Reise-Challenge

36 Stunden BreakOut: mein Reisebericht

Zielfoto am Mittelmeer: In 36 Stunden von Berlin nach Montpellier.
Zielfoto am Mittelmeer: In 36 Stunden von Berlin nach Montpellier. Zur Foto-Galerie
Nervenkitzel-Junkies, Kontaktsucher und Vielreiser aufgepasst: Bei BreakOut verknüpfst du deine Leidenschaften mit dem guten Zweck. Das Charity-Projekt verlangt viel, aber es lohnt sich. Die Aufgabe: Reise in 36 Stunden zu zweit ohne Geld so weit wie möglich.

Einladungen zu Info-Veranstaltungen klingen meist so verlockend wie Mahnschreiben vom Finanzamt. Seit Anfang Mai kenne ich eine Ausnahme: BreakOut nennt sich das Projekt, das mein Praktikantenleben veränderte. Die Idee dahinter ist ebenso simpel wie genial: Nach dem Vorbild eines Spendenmarathons legen Zweier-Teams innerhalb von 36 Stunden möglichst viele Kilometer zurück. Bemessen wird nach Ablauf der Zeit die erreichte Luftlinien-Entfernung. Ein No-Go ist es, Geld für Transportmittel auszugeben. Was zählt sind einzig die Überzeugungskünste der Teams bei Bahn- oder Flugpersonal, beim Trampen oder für das Erschnorren sonstiger Reisemöglichkeiten. Was sich anhört wie ein sportlicher Wettkampf dient nicht dem eigenen Ruhm sondern allein dem guten Zweck: Für jeden gereisten Kilometer werden Spendengelder für ein gemeinnütziges Hilfsprojekt zur Verfügung gestellt. Entsprechende Sponsoren organisieren die Teams vorab.

Um ehrlich zu sein, war ich auf alles vorbereitet bei diesem Termin, nur nicht auf meine spontane Abenteuerlust. Am liebsten wäre ich sofort gestartet. So schnell ging es dann doch nicht. Nachdem ich mir kurzfristig bei QIEZ freinehmen konnte, stand dem Ganzen noch etwas im Weg: Mir fehlte ein Reisepartner. Aus Sicherheitsgründen dürfen Teilnehmer nämlich nur zu zweit reisen. Weil es nur noch wenige Stunden bis zum Anmeldeschluss waren, musste ich auf ein Blindmatch der Organisation vertrauen: So wurde Kate meine Teampartnerin, mit der ich mein 36-Stunden-Reise-Abenteuer erleben sollte.

Kurz vor knapp: Teamname SorryIAmLate

Der Team-Name lag auf der Hand: Wir nannten uns SorryIAmLate. Bevor wir uns eine Reiseroute ausdenken konnten, mussten wir zunächst vor allem eins: werben! Mit der Unterstützung steht oder fällt am Ende die Höhe der Spendensumme. Wir schrieben Rundmails an große Unternehmen, Start-Ups, Familie und Freunde. Wie genau das Sponsoring funktioniert, kannst du auf der BreakOut-Website nachlesen. Leider zeigte sich an dieser Stelle, dass Spontaneität bei Firmen in puncto Geld kaum zu finden ist. Umso dankbarer waren wir für die privaten Spender aus uns wohlbekannten Kreisen.

Gruppenfoto der Berliner Teams am Ernst-Reuter-Platz - ©Emanuel Metzenthin

25. Mai, 07:30 Uhr, Ernst-Reuter-Platz Berlin:

Und dann war es endlich soweit! Während halb Deutschland in den Feiertag hinein schlief und sich die andere Hälfte mit Bollerwagen und Bier auf eine Himmelfahrts-Tour einstimmte, traf ich zum ersten Mal auf meine Teampartnerin Kate, live und in Farbe. Wir waren beide noch müde, hatten noch immer keine genaue Reiseroute, uns aber schnell auf Irgendwo-ins-Warme geeinigt. Gut, insofern waren wir also ein Perfect-Match. Nachdem wir unsere T-Shirts und das Starter-Kit (u.a. Regencapes, Adapter, Einhorn-Kondome und viel, viel Koffein) abgeholt hatten, beschrifteten wir Schilder mit „West“und „weit weit weg“– Erfahrung mit dem Trampen hatte keine von uns beiden.

Nach den letzten Einweisungen der Organisatoren fiel um Punkt 9 Uhr der Startschuss für alle Teams. Also los! Aber wie fängt man seine Reise eigentlich am besten an, wenn man keinen Cent für ein Verkehrsmittel ausgeben darf? Die ersten Teams waren schon losgesprintet, als Kate und ich uns Richtung Haltestelle Zoologischer Garten aufmachten in der Hoffnung, einen warmherzigen Mitbürger zu finden, der uns dort ein S-Bahn-Ticket kaufen würde. Ab jetzt kam alles anders als gedacht: Vor dem Excelsior Hotel stand ein Reisebus. Es brauchte kaum Überzeugungsarbeit und zwei Minuten später saßen wir schon inmitten einer netten Gesellschaft in Richtung Frankfurt am Main. Ein idealer Start und ein hervorragendes Etappenziel.

Trampen für Anfänger: Wir versuchen unser Glück

Als dann aber die Mittagspause der Reisegruppe mitten in Deutschland anstand, beschlossen Kate und ich, lieber mit einer neuen Mitfahrgelegenheit weiter zu reisen – denn in 36 Stunden zählt jede Minute. Wir versuchten also unser Tramper-Glück. Das blieb leider aus. Nach einigen Misserfolgen entschieden wir uns, die Gespräche mit „Wir reisen für den guten Zweck“ einzuleiten. So erhielten wir problemlos die kurze Aufmerksamkeit, die wir brauchten, um das Konzept von BreakOut zu erklären. Nun klappte es besser! Wir hangelten uns von Auto zu Auto und von Raststätte zu Raststätte, bis wir gegen 23:30 Uhr in der Nähe von Colmar (Elsass) auf einen Anschluss warten mussten. Wir warteten und warteten – lange. Nach vergeblichen Versuchen von hier weggefahren zu werden, zugegebenermaßen war unsere Überzeugungsrede auf  Französisch sprachlich sehr viel einfacher gestrickt, verbrachten wir die Nacht im Rasthof. Dass diese Nacht keinen Komfort für uns bereithalten würde, war uns klar. Nach drei Stunden auf einer Holzbank unter meiner Sweatshirt-Jacke als frostige Decke war die Lust darauf, hier noch eine Minute länger zu verbringen, endgültig fort. Wir wollten weiter!

Team SorryIAmLate kurz vorm Start der 36-Stunden-Challenge.- ©Christin Busch

Meine Französisch-Kenntnisse waren verkümmert, geblieben waren „avec fromage“und „Arthur est un perroquet“. Kate hatte die Sprache nie gelernt. Wie viel ich doch peu à peu aus meinem Fremdwortschatz wieder ausgraben konnte, um den Einheimischen zu verstehen zu geben, dass wir dringend weiter Richtung Mittelmeer mussten, war unfassbar. Achja, Südfrankreich hatten wir uns inzwischen als Ziel gesetzt, weil es erreichbar schien und viele Kilometer auf das Spendenkonto bringen würde. Mit meinem „nous allons pour un challenge solidaire“ (Wir gehen für eine gemeinnützige Challenge) und einem kleinen Übersetzungstext, den uns die Organisiatoren mitgegeben hatten und der das Projekt im astreinen Französisch beschrieb, kamen wir immer weiter Richtung Süden. Unterwegs wechselten wir wieder häufig die Mitfahrgelegenheiten und lernten viele liebe Menschen kennen. Während unserer Wartezeit auf einem Rasthof in der Nähe von Lyon erfüllten wir noch einige Challenges, die uns Sponsoren gestellt hatten. Alle Fotos, Videos und sonstige Posts konnten die Teams untereinander und auch alle Sponsoren über den Live-Blog mitverfolgen. Außerdem wurde mein Handy getrackt, so dass unsere Route immer online zu erkennen war.

Raststätten-Challenges und Sprachbarrieren

Kate und ich verteilten also auf besagtem Rastplatz auf Sponsorenwunsch Blumen und sprangen in (bei 30 Grad selbst gebaute) Pfützen. Danach ging es mit einem Pärchen und ihrem Dobermann Luigi im Wohnmobil weiter nach Orange. Entschuldige, dieser Hund hat einfach eine namentliche Erwähnung verdient, auch wenn er uns nicht ans Ziel brachte, weil wir es bis nach Montpellier schaffen wollten.
Wir hatten noch vier Stunden Zeit, waren voller Adrenalin und gleichzeitig erschöpft. Die letzte Etappe chauffierte uns ein Audi A5, S-Line. Leider brachten alle Pferdestärken nichts – ein Stau bremste uns aus. Kurz vor dem Ziel. In Montpellier fand zu dieser Zeit Europas größtes Extremsportfestival statt. Trotz der Sprachbarriere verstanden Kate und ich, dass auch das Pärchen, dem wir die Luxus-Limo zu verdanken hatten, die Freude auf Stillstand im Straßenverkehr abhanden kam. Zum Glück hielten sie noch einige Kilometer durch, die sie ohne uns an Bord gewiss nicht gefahren wären. Dann endlich der erlösende Ausblick auf das Meer. Palavas-les-Flots – der Strand von Montpellier. Wir waren da! Nach knapp 36 Stunden rastlosem Leben konnten wir unser Glück kaum fassen.

Hafenpromenade von Montpellier.- ©Christin Busch

Gänzlich geschafft, hatten wir es aber noch nicht. Einige Sponsoren-Challenges standen noch aus, die wir vor der Deadline um 21 Uhr erledigen mussten, um das Geld dafür zu kassieren. Also haben wir uns auf den letzten Spenden-Metern noch zum Affen gemacht: Wir schmetterten vor mindestens fünf Passanten einen Schlagerklassiker, sprangen wild auf einem Trampolin und machten ein Foto von uns in Krabbenpose am Strand. Wir überschritten jede Schamgrenze und posteten, man kann auch sagen spamten, die Timeline des Weblogs voll.

Berlin – Montpellier in 36 Stunden! Zu zweit. Ohne Geld. Für den guten Zweck.

Zu guter Letzt noch ein Zielfoto (natürlich mit Meer im Hintergrund): C’est ça! Nach 1218 Kilometern in 36 Stunden hatten wir es geschafft. Nach elf verschiedenen Mitfahrgelegenheiten und unendlich vielen tollen Momenten, in denen wir von der Hilfsbereitschaft anderer Reisenden überrascht wurden. Beinahe jeder ist einen Umweg gefahren, um uns ein kleines Stück weiter Richtung Süden zu bringen. Wir sind diesen Fahrern genauso dankbar wie den Sponsoren, die uns bei der Reise unterstützt haben. Unser Team SorryIAmLate hat knapp 660 Euro erreist, die Challenge-Gelder noch on top. Bei insgesamt 141 Teams dieses Jahr kommt eine tolle Summe zusammen, die zu 100 % dem Jambo Bukoba e.V. in Tansania zugute kommen wird.

Überwältigt von den Eindrücken brauchten Kate und ich eine Weile, um uns zu sortieren. Alles erschien so surreal. Dann suchten wir uns ein gemütliches Plätzchen in der Altstadt von Montpellier, bestellten Pizza (natürlich Frutti di Mare, schließlich waren wir direkt am Meer ) und Wein. Unser Zeitgefühl war durch die Slow-Motion-Taste eingeschränkt, Stunden und Minuten waren uns jetzt egal. Wir waren einfach glücklich und wurden langsam auch satt. Am Nachbartisch saß ein einheimisches Pärchen mittleren Alters. Je später der Abend, desto mehr kamen wir ins Gespräch. Einer von vielen schönen Augenblicken der letzten 36 Stunden. Da inzwischen keine Tram mehr fuhr, brachte uns das Paar zu unserem Hotel. Wir verabschiedeten uns mit Küsschen links, rechts, links. Diese Geste hatte nichts von einem höflichen Ritus, sie symbolisierte die Botschaft unserer Reise: Entgegen aller schlimmen Nachrichten, die täglich auf uns einprasseln, gibt es genug Menschen auf der Welt, die bereit sind, Herz zu zeigen. Uneigennützig und wohlwollend, einfach um ihren kleinen Beitrag für eine bessere Gesellschaft zu leisten. Kurze Zeit später lagen Kate und ich frisch geduscht in unseren Betten. Für uns war die Reise um Spendenkilometer nun vorbei. Zumindest in diesem Jahr, denn vielleicht gehen wir im nächsten Jahr wieder an den Start. Du auch?

Foto Galerie

Ernst-Reuter-Platz, Ernst-Reuter-Platz, 10587 Berlin

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