befürchten einen Ballermannclub. Das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk – kurz RAW – befindet sich in seiner zweiten Nachwendemetamorphose, diesmal von der autonomen Spielwiese der Berliner Subkultur zum massentauglichen Sport- und Unterhaltungszentrum.
Die Investoren sind zerstritten, die Politik ist sich auch nicht einig
Das Areal ist ein städtebauliches Chaos aus Backsteinhäusern, die bis in die Bauzeit des RAW um 1870 zurückreichen, verfallenen Produktionshallen, sanierten Zweckbauten, Ruinenromantik und modernen Improvisationen. Das Chaos ordnet sich an Orten wie dem Club Cassiopeia überraschend zu autofreien Platzoasen, die fürs Auge viele Reize bieten. Die Mieterinitiative „Kulturensemble RAW“ fordert deshalb, auf großflächigen Abriss von Hallen zu verzichten.
Clubs wie Urban Spree und Astra haben sich erfolgreich etabliert. Neben diversen Werkstätten für Kunsthandwerk, Malerei oder Fotografie, Proberäumen für Musiker gibt es auch Angebote, die auf den Kiez zielen, wie der Kinderzirkus vom „Verein zur Überwindung der Schwerkraft“. Die Übungsräume des Zirkus im ehemaligen Stofflager, wo früher die Uniformen der Reichsbahner genäht wurden, sind eigentlich zu klein geworden für die große Nachfrage, sagt Karl Ulke, einer der ehrenamtlichen Zirkusleute.
Ein Pionier auf dem Gelände ist der Verein RAW Tempel, der wegen teurer Brandschutzauflagen und Streitigkeiten mit den Eigentümern aber kaum noch handlungsfähig ist. Zwar zahlt der Verein nur pauschal 1,50 Euro Gewerbemiete pro Quadratmeter, aber die Weitervermietung an Künstler und Barbetreiber spült nicht genug Geld in die Kasse, um Sanierungen an den Gebäuden zu bezahlen. Um Fördermittel kann sich der Verein nicht bewerben, weil er keine langfristigen Mietverträge vorweisen kann.
Angst vor Lärmklagen
Klaus Wagner, Chef der R.E.D. Development GmbH, beansprucht, Eigentümer der gesamten RAW-Fläche zu sein. Vor Gericht ist er mit diesem Anspruch bislang gescheitert, doch er will weiterkämpfen. Er hält am Bau von rund 500 Studentenwohnungen und 150 Wohnungen für Familien auf dem östlichen Teilgrundstück fest. Im westlichen Bereich, den Wagners ehemalige Partner aus Island gekauft haben wollen, könne er sich auch eine Übertragung von Teilflächen an Stiftungen vorstellen. Er wolle die „Interessenlage aller Beteiligten“ berücksichtigen, sagte Wagner dem Tagesspiegel. Die Isländer waren für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
John Dahl, SPD-Bezirksverordneter, hält die derzeitigen Debatten und Anträge um das RAW für ein politisches Placebo. Der juristische Streit der Eigentümer könne sich noch Jahre hinziehen, so lange werde es keine Perspektive für die RAW-Mieter geben. Und der Bezirk könne nicht einfach über die Investoren hinweg eine soziokulturelle Nutzung plus Grünanlage beschließen. „Man beschließt was, und in Wirklichkeit passiert gar nichts.“
Baustadtrat Hans Panhoff (Grüne) warnt vor Wohnungen im RAW. Käme es irgendwann zu Lärmkonflikten, würden die Clubs den Kürzeren ziehen. Studentenwohnungen als Puffer könnten das Problem nicht beheben. „Vor dem Lärmschutzrecht sind alle gleich.“
Sollte die Anträge von Grünen und Anwohnern in der Bezirksverordnetenversammlung durchkommen, „wird es sicherlich mächtig Ärger geben“, glaubt Panhoff. Ärger mit der SPD, aber vor allem mit den Eigentümern. Am Ende legen die ihren Streit beiseite und ziehen gemeinsam gegen den Bezirk.