Alteingesessene Berliner und Berlinerinnen sind wohl eher selten am Reichstag unterwegs oder gucken mal ins Bundeskanzleramt. Aber wenn die S-Bahn Richtung Hauptbahnhof am Regierungsviertel vorbei fährt, schauen die einen oder anderen schon mal auf oder drehen den Kopf, um das Panorama zu betrachten. Der Architekturstil ist wohl Geschmackssache. Aber wenn die Sonne auf die leuchtend weißen Gebäude, den pingelig gestutzten grünen Rasen und die glitzernde Spree scheint, macht das schon was her.
Mit der Entscheidung, den Sitz des Bundestages zu verlegen und Berlin wieder zur Hauptstadt der Bundesrepublik zu küren, startete 1993 die „Entwicklungsmaßnahme Hauptstadt Berlin – Parlaments- und Regierungsviertel“. Die ehemals geteilte Stadt sollte verbunden werden und ein einheitliches politisches Zentrum erhalten. Über 500 Millionen Euro wurden über die Jahre hinweg investiert, 470 Einzelprojekte umgesetzt, 25 km Straße und 14 Brücken instandgesetzt sowie Grün- und Freiflächen von insgesamt 23 Hektar angelegt.
Gelungene und gescheiterte Symbolik
In die Architektur der neu errichteten oder erneuerten Parlamentsgebäude ist viel politische Symbolik eingelassen. So können Besucher etwa von der Reichstagskuppel aus in den darunter gelegenen Plenarsaal schauen. Das Volk schaut den Gewählten quasi bei der Arbeit über die Schulter. Daneben erstreckt sich das „Band des Bundes“: eine Anreihung von Gebäuden, angefangen beim Bundeskanzleramt, über das lange Paul-Löbe-Haus, in dem Abgeordnete ihre Büros haben und sich Ausschüsse zu Sitzungen treffen, hin zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus mit der Parlamentsbibliothek. Letzteres befindet sich auf dem östlichen Areal, welches die Berliner Mauer ehemals von dem Gebiet auf der Westseite der Spree trennte. Heute verbindet eine gläserne Brücke über dem Stadtkanal die Häuser und bringt damit das frühere Ost- und Westberlin zusammen. Eine weitere architektonische Idee ist allerdings nicht ganz aufgegangen: Auf der Freifläche zwischen Paul-Löbe-Haus und Bundeskanzleramt sollte ursprünglich das Bürgerforum stehen und so das geplante durchgängige Häuser-Band mit den Sitzen von Regierung, Volk und Parlament vervollständigen. Ohne das Gebäude des Bürgerforums stehen sich nun Exekutive und Legislative monolithisch gegenüber.
Wer tummelt sich zwischen den Sehenswürdigkeiten?
Beim Spazieren durch das Areal kann man solche Details von den verschiedenen professionellen und privaten City Guides aufschnappen. Da lassen sich Interessierte auf Rikschas mit gleichzeitiger Stadtführung durch das Regierungsviertel fahren und andere hören bei der gemeinsamen Radtour ihren Gastgeber darüber schimpfen, dass man nun nicht mehr auf dem Rasen vor dem Reichstag Fußball spielen darf. Im Hintergrund hat sich eine Kindergartengruppe angesammelt und veranstaltet Kreis-Spiele. Vielleicht gibt es für Kinder eine Ausnahme, was das Spielen angeht. Vielleicht handelt es sich sogar um den Nachwuchs der Abgeordneten, die nämlich direkt neben den Parlamentsgebäuden in den Kindergarten gehen. Die täglichen BegleiterInnen der PolitikerInnen und anderer wichtiger Menschen kann man hier auch entdecken. Vor dem Paul-Löbe-Hause warten so einige Chauffeure in teuren schwarzen Autos. Die meisten vertreiben sich irgendwie die Zeit, mindestens einer schläft allerdings mit offen stehendem Mund in seinem Fahrersitz.
Während das Viertel für Touris vor allem Sehenswürdigkeiten bietet, ist es für die ständigen StadtbewohnerInnen wahrscheinlich spannender, das Treiben im Regierungsviertel und die anderen BetrachterInnen zu betrachten. Auf die verschiedenen Sprachen hören, schauen, wer sich hier wie und wo fotografieren lässt – sich vielleicht sogar selbst heimlich in den Bildhintergrund stellen – die eigene Stadt durch fremde Augen zu betrachten und eben kleine Details über die Geschichte der Gebäude erfahren – damit kann ein Spaziergang zwischen Reichstag und Spreeufer auch für BerlinerInnen sehr unterhaltsam und interessant sein. An der Spree entlang finden sich dann so einige ruhige Plätzchen, um in der Sonne zu sitzen oder auch am Ufer entlang zu joggen oder zu skaten.