„Entschuldigung, wir müssen noch etwas warten, bis der Film anfängt. Einige der Läufer sind noch in der Dusche.“ Wann bekommt man so etwas bei einer Premiere schon zu hören? Am Pfingstsonntag kamen rund vierzig durchgeschwitzte, aber gut gelaunte Menschen vor den Toren des Kinos Babylon in Mitte zum Stehen. Ihr Startpunkt war der Babelsberg in Potsdam. Was andere Leute mit dem Auto zurücklegen, sind die Ultraläufer mit einem Durchschnittstempo von 8 Kilometern pro Stunde gerannt. Seit neun Uhr morgens waren die rund vierzig Sportler unterwegs, um zur Premiere des Films „I want to run“ zu pilgern.
Die Atmosphäre im Saal ist ausgelassen. Man grüßt sich, man lacht. Während der Vorstellung ist immer wieder zustimmendes Gemurmel zu hören, oder ungläubiges Gelächter über die Extreme, die die Protagonisten freiwillig überstehen. „I want to run“ ist eine Dokumentation des Regisseurs Achim Michael Hasenberg. Dreieinhalb Jahre betreute er das Projekt. Über 64 Etappen geht die Tour bei einer Strecke von 4487,7 Kilometern vom italienischen Bari bis ans Nordkap – zu Fuß und ohne Pausentag. Im Schnitt legen die Ultraläufer siebzig Kilometer pro Tag zurück. Ultralauf ist eine Disziplin, die ins Extreme geht. Dabei wird immer eine Distanz zurückgelegt, die die des Marathonlaufs übersteigt. „Zur Vorbereitung auf den Film habe ich auch angefangen, zu joggen. Ich habe es beim ersten Mal auf lächerliche zehn Kilometer geschafft“, gab Hasenberg beim Publikumsgespräch zu.
Ein Test für Körper und Geist
Eigentlich sollte es ein Kurzfilm werden, der den professionellen Etappenläufer Achim Heukemes, damals 57-jährig, begleiten und dessen Sponsor bewerben sollte. Doch die Idee war für das Berliner Produktionsteam von filmband, zu dem Hasenberg gehört, bald zu interessant, als sie nur auf zehn Minuten zu begrenzen. Schließlich geht das Rennen über drei Monate, da sollte auch die Dokumentation länger als achtzig Minuten laufen, war die Meinung Hasenbergs damals. Die Drehtage entpuppten sich als Herausforderung für das Filmteam. Der erste Kameramann Christoph Sebastian Rose erinnert sich: „Ich fiel fast aus dem Kofferraum raus“, als er die Läufer auf den ungesicherten Straßen bei Schritttempo aufnahm. Eines Abends war er sogar so abenteuerlustig und wollte sich zu den in einer Turnhalle auf Iso-Matten nächtigenden Extremsportlern dazugesellen. „Nach zwei Stunden kam er reumütig zu uns zurück“, lachte Hasenberg. Es war eine weitere Strapaze des Rennens: Die 52 Männer und zwölf Frauen hatten zwischen Schnarchkonzerten und schmerzenden Gliedern Nacht für Nacht nur wenige Stunden Schlaf, ruhten auf hauchdünnen Iso-Matten und drängten sich dicht an dicht.
Die Premierenveranstaltung „Run to Cinema“, die von „I run for life“, der Deutschen Palliativ Stiftung und der Deutschen Bahn unterstützt wurde, ist aus einer Idee des LG Mauerweg entstanden. Der Berliner Verein richtet Langstreckenläufe aus, mit Vorliebe entlang der Mauer. Der Organisator Alexander von Uleniecki war auf den Film, der bereits in Cannes und bei anderen Festivals gezeigt wurde, aufmerksam geworden und hatte vorgeschlagen, einen Lauf dazu auf die Beine zu stellen. Der Gruppenlauf verlief nach Meinung der Teilnehmer sehr gut. Andreas Kramer, der bis dato „nur“ die Marathonstrecke lief, liebäugelt nun damit, dem LG Mauerweg beizutreten. „Durch die Gruppendynamik haben wir die acht Stunden super durchgezogen. Man hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, überfordert zu sein“, sagte er. Besonders der Blick vom Teufelsberg war die Strapazen für ihn wert.
Unglaubliches aus der Welt des Laufsports
Robert Wimmer, einer der Protagonisten des Films, nahm am Gruppenlauf zum Kino teil und war auch bei der Podiumsdiskussion vertreten. Auf die Frage, was ihn motiviere, antwortete er: „Ich kann immer laufen. Es macht Spaß. Der Transeuropalauf war der längste Lauf der Menschheitsgeschichte und ich wollte Geschichte machen.“ Beim ersten Lauf dieser Art von Lissabon nach Moskau hatte er das auch geschafft. Er kam circa 14 Stunden vor dem Zweiten ins Ziel. 2009, als die Dokumentation gefilmt wurde, war er immerhin Vierter. Der Gewinner des Wettlaufs von 2009 war Rainer Koch. Der Sportler, der zusätzlich im Deutschen Alpenverein Mitglied ist, kletterte nach einer der Etappen noch auf einen Berg, um sich einen Stempel des Vereins abzuholen. „Das war für mich unglaublich“, erzählte Hasenberg beim Interview.
Doch „einfach nur Spaß“ ist der Ultramarathonlauf natürlich nicht. Alexander von Uleniecki, der sich selber als Dickschädel bezeichnet, schätzt, dass viele Läufer im Extrembereich etwas wettzumachen haben. Er selber leide an Morbus Crohn. Ein Mann, der sich für die Dokumentation filmen ließ, versucht den Muskelabbau, der seiner Multiplen Sklerose geschuldet ist, durch den Sport entgegenzuwirken. Ein Sprecher der Deutschen Palliativ Stiftung erklärte es so: „Das ist eine Grenzerfahrung. Man lernt dabei, etwas Negatives in etwas Positives umzuwandeln.“ Wer sich ebenfalls dieser Grenzerfahrung hingeben will, kann zum Beispiel beim nächsten Nachtlauf des LG Mauerweg am 23. Juni mitmachen. Die Dokumentation „I want to run“ ist zurzeit täglich im Babylon Mitte zu sehen.
Mehr Infos zum LG Mauerweg gibt es hier.