Street-Art in Kreuzberg

Dieser Rentner weiß mehr über Graffiti als du

Ein ungewöhnliches Hobby: Norbert Martins hat in den vergangenen 40 Jahren über 700 Wandmalereien in Berlin fotografiert.
Ein ungewöhnliches Hobby: Norbert Martins hat in den vergangenen 40 Jahren über 700 Wandmalereien in Berlin fotografiert.
Kreuzberg - QIEZ hat sich auf die Spur der neuesten Murals in Berlin gemacht. Dabei hat uns ein Mann begleitet, der mehr über die Kunst im Bezirk weiß als jeder andere - auch wenn er selbst noch nie mit der Dose losgezogen ist ...

Berlin hat neben Party und der Mauer noch ein Highlight zu bieten, für das die Hauptstadt weltweit bekannt ist: Berliner Street-Art. Neues aus der Szene wird in Medien und Blogs diskutiert und immer mehr internationale Künstler wollen sich an unseren Brandwänden verewigen – bevor ihr Werk neuen Malereien oder einem Bauprojekt zum Opfer fällt. Norbert Martins kämpft gegen ihr Verschwinden. Mit der Kamera zieht er durch Berlin, fotografiert Street Artists und ihre Wandbilder. Von neuen Aktionen erfährt er am Telefon, weil er in der Szene gut vernetzt ist. Norbert Martins ist 67 Jahre alt.

Ohne Dose in der Szene

Wir treffen den Rentner im Südblock am Kotti. Zwischen Fashionvictims und Diskokugeln sprechen wir über seine Liebe zu Street-Art. Er benutzt Namen wie „Ash“, „Blu“ oder „Lee Hill“ so selbstverständlich wie die von Gemüsesorten. Früher hat er hier zwischen besetzten Häusern gelebt, heute bietet er Führungen entlang der Straßenkunst an. Vor über 40 Jahren hat er sein erstes Wandbild fotografiert, dann wurden es immer mehr. Schnell bekam er Kontakt zu den Künstlern, bekommt von ihnen und ihren Auftraggebern Bescheid, wenn in Berlin wieder etwas Neues entsteht. „Das war für mich nur ein Hobby und ich war keine Konkurrenz, das ist sehr wichtig. So bin ich immer tiefer in die Szene gekommen“, erklärt Martins. Nur illegale Malereien, die fotografiert er nicht. Was bleibt denn dann noch?, denken wir.

Sehr viel! Das Bild von Blu auf der Cuvry-Brache war eine legale Auftragsarbeit, auch der berühmte Kosmonaut in der Mariannenstraße – im Prinzip alle großen Bilder, die niemand in einer Nacht- und Nebelaktion zustande bringt. Sie gehören zwischen 15 und 20 Jahren zum Stadtbild, bevor sie verschwinden. Dann sind sie in Norbert Martins Archiv und in seinen Büchern zu finden. „Die Leute sollen der Wandmalerei mehr Beachtung schenken und ein besseres Auge dafür bekommen. Das sind ja viele wichtige Künstler, die in dieser öffentlichen Galerie zu sehen sind!“ Nur dass der Senat dieses kreative Potential in der Stadt nicht nutze, das ärgert Martins. Und das obwohl viele Künstler aus der Illegalität heraustreten und von Wohnungsbaugesellschaften engagiert werden, wenn es für sie auf der Straße gut läuft.

Wie Street Art sich verändert hat

Martins kennt aber nicht nur über 700 Bilder in Berlin. Er kennt auch die Geschichten dahinter, weiß, was sie bedeuten oder welche Diskussionen sie ausgelöst haben. Auch die Veränderungen in der Szene hat er verfolgt: „Im Prinzip ist das ja alles Wandmalerei, nur die Mittel haben sich geändert. Früher hat man noch mit richtiger Wandmalfarbe gemalt; mit Graffiti wurde dann alles jünger, schneller und effektiver.“

Er selbst hat übrigens noch nie die Dose in die Hand genommen – dafür fehle ihm der nötige Schwung. Seiner Faszination tut das keinen Abbruch: „Die Größe, die Motive, die Ausführung, all das gefällt mir. Farbe ist sehr wichtig für das Stadtbild und Berlin wird dadurch verschönert!“, sagt Martins. Er hat sich zum Ziel gesetzt, diese offene Galerie in der Stadt für die Nachwelt festzuhalten.


Norbert Martins gibt sein Wissen in Vorträgen, Führungen und in seinen Büchern weiter. Sein Buch „Hauswände statt Leinwände. Berliner Wandbilder“ kannst du auf der Homepage von Norbert Martins und natürlich in gängigen Onlineshops bestellen. Seinen nächsten Vortrag hält Martins am 21. April 2016 in der Volkshochschule Baumschulenweg.

Südblock, Admiralstr. 1-2, 10999 Berlin

Telefon 030 60941853

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