(K)ein Kirchgang
Ja, selbst Ungläubige gehen an hohen Feiertagen in die Kirche! Der Reformationstag ist vielleicht nicht so verbreitet wie Weihnachten, aber zumindest in evangelischen Gemeinden gibt es größeren Andrang als sonst. An diesem feiernswerten Tag soll Martin Luther 95 Thesen an die Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben, um die Kirche zu einem Umdenken und besagter Reformation zu bewegen. Die Spaltung der Kirche hatte der Theologieprofessor nicht im Sinn, aber manchmal kommt es eben anders als man denkt. Luther wollte nur die miesen Finanzgeschäfte der katholischen Kirche unterbinden, die sozusagen Buß-Gelder von Gläubigen verlangte, um sich von Sünden freisprechen zu lassen. Dabei sollte sich der Gläubige doch allein vor Gott rechtfertigen und der vergibt (damals wie heute) kostenfrei. Nachzulesen auch im Römerbrief, Kapitel 3. Naja, die katholische Kirche hat das irgendwann auch eingesehen und verlangt keinen finanziellen Ablass mehr von Sündern in ihren Gemeinden. Für perfekte Feirtagslaune solltest du in einen Gottesdienst bei dir im Kiez gehen, denn heute wird überall viel gesungen und singen macht bekanntlich glücklich. Bei mangelhafter Musikalität empfehlen wir passiven Genuss bei Konzerten wie dem Bach-Kantate-Gottesdienst um 10 Uhr in der Gedächtniskirche. Und wer mit einem Kirchgang grundsätzlich überfordert ist, der kann auch zu einem Frauenfußball-Spiel gehen, denn auf den Tag genau vor 47 Jahren hob der DFB das Frauenfußball-Verbot auf. Alternativ nimmst du dir einfach viel Zeit, um dich auf die Halloween-Party am Abend vorzubereiten.
Reformationsbrötchen naschen
Jeder echte Feiertag hat auch eine süße Tradition: Die Reformationsbrötchen sind vor allem in Bundesländern verbreitet, die jedes Jahr diesen Gedenktag als Feiertag genießen. Das quadratische Hefegebäck mit vier Spitzen und Marmeladenzentrum soll die Lutherrose symbolisieren. Dass diese eigentlich fünf Spitzen hat, wird traditionell ignoriert. Wer selber backen will, weil Berliner Bäcker die süßen Teilchen nicht kennen, verrührt 500 g Mehl mit 40 g Hefe, 30 g Zucker und 8 EL Milch und lässt den Teig zugedeckt an einem warmen Ort aufgehen. Dann 50 g Butter, 100 g Rosinen, 50 g Mandeln, 1 EL Zitronat, 1 TL geriebene Zitronenschale hinzugeben und mit ca. 140 ml Milch zu einem Teig kneten. Wieder gehen lassen, bis der sich verdoppelt hat. Ausrollen und 12 mal 12 cm große Vierecke ausstechen. Ecken einschlagen und in der Mitte je 1 TL Erdbeerkonfitüre platzieren. Noch einmal kurz gehen lassen und dann bei 200 Grad im vorgeheizten Backofen 20 Minuten backen. Mit Puderzucker bestäuben und alsbald verspeisen.
Mittelalter-Feeling
Vor 500 Jahren herrschte sogar in der Hauptstadt noch finsterstes Mittelalter, naja, an einigen Ecken konnte man vielleicht schon Ansätze der Renaissance erkennen – das nur als Notiz für Besserwisser. Wer das echte Luther-Feeling sucht, findet noch einige historische Reste aus der Zeit, in der Berlin begann, sich als Metropole aus dem Sumpf zu erheben. Die Nikolaikirche ist wohl das bekannteste Wahrzeichen der spätgotischen Zeit und noch heute Mittelpunkt der touristischen Must-Sees im Nikolaiviertel. Unweit davon steht die Marienkirche, die seit 1270 Ansehen genießt. Spazierst du weiter, entdeckst du das wiederaufgebaute Eingangsportal des Hohen Hauses, der Residenz der Markgrafen. Das führt jetzt allerdings ins Märkische Museum. Um Teile der Stadtmauer zu entdecken, musst du dich in die Littenstraße begeben. Die Ruine des Franziskaner Klosters in der Klosterstraße und die Heilig-Geist-Kapelle in Spandau verbreiten ebenfalls noch Mittelalter-Flair. Unweit der Kapelle findest du auf dem Reformationsplatz heute Musik und Gaukelei. Nach dem ausgiebigen Spaziergang hast du dir eine Stärkung in einer Mittelalter-Schänke verdient. Auch ohne Frischluft-Tour bist du im rustikalen wie mittelalterlichen Gasthaus Tafelrunde oder in der Zitadellen Schänke willkommen.
Luthereffekt
Wann, wenn nicht heute… du warst noch nicht in der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau? Zum 500. Jubiläum des Reformationstages bietet das DHM hier eine Weltzeitreise durch fünf Jahrhunderte und über vier Kontinente an. In mystischer Atmosphäre zeigen sich futuristische Installationen und Soundeffekte aus gemurmelten Worten und Papierrascheln. Die vielfältigen Exponate und Inszenierungen beleuchten die historische Person Martin Luther und spüren den Auswirkungen und Folgen der Reformation nach. Spannend wird die Ausstellung auch durch Humor und persönliche Bekenntnisse von Gläubigen, die von der Bedeutung des Glaubens in ihrem Leben erzählen. Am Reformationstag gibt es um 12 Uhr und 16 Uhr eine offene Führung (3 Euro zzgl. Eintritt) und eine Familienführung um 14 Uhr (für Kinder bis 14 Jahren frei, sonst 3 Euro zzgl. Eintritt). Eine weitaus kleinere Ausstellung, die aber nicht unerwähnt bleiben soll, findest du im Museum Europäischer Kulturen in Dahlem: Anna webt Reformation. Ein Teppich und seine Geschichten. Das 350 Jahre alte Stück wird mit Objekten aus der damaligen Alltagskultur und regionalem Kircheninventar präsentiert, um dir die zeitgenössische, theologische Weltsicht näher zu bringen.
Bildung durch Fernsehen
Der Reformationstag bietet wie viele andere Feiertage die Möglichkeit, sich in die Mulde der eigenen Couch zu lümmeln, um Kultur via Bildschirm zu genießen. Wer sich dieser traditionellen Faulenz-Variante öffnet, und das Fernsehgerät zum Mittelpunkt des Tagesgeschehens werden lässt, erfährt alle wesentlichen Fakten und Hintergründe zum Reformationstag auf bequemste Weise: Beginnen kannst du dein Programm nach dem Frühstück mit Der Luther Code auf Phoenix (ab 9:45 Uhr), Luther in Brandenburg bietet um 16:15 Uhr der RBB, dicht gefolgt von 500 Jahre Reformation – der Festakt um 17 Uhr im ZDF und Luthers Revolution auf 3sat um 18 Uhr. Das Doku-Drama Luther-Tribunal im ZDF dominiert unangefochten die Primetime. Höhepunkt ist für Hartgesottene Dauergucker der Hollywoodstreifen Luther in der ARD. Leider ergeben sich Pausen in der Berieselung, die kannst du aber mit den Pinguinen aus Madagaskar oder den Buddenbrooks locker füllen. Gut, dass so ein Feiertag keine TV-Grenzen hat.