Wer das Buch „Gefahrenzone“ gelesen hat, fühlt sich mit Roland Mary enger verbunden, so als wäre man einen Abend lang mit ihm in seinem Lokal zusammengerückt und hätte frei von der Leber weg geplaudert. Und auch das Borchardt fühlt sich mit einem Mal irgendwie heimischer an – nun, wo man weiß, dass hier durchaus nicht alles so geleckt läuft, wie es nach außen vielleicht scheint. Dass immer mal wieder Katastrophen gelöst werden müssen, beispielsweise dank Kellnern, die sich wie Diven benehmen. Einem Küchenteam, das vor lauter Stress schon mal ein Steak an die Wand pfeffert. Oder Gästen, die unbedingt an diesem einen Tisch sitzen wollen – wo das doch gegen die Regeln des Borchardt verstößt.
„Manche in der Gastronomie haben irgendwie einen – manchmal mehr, manchmal weniger sympathischen – Schaden“, schreibt Mary über das Personal in der Branche. Dabei werden auch die verschiedenen Typen des Kellners – vom Verbrüderer über den Arroganten bis hin zum Kollegenschwein – amüsant erklärt. Und dass es sehr schwer sei, gute Leute zu finden und diese trotz der oft hinterlistigen Abwerbungsversuche der Konkurrenz zu halten, er aber derzeit „sehr stolz“ auf seine Mannschaft sei.
Was ich mich beim Lesen aber tatsächlich gefragt habe: Gelten wohl die Ansprüche, die ans Borchardt gestellt werden, auch für alle anderen Mitarbeiter von Marys Restaurants? Als ich neulich im Cafe am Neuen See einen Crumble mit Ananassalat zurückgehen ließ, weil der meiner Meinung nach verbrannt schmeckte, brachte die Bedienung ihn mir kurze Zeit später wieder mit den Worten: Der Koch sagt, das gehört so.
Darauf kommt es im Borchardt an
„Unser Konzept von Gastronomie ist relativ simpel, ich würde es urban nennen (…) bei uns muss man sich nicht an einen Gourmet-Verhaltenskodex halten, damit man mit Respekt bedient wird (…)“, heißt es da – mit einem kleinen Seitenhieb auf die nicht selten exaltierte Sterneküche. Die Gäste sollen sich in erster Linie entspannen können, ohne dass der Kellner beispielsweise ständig Wasser und Wein nachgießt.
Essen ohne großes Brimborium, dafür aber qualitativ hochwertig, steht ganz oben auf der Liste. „Ich möchte keine Inszenierung aus dem Essen machen“, heißt es. „Für mich besteht die Herausforderung darin, das scheinbar Normale hervorragend zuzubereiten.“ Beim Schnitzel besteht das Geheimnis übrigens vor allem aus den Bröseln (selbst gemacht aus Weißbrot), dem Fett (Butter) – und natürlich gutem Fleisch (reines Kalbsfleisch, flach geklopft).
Was die Gäste betrifft, so will man keineswegs nur ein Restaurant für Prominente sein – ganz im Gegenteil. „Das Wichtigste ist (…) immer die Mischung der Gäste, nichts ist schlimmer als Homogenität (…). Das Promi-Etikett klebt seitdem (Anmerkung der Redaktion: seit der Boulevard-Journalist Franz Josef Wagner es erfunden hat) sehr fest auf der Borchardt-Tür, was mir gar nicht so lieb ist“, schreibt der Gastronom. Als Obama zu Gast war, zog das natürlich mediale Aufmerksamkeit auf das Restaurant. Nett: „Übrigens haben Obama und seine Entourage natürlich ganz normal die Rechnung für ihr Essen bezahlt, und ich gehe fest davon aus, dass sich der amerikanische Staat das leisten kann.“
Beeindruckende Karriere
Roland Mary, Sohn einer Deutschen, die genial kochen konnte, und eines Franzosen, ist im Saarland aufgewachsen, war in einem katholischen Internat und hat seine ersten Schritte in der Gastronomie selbst als Kellner in einem kleinen Café in Steglitz gemacht. Später eröffnete er das Restaurant Shell in einer alten Tankstelle am Savignyplatz, das er bald darauf wieder verkaufte. 1992 startete er dann mit dem Borchardt durch. Heute betreibt er außerdem noch einen Catering Service, das Café am Neuen See, eine Naturbäckerei, das Grosz am Ku’damm und noch einiges mehr.
Interessant ist auch der kurze Einblick in die Geschichte des Borchardt, das bereits 1853 von August Friedrich Wilhelm Borchardt gegründet wurde. Damals war es einer der bekanntesten Feinkostläden des Kontinents und wurde „Little Harrods“ genannt.
„Gefahrenzone – Geschichten aus dem Buch eines Restaurants“, von Roland Mary und Rainer Schmidt, Goldmann Verlag, ca. 18 Euro
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