„Man muss hier rejelrescht uffpassn, dit jeht hier allet Schlach uff Schlach.“ Michael Voigtländer ist im Stress. Im positiven Stress. Heute moderiert er die neue Spreetour der Reederei Riedel – und das live, mit Berliner Kodderschnauze, großer Begeisterung und noch größerem Fachwissen.
Alles andere als eine 08/15-Fahrt
Kaum hat das Schiff vom Ufer hinter der East Side Gallery abgelegt, überschlagen sich auch schon die Sehenswürdigkeiten – Oberbaumbrücke, Dreiländereck, Mediaspree – und Voigtländer rattert runter, was er weiß. Und das ist viel. Er ist ein ausgewiesener Fachmann, wurde vom „Büro für Industriekultur“ entsandt und hat die Moderation, die künftig per Band abgespielt wird, konzipiert. Bei der Premierenfahrt ist er höchstpersönlich dabei. Die Zuhörer kleben an seinen Lippen, die übersteuerte Lautsprecheranlage knarzt ununterbrochen. Schnell wird klar: Auf der Müggelseetour erfährt man Dinge, die einem auf einer 08/15-Dampferfahrt durch Berlin Mitte verborgen bleiben.
Gerade noch an der Liebesinsel – einst von Fontane bedichtet, heute Vogelschutzgebiet – vorbei gefahren, steuert der Kahn nun auf Industrie pur zu: Das Großkraftwerk Klingenberg und das Zementwerk Berlin feuern ihre Abgase in den Himmel. So absurd es ist: Direkt von vorne, aus Wassersicht, haben die Riesenbauten doch fast etwas erhaben-schönes. Und das ist erst der Anfang, auf dem Weg zum Müggelsee warten viele Industriedenkmäler und andere Kuriositäten: Hinter Baumwipfeln lugt das Riesenrad des verlassenen Freizeitparks im Plänterwald hervor, zur linken erstreckt sich das denkmalgeschützte DDR-Funkhaus Nalepastraße, immer und immer wieder gibt es Brachflächen mit Industrieruinen. Ein Uferfriedhof und Europas größte Skater-Anlage, der Mellowpark, entzücken. Zwischendurch ploppen Luxushotels und schicke, neue Townhäuser auf: Es sind Vorboten und Symbole des enormen Potenzials, das der ein oder andere schon längst in den Außenbezirken Treptow und Schöneweide entdeckt hat.
Ein Special Guest kommt an Bord
Nachdem unterwegs – surprise, surprise – noch der Hauptmann von Köpenick als Premieren-Attraktion zugestiegen ist, geht´s am historischen Köpenicker Rathaus vorbei, mit Volldampf zum Müggelsee. Wolken ziehen auf, der Wind bläst wie auf dem Meer und es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, man sei tatsächlich auf offener See unterwegs.
Auf dem Rückweg dann wird das Band abgespielt, das die künftigen Mitfahrer der Tour zu hören bekommen: Sehr informativ, auch hier warten Infos, die kaum im Reiseführer zu finden sind. Einzig die monotone Stimme des Vortragenden – ja, das muss so hart gesagt werden – ödet an. Nix mehr da vom Charme, vom Esprit, von der Authentizität, mit der Voigtländer die Hinfahrt kommentierte. Warum, so fragt man sich, hat die Reederei nicht ihn das Band einsprechen lassen?
Auf zu neuen Ufern: Die Müggelseetour ist vor allem was für Touristen abseits des Mainstreams und auch für Berliner, die ihre Stadt von einer anderen Seite kennenlernen wollen. Beide Daumen hoch für Route und Konzeption. Abzüge gibt’s für die Präsentation vom Band.
Alle Infos zu Tour, Abfahrtszeiten und einer zusätzlich buchbaren „Elektropolis-Tour“ gibt’s hier.