QIEZ: Eure Leidenschaft für Mode sieht man sofort. Seit wann ist sie so ausgeprägt?
Riccardo: Schon in der Grundschule habe ich eigene Looks kreiert, mir Sternchen unter die Augen geklebt. Der Berufswunsch kam in der Pubertät, durch das Theaterspielen und Modeln. Mein Blog The Fabulous Life of Ricci ist sehr modeaffin und soll die Menschen inspirieren. Es ist eine Kolumne über mein Leben. Zwischen Selfies, Snapchat und perfekten Outfits steckt oft mehr Persönlichkeit, als die meisten Menschen glauben.
Leni: Ich habe viel gezeichnet und wollte früher Comic-Zeichner werden. Daraus wurden dann Mode-Figuren mit selbst designten Klamotten. Und die wollte ich irgendwann auch selbst tragen. Also hat mir meine Mama nähen beigebracht. Bei meinen Entwürfen inspirieren mich japanische Mangas und Animes. Mit 15 Jahren habe ich dann mein eigenes Label Boygurl gegründet – mit Ausnahmegenehmigung, weil ich minderjährig war. Los ging’s mit bedruckten T-Shirts. Eines davon trug dann auf der Fashion Week Berlin prompt Collien Fernandes.
Dass ihr euch anders kleidet – auch „anders“ seid – kam in eurer Heimat damals nicht immer gut an. Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?
R: Ich bin in Bad Reichenhall aufgewachsen. Da wird alles, was anders ist, nicht so gern gesehen. Also wurde ich von beleidigt. Es kam sogar zu Handgreiflichkeiten. Immer wieder musste ich mich behaupten. Es gab nur Hater oder Fans. Ich musste entscheiden, was mir wichtiger ist: Die Meinung anderer Menschen oder ich selbst sein.
L: Ich komme aus Soest, einer erzkonservativen Stadt.Dort gab es viel Gerede und ich wurde gefragt, ob ich ein Junge oder ein Mädchen sei. Damals habe ich mich immer verteidigt und klargestellt, dass ich ein Junge bin. Nach dem Abi bin ich 2012 für’s Mode-Design-Studium nach Berlin gezogen. Hier sind Paradiesvögel wie Riccardo und ich besser aufgehoben.
Leni, du hast ein eigenes Label. Riccardo, du möchtest deine eigene Marke werden. Wie etabliert man sich oder ein Label?
R: Mein Traum ist es ein Superstar zu werden. Nur so kann ich mich als Mensch verwirklichen. Wenn ich in einer Welt angenommen werde, die mich für meine unangepasste Art schätzt, nicht kritisiert. Ich will damit ganz bewusst in den Mainstream-Bereich rein und auch massenkompatible Fernsehformate mitmachen. Dort gibt es doch heute kaum noch Menschen, die inspirieren. Ich will Menschen zeigen und vorleben, wie es laufen kann, wenn man an seine Träume glaubt.
L: Meine Marke Boltish steht für Geschlechterfreiheit und Individualität und ist deshalb unisex. Ich möchte den Leuten ein Stück Freiheit zurückgeben, was ihr Geschlecht und ihren Stil angeht. Anders als die Sachen großer Ketten steht das Label für ausgefallene Teile.
Ist die klassische Aufteilung in Frauen- und Männermode überhaupt noch zeitgemäß?
R: Männer sollten problemlos Kleidung tragen können, die in der Damenabteilung hängt. Ich hab früher schon gern Skinny Jeans getragen und wurde damit aufgezogen, dass ich wohl ein Mädchen sein will.
L: Es sollte gleich gar keine getrennte Männer- und Frauenabteilung geben. Ich entwerfe Uni-Sex-Mode, weil ich das Genderkonstrukt aufbrechen möchte und Leuten die Freiheit geben, sich selbst auszusuchen, was sie tragen wollen.
Leni, du definierst dich weder als Mann noch als Frau, hast neulich in einem Interview gesagt, dass du dich in die Schublade „Ein Mädchen, das zufrieden im Körper eines Jungen ist“ packen würdest. In welcher Schublade steckst du, Riccardo?
R: Ich identifiziere mich als Mann. Aber für mich ist ein Mann nicht weniger Mann, weil er seine weibliche Seite auslebt. Ich trage gerne Kleider und fühle mich darin wohl. Das heißt nicht, dass ich in einem Rock eine Frau sein will. Ich kann auch als Mann einen Rock tragen. Eigentlich ist ein Kleidungsstück doch neutral. Es ist ein Stück Stoff, dem eine Form gegeben wurde. Der Designer entscheidet dann, ob es für Frauen oder Männer bestimmt ist. Warum nicht sein Träger?
L: Der Boyfriend-Look ist bei Frauen total etabliert. Sie haben die Freiheit, sich maskulin zu kleiden und keiner regt sich auf. Da muss bei Männern erst noch die modische Revolution kommen.
R: Ich denke, es liegt daran, dass Weiblichkeit in der Gesellschaft heute immer noch als etwas Schwaches angesehen wird. Und als Mann kannst du gar nichts Schwächeres darstellen, als einen Mann mit femininen Zügen.
Seid ihr Teil der Berliner Queer-Gay-Party-Szene?
R: Ich ordne mich da nicht genau ein, weil ich sie in Berlin gar nicht so sehr von der Hetero-Szene trennen würde. Ich bin in der Modeszene unterwegs. Da ist alles so vermischt, dass man nicht unbedingt auf die sexuelle Orientierung guckt. Da ich generell wenig ausgehe, würde ich einfach dahin gehen, wo es mir Spaß macht. Unabhängig von meiner eigenen Sexualität.
Die da wäre?
R: Darüber rede ich nicht.
Und du Leni?
L: Auch für mich ist es Teil meines Privatlebens und für meine Arbeit nicht relevant. Trotzdem sehe ich mich als Teil der Szene. Denn ich bin Performer. So discomäßig mit LED-Lichtern. Ich trete regelmäßig bei der Krank-Party von Larry Tee im Bertram‘s auf und jetzt auch bei Jurassica Parkas Popkicker im SchwuZ.
Was steht als Nächstes bei euch an?
R: Ich moderiere gerade für glamour.de eine Sendung, bei der ich Interviewgäste habe, mit denen ich beim „Chatwalk“ durch Berlin spaziere, über ihre persönliche Geschichte und die neuesten Trends spreche. Außerdem moderiere ich auf E! Entertainment eine Sendung. Sie nennt sich E! Red Carpet Suit. Da geht es um verschiedene Events wie die Oscars, die Schönen und Reichen dieser Welt also und deren persönlichen Style.
L: Ich studiere noch zwei Semester Mode-Design an der Kunsthochschule Weißensee und möchte dann mit meinem Accessoire-Label Boltish weitermachen. Also Choker-Halsketten, Caps, Handy-Hüllen, kleine Taschen, Schlüsselanhänger und vieles mehr designen. Es werden bunte, knallige Sachen, die gut zu Berlin passen und in meinem Online-Shop Boygurl erhältlich sein.
Apropos Shopping. Wo geht ihr am liebsten einkaufen?
R: Ich liebeden Vintage Shop Made in Berlin in der Neuen Schönhauser Straße. Diverse Second Hand-Teile und die schillerndsten Stücke in meiner Garderobe kommen von dort.
L: Ich gehe gerne in die Garage in der Nähe vom Nollendorfplatz. Die haben da fast alles und es ist nicht teuer. Denn den Kaufpreis der Second-Hand-Teile bestimmt ihr Gewicht.