Kommentar

Jetzt kommen Miet-Haie an die Bucht

Rummelburger Bucht
Diesen Blick hat man am Ufer an der Rummelsburger Bucht, das jetzt nach dem "Bebauungsplan Ostkreuz" entwickelt wird.
Der Bebauungsplan für die Rummelburger Bucht ist beschlossene Sache. Trotz großer Proteste wird der Bezirk die Bucht zum Wohnen und Arbeiten schick machen und ein großes, neues Aquarium soll Touristen anziehen. Für viele Protestler ist es der Knackpunkt des Plans. Das verstehen wir nicht ganz ...

„Immobilienhaie raus aus der Bucht!“, „Wir brauchen keine Touristenschwärme!“ Ähnliche Sprüche waren auf Plakaten zu lesen, die auf Demos gegen den Bebauungsplan-Entwurf XVII-4 in die Luft gehalten wurden, an der Fassade vom alternativen Club About Blank zu lesen waren oder vor dem Kulturschiff Freibeuter hingen. Das Schiff ist längst weg, die Hoffnung auf das Aus des Plans und darauf, dass stattdessen eine Volksbefragung über die Zukunft der Rummelburger Bucht durchgesetzt werden könnte, auch. Dabei hatte sich zuletzt reger Protest gegen den Bebauungsplan in der jetzigen Form gebildet. Lautstark sind hunderte rund ums Ostkreuz gezogen, um eine neue Diskussion über die Sahne-Grundstücke am Wasser einzufordern. Die Initiative Rummelsburger Bucht retten hat nach eigenen Angaben über 25.000 Unterschriften gesammelt, die dafür sorgen sollten, dass ihr alternatives Konzept für die Entwicklung der Bucht dem Berliner Abgeordnetenhaus vorgestellt werden kann. Völlig umsonst, wie es aussieht. Denn am 29. April hat die Bezirksverordnetenversammlung Lichtenberg den Bebauungsplan in seiner bestehenden, umstrittenen Form verabschiedet.

Das wird jetzt an der Rummelburger Bucht gebaut

Seit 1992 wird, auch mittels Bürgerbeteiligung, an dem Plan gearbeitet. Die wichtigsten Fakten des Beschlusses: 500 neue Wohnungen sollen jetzt in der Wasserlage nahe dem Bahnhof Ostkreuz entstehen, mindestens 110 davon Sozialwohnungen, gebaut von der landeseigenen Howoge – also nur ein minimaler Anteil der Wohnflächen. Auch mehr Kitaplätze werden den Anwohnern versprochen. Davon abgesehen, werden sich private Investoren ansiedeln. So sollen Büroflächen und Möglichkeiten für die Nahversorgung der Anwohner entstehen. Das (weiterhin) frei zugängliche Ufer soll parkähnlich gestaltet werden. Das finanziert das so genannte „Wasserhaus“, die Coral World, die als drittes Berliner Aquarium mit Wasserpark vor Ort enstehen soll. Denkt man an die abgesperrten Brachflächen und Zeltlager, die jetzt den unteren Zipfel der Bucht prägen, an die vielen Familien in dem Wohngebiet und den verdreckten Boden in der Bucht – für den sich die Coral World eventuell auch interessieren könnte, zumal an dem Standort auch zum Thema Leben im Wasser geforscht werden könnte – klingt das nach keiner so schlechten Idee, oder?

 

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Ein Beitrag geteilt von Nelli Hergenröther (@no_vem_ber) am Sep 24, 2018 um 4:28 PDT

Miete zahlen in „attraktiver Wohnlage“

Der Bezirk spricht aber auch von einer „attraktiven Wasserlage“ und davon, dass die Bucht „modern, attraktiv und familienfreundlich“ gestaltet werden soll. Und da haben wir diese Worte, die bei genauerem Hinsehen sauer aufstoßen. Die bei jedem, der schon mal was von Gentrifizierung gehört hat, alle Alarmglocken klingeln lassen. Geht es um attraktive Grundstücke am Wasser, geht es immer auch um schicke Wohnungen mit riesiger Glasfront, in denen sich die Miete sowieso kein Normalsterblicher mehr leisten kann. Schon jetzt sind Wohnungen an der Bucht, zum Beispiel in den alten Knabenhäusern weiter hinten am Ufer, für junge Berliner*innen mit Durchschnittsgehalt kaum erschwinglich. In neuen Häusern der Howoge auf der unattraktiveren, weil nicht am Wasser gelegenen, Seite der Hauptstraße, die an der Bucht entlang führt, zahlt schon um die 1000 Euro für eine Drei-Zimmer-Wohnung, wer keinen Wohnberechtigungsschein hat. Wie wird das erst in einem Neubau direkt am Wasser? In Sachen Miete garantiert angsteinflößend! Und werden Autofahrer*innen jetzt 40 statt 30 Minuten rund ums Ostkreuz im Stau stehen, weil sich noch mehr Vehikel täglich durch das verkehrstechnische Nadelöhr zwängen werden?

Das haben die Aktivisten gegen Coral World und Co

Die Initiative Rummelsburger Bucht retten hat aber noch ganz andere Bedenken: Das Aquarium Coral World wollen die Mitglieder nicht in Lichtenberg haben, dafür ist auch der Mangel an Parkplätzen für die erwarteten 500.000 Besucher ein Argument. Sie sehen auch schlicht keine Notwendigkeit dafür, an dieser Stelle einen Wasserpark inklusive Wasserspielplatz zu errichten, wie es ihn vom gleichen Unternehmen in ähnlicher Form auch schon in Israel, Australien, auf Mallorca oder Hawaii gibt. Das dafür vorgesehene Areal wollen sie stattdessen für einen Gemeinschaftsgarten nutzen. Außerdem fordern sie mehr bezahlbare Wohnungen als geplant, eine Schule, eingebettet in einen Bildungscampus und dass mehr Grünflächen und der Baumbestand vor Ort erhalten bleiben. Ein „urbanes Biotop soll entstehen“, wo in Häusern aus Holz gelebt und gearbeitet wird, wo Bildung, Freizeit, Kultur, Kunst, Sport und auch die definitiv fehlende Nahversorgung Platz haben. Und natürlich wünscht man sich auch, dass der Kultur-Biergarten Rummels Bucht erhalten bleibt.

Laut einer Presseerklärung auf der Homepage zur Initiative steht: „die geplante Entwicklung am Ostkreuz steht exemplarisch für die Aufwertungsprozesse in der Stadt“. Wenn es nach den Initiator*innen ginge, würde die Entwicklung an der Bucht sofort gestoppt und der Verkauf der landeseigenen Flächen vor Ort sofort rückabgewickelt. Dann wollen auch sie, dass an der Bucht gebaut wird. Allerdings auf gar keinen Fall nach dem jetzt beschlossenen Bebauungsplan, sondern nach einem alternativen Plan, „mit einem Schwerpunkt auf dem Erhalt von Altbestand, Freiräumen, Natur und sozialräumlichen Qualitäten, sowie eine gemeinwohlorientierte Entwicklung“. Das klingt nach einem Vorhaben, das man umsetzen sollte!

 

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Ein Beitrag geteilt von Best Of Berlin (@best_of_berlin) am Okt 12, 2018 um 6:06 PDT

Ihren alternativen Planungsentwurf, den unter anderem eine Stadtplanerin, ein Anwalt und ein Architekt ehrenamtlich mitentwickelt haben, wollte die Initiative auf einer Infoveranstaltung im März auch den Bezirkspolitikern offiziell vorstellen. Die Infoveranstaltung wurde wegen eines Streiks am Veranstaltungsort kurzfristig abgesagt, eine Wiederholung gab es nicht, stattdessen eine verfrühte Entscheidung über die Bebauung der Bucht von Seiten der Bezirksverordnetenversammlung. Ohne eine ausführliche Diskussion über den sehr gelungenen alternativen Entwurf in der BVV.

Der Bezirk pfeift auf 25.000 Gegenstimmen

Und warum pfeift der Bezirk auf die Argumente der Initiative? Am Ende war es eine Ganz-oder-gar-nicht-Entscheidung: Laut Bezirk wäre die Alternative zum Bebauungsplan ein finanzieller Verlust von 20 Millionen Euro und die Tatsache, dass in den kommenden Jahren die dringend benötigte Entwicklung in dem Kiez überhaupt nicht stattfinden würde. Von den Kaufverträgen mit den Investoren könne das Land Berlin außerdem nicht mehr zurücktreten. Nun haben wir also eine tolle Idee für ein stadtplanerisches Projekt, müssen offensichtlich aber mit der profitorientierten und planerisch weit weniger überzeugenden Variante leben, frei nach dem Motto: lieber schlecht machen als gar nicht.

Dürfen wir uns trotzdem auf das Aquarium freuen?

Wir müssen aber gestehen: Wenn es jetzt so ist, dann freuen wir uns auf die Coral World! Oder sagen wir mal so, ich als Anwohnerin habe Bock drauf. Viel mehr, als mit meinem Kind nach Charlottenburg ins überfüllte Aquarium vom Zoo zu eiern und wieder zurück. Natürlich lässt sich darüber streiten, ob das Aquarium, wie es die Gegner*innen des Bebauungsplans ausdrücken, „überflüssig“ ist. Im Prinzip könnte man jeder Art von Einrichtung für Freizeitgestaltung vorwerfen, sie sei überflüssig. Brauchen wir Tierparks, Kinos oder Museen zum Überleben? Eher nicht. Aber sie machen das Leben schöner und im Fall von Coral World steckt zumindest ein Biologe hinter dem Projekt, dem es nicht nur um den Profit, sondern auch um die Umwelt zu gehen scheint. Nennt mich naiv, aber vielleicht bringt das am Ende etwas Gutes für die Wasserqualität in Lichtenberg mit sich.

 

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Ein Beitrag geteilt von QIEZ (@qiez.de) am Okt 30, 2018 um 3:45 PDT

Klar, ich habe keinen Kitaplatz an der Bucht bekommen. Ich werde, Stand jetzt, bei einem möglichen Umzug wohl keine für mich bezahlbare Wohnung mehr im Kiez an der Rummelsburger Bucht finden. Und ich hab es satt, am Wochenende beim einzigen, nicht besonders hochwertigen Bäcker im Kiez Schlange stehen zu müssen wie auf dem Dorf, weil es kaum Einkaufsmöglichkeiten in der Ecke gibt. Aber da kann das Aquarium nichts für.

Definitiv überflüssig scheinen an dem Standort überteuerte Wohnungen, ein Hotel und fancy Büroräume. Der Plan von Rummelburg für alle klingt dagegen wundervoll! Macht’s bezahlbar, macht’s solidarisch, aber macht’s doch zusammen mit diesem Aquarium. Ja, es ist jetzt schon viel los an der Bucht und hier spazieren, spielen und entspannen längst nicht mehr nur Anwohner. Na und? Ob die Touristenmassen kommen, das ist eh nicht klar. Der Tierpark in Friedrichsfelde ist um einiges schlechter besucht als der Zoo in Charlottenburg, Touristen wagen sich halt kaum aus dem Ring heraus. Und falls doch, fahren sie meist auf direktem Weg wieder in die Innenstadt. Genauso wird ein Aquarium in Lichtenberg nicht für einen unerträglichen Boom an der gesamten Bucht sorgen. Also macht es nicht zum Sündenbock, sondern zum Verbündeten. Dann bleibt zu hoffen, dass wir das Klima an der Rummelburger Bucht erhalten können. Das ist bisher nicht geprägt durch Ausgrenzung und Ellenbogen, sondern von Zusammenhalt und Kreativität. Auch wenn der Traum vom besten Alternativkonzept der Welt jetzt wohl geplatzt ist.

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