Round Two im Kampf ums Feier-Areal: Noch kämpft man mit Handschuhen. Die Kurth-Gruppe, die 2015 einen großen Teil des Geländes erworben hat, will zusammen mit den Betreibern vor Ort den Status quo ändern und einen ruhigen Platz für Kunstschaffende sowie Freizeitnutzung schaffen. Wohnungen sollen nicht entstehen. Soweit die Theorie.
Das ehemalige Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) soll nach Plänen der Besitzer behutsam entwickelt werden. Der Charakter soll sich nicht verändern. Was die verschiedenen Parteien darunter verstehen, geht noch auseinander. Das sogenannte Soziokulturelle L soll erhalten bleiben, so wie es ist. Sozio-wat? Das Soziokulturelle L orientiert sich am schönen, alten Teil des Geländes mit Gebäuden, die teilweise unter Denkmalschutz stehen. Wer sich das Gelände von oben anschaut, kann einen Teil des Areals mit dem nötigen Fachwissen als L ausmachen. Soziokulturell heißt an dieser Stelle, die gemeinnützigen Freizeiteinrichtungen wie der Zirkus Zack oder die riesige Skatehalle sollen komplett erhalten bleiben. Ateliers und Tonstudios sollen folgen. Die olle DDR-Bebauung und einige einsturzgefährdete Gebäude dagegen sollen weichen.
So wurde das RAW-Gelände zum Feier-Areal
Insgesamt hat das ganze Gelände ja durchaus Charme. Ein paar kaputte, freistehende Backsteinmauern geben dem Gelände etwas Anarchistisches. Das hatte es auch immer. Schon vor Wendezeiten hatten sich Kunstschaffende und Musiker das verfallene und ungenutzte Gelände zu eigen gemacht. Laute Clubs und feierwütiges Jungvolk gehörten nicht dazu.
Die wechselnden Eigentümer und die unübersichtlichen Besitzverhältnisse von Teilen des Geländes führten dazu, dass einige Gebäude regelmäßig zur Zwischennutzung vermietet wurden, an Bar- und Clubbetreiber. So entstand der Ruf als großes Feierareal. Mittlerweile sieht das gesamte RAW Gelände auch ein wenig so aus. Es gibt ein paar lieblos aufgestellte ATM Automaten, damit die Touris immer schnell an neues Bargeld kommen, auf dem Boden liegen Kippenstummel und Glasscherben.
Initiative will einen Ort für Künstler und Musiker
Jenny Goldberg von der Initiative RAW Kulturensemble setzt sich dafür ein, dass das Gelände und die Gebäude im Soziokulturellen L erhalten bleiben und dass es wieder das wird, was es früher war: nämlich ein Ort für Künstler und Musiker. Natürlich gehören auch ein paar Bars und Clubs dazu, aber eben nur ein paar. Sie will gemeinsam mit den Nutzern Visionen für die Zukunft des RAW schaffen.
Zu diesem Zweck haben Betreiber die Projektentwicklungsgemeinschaft (PEG) gegründet, um die soziokulturellen Angebote langfristig zu erhalten. Seitens der Politik gibt es auch Unterstützung. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg fordert „den langfristigen Erhalt des Kultur- und Sportensembles auf dem RAW-Gelände“. Das heißt zwar noch nichts, aber stimmt hoffnungsvoll.
Nun gilt es, viele Anwohner und Menschen zu überzeugen, für dieses Projekt einzustehen. Denn: Breite Unterstützung aus dem Kiez ist wichtig, um so viel wie möglich mitreden zu können.
Goldberg findet es deshalb auch sinnvoll, vor allem Familien aus dem Kiez gute Angebote zu machen und das geht am besten über Sport- und Freizeitprojekte. Neben der Skatehalle gehört noch ein alter Bunker zum Bouldern zum bisherigen Freizeitsport- Angebot.
Kriminalität, Drogen und Lärm
Jenny Goldberg findet den Ruf als rechtsfreie Feiermeile nicht gerechtfertigt. Schlimm findet sie, dass bei den unzähligen kriminellen Delikten, die im Gebiet um und an der Warschauer Brücke zu verzeichnen sind, immer das RAW Gelände erwähnt wird. Denn was bei ihnen an Stress entsteht, ist nur ein verschwindend geringer Teil im Verhältnis zu einer Nacht auf der Warschauer Brücke, erklärt sie.
Das Thema Drogen ist heikel. Niemand kann den Handel kontrollieren. Die teilweise minderjährigen Dealer müssten durch soziale Projekte von der Kriminalität ferngehalten und Alternativen für sie entwickelt werden.
Wo viele Menschen sind, gibt es auch Lärm, das ist unbestritten. Allerdings wäre dieser durch einfache Maßnahmen einzudämmen. Beispiel: Ein Fotoautomat, der genau auf dem Gehweg steht, zieht natürlich laute Menschentrauben an. Dieser wäre auf dem Gelände besser aufgehoben. Die meisten Lärmbeschwerden und Anzeigen kommen aber tatsächlich aus der Simon-Dach-Straße. Dort gibt es sehr viele Bars und Kneipen, die komplett im Wohngebiet liegen. Goldberg betont, dass es da ebenfalls keinen Bezug zum RAW Gelände gibt. Trotzdem wird das Areal immer wieder im Zusammenhang mit Lärmbelästigung genannt.
Natürlich gehe auch vom Soziokulturellen L hin und wieder Lärm aus, jedoch seien die Bars wie die Bar Zum schmutzigen Hobby oder Clubs wie das Crack Bellmer sehr auf einen Austausch mit den Anwohnern bedacht. So hat das Crack Bellmer eine der besten Raumakustiken überhaupt. Durch sogenannte Gegenbässe gibt es so gut wie keinen Schall, der nach außen dringen kann. Auch eine kleine Zwischenschleuse in der Tür verhindere einiges an Lärm, der entsteht, wenn diese einige hundert Male am Abend auf- und zugestoßen wird. Es müsse eine Koexistenz möglich sein, die keine der beiden Parteien benachteiligt. Beim Crack Bellmer sei dies gelungen, wie uns Goldberg stolz erklärt.
Was bringt die Zukunft?
Die meisten Nutzer der Gebäude des Soziokulturellen Ls haben nur einen Mietvertrag bis 2019. Das macht die Bar-Betreiber auf dem Gelände etwas unsicher, aber der Optimismus überwiegt. Die Kurth-Guppe lässt sich noch nicht in die Karten schauen. Alles scheint möglich. Man hat zwar schon angedeutet, dass weiterhin günstige, subventionierte Mieten angesetzt werden, zumindest bei den unprofitablen Einrichtungen. Ob die Clubs und der Biergarten auch dazu gehören, darüber wird derzeit noch verhandelt. Die heutigen Gebäude des Astra Kulturhauses und des Suicide Circus werden wohl verschwinden. Wobei das Astra bereits durchblicken ließ, dass es sich einen Umzug in einen Neubau vorstellen könne. Der Haubentaucher könnte überdacht und zur Markthalle werden. Und die Investoren bleiben bei dem, was sie schon nach dem Kauf der RAW-Anteile verkündet haben: Sie wollen das Gelände wohl mit Büro- und Handelsflächen bebauen.
Unser Fazit: Hoffentlich behält das Gelände auch mit neuer Projektierung seinen Charme. Ein kleines Stück des morbiden Charakters sollte erhalten bleiben. Sonst ist Berlin bald nicht mehr Berlin.