Durch den Kiez

Wallis Bird: Indiana Jones vom Schillerkiez

Das Tempelhofer Feld ist einer der liebsten Orte der gebürtigen Irin Wallis Bird in Berlin.
Das Tempelhofer Feld ist einer der liebsten Orte der gebürtigen Irin Wallis Bird in Berlin. Zur Foto-Galerie
Während andere Frauen es nicht einmal verraten, feiert die Musikerin Wallis Bird ihr Alter: Warum 36 für sie die perfekte Zahl ist, was das mit Indiana Jones zu tun hat und warum Berlins Seele in seinen Häusern steckt, verrät sie uns bei einem feucht-fröhlichen Spaziergang durch ihren Neuköllner Lieblingskiez.

Zwischen dem Hermannplatz und dem Tempelhofer Feld, vor allem aber im Neuköllner Schillerkiez kennt sich Wallis Bird bestens aus. „Dieser Kiez ist ein guter Freund für mich“, sagt sie, als sie mit uns und ihrem Fahrrad die Herrfurthstraße entlangspaziert. Und wie mit einem guten Freund hat sie hier einige Höhen und Tiefen erlebt. Entspannte Momente in der Sonne auf dem Herrfurthplatz oder Partys und versoffene Tage bei Bloody Marys im Engels. Wild waren vor allem die ersten beiden Berliner Jahre für Wallis: „Anfangs hat Berlin so viel Spaß gemacht, der Tag hatte nie genügend Stunden! Als ich herkam, bin ich rausgegangen um Brot zu holen und kam erst drei Tage später wieder nach Hause. Es war verrückt. Viele Freunde habe ich einfach beim Herumlaufen kennengelernt.“ Das glauben wir der sympathischen Irin aufs Wort! Auch wenn sie ihre Berliner Partyzeit nicht nur positiv in Erinnerung hat: Tresor, Watergate, Loftus Hall, Berghain, Kitkat, Kater Blau, Wallis hat sich überall ausgetobt. Denn sie war so unglücklich verliebt, dass sie keine Schnulzen mehr hören konnte. In Berlins Clubs zog es sie vor allem, weil sie beim Tanzen zu Elektro weder reden noch denken musste. „Ich wollte mich einfach lebendig fühlen. Mir war kein Abenteuer groß genug, aber es war ein bisschen zu viel. Jetzt, in einer Beziehung, fühle ich mich viel sicherer.“

Erinnerungen an die ersten Tage in Berlin holen Wallis Bird immer wieder ein, auch am Herrfurthplatz.

Mittlerweile trifft man Wallis stattdessen eher in Kneipen und auf Hauspartys. Und auf die Frage nach ihrem Lieblingsdrink empfiehlt Wallis den Kaffee im Café Jacobi: „Der Cappuccino ist himmlisch! Ich bin kein Kaffee-Junkie, aber dieses Zeug ist echt besonders!“ Morgens gibt es statt Cocktails ein Frühstück, das jeden Kater in die Flucht schlagen könnte wie das „gefährlich gute“ Angebot im Geist im Glas. Auch das Roamers kann Wallis zum Frühstücken wärmstens empfehlen oder sie genießt tolles Brot mit frischen Pasten und Obst in ihrem Lieblingscafé Café Bonjour.

Die Seele der Berliner*innen steckt in den Häusern

Trotzdem gibt es für uns nach einem Käffchen im Café Lux ein Bier vor Vier in dem Kiez, in dem die Wahlberlinerin noch immer am liebsten abhängt: dem Schillerkiez. Hier liegt auch die erste eigene Wohnung, die die irische Musikerin in Berlin bezogen hat. Dass sie hier irgendwann leben würde, wusste sie nach ihrem ersten Besuch der Hauptstadt im Jahr 2008: Wallis wurde in eine typische Altbauwohnung eingeladen – aber mit offener Küche und einem Klavier im Wohnzimmer. Als sie erfuhr, dass sich diesen Lebensstil eine Studentin leisten konnte und noch dazu jeder hier seinen Wohnraum selbst gestalten kann, war es um Wallis geschehen. Während man in Irland komplett möblierte Apartments bezieht und kaum einen Nagel in die Wand hauen darf, bemerkte sie: „Die Persönlichkeit der Leute spiegelte sich in ihrem Zuhause und ich wusste: Okay, eines Tages möchte ich hier leben.“ Von diesem Moment erzählt der Song Berlin, den Wallis direkt am Klavier in der beeindruckenden Wohnung komponiert hat. Für Neukölln hat sie sich ganz bewusst entschieden: „Es ist eine wundervolle Gegend“, schwärmt sie „voll mit abgefuckten Häusern. Die Hasenheide, das Tempelhofer Feld, das gibt mir einen freien Kopf.“

In der Natur kommt Wallis zur Ruhe.

 

Den Kopf frei bekommen, das kann die Musikerin gerade sicher gut gebrauchen. Ihr neues Album Woman ist erschienen. Eine Platte, die eine Menge Soul hat und viele ernste Themen anspricht. Sie ist in Berlin entstanden, Wallis hat die Songs in ihrer Wohnung gleichzeitig geschrieben und aufgenommen – und die eigenen vier Altbauwände wochenlang maximal verlassen, um mal kurz einkaufen zu gehen. Während es auf dem letzten Album Home noch um die Beziehung zu ihrer Partnerin Tracy ging, ließ sich Wallis dieses Mal von den aktuellen Nachrichten inspirieren. Vom Brexit, von Berichten über Geflüchtete, von wachsendem Rassismus, Diskussionen um gleichgeschlechtliche Ehe oder dem Erstarken des Feminismus.

Eine leise Kriegerin für die Rechte der Frauen

Als sie mit dem Schreiben Anfing, fand in Wallis‘ Heimatland gerade ein Referendum über die Abschaffung des Abtreibungsverbotes statt. „Als Frau, die im katholischen Irland aufgewachsen ist, hat mich das Thema besonders berührt“, sagt sie. Die Tatsache, dass Frauen lange nicht über ihren eigenen Körper entscheiden durften, ist für Wallis ein Zeichen dafür, dass der weiblichen Stimme lange viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Und dass die Gleichberechtigung von Männern und Frauen weltweit noch nicht erreicht ist. Ob Wallis eine Feministin sei, das wurde sie mal von der Sängerin Beth Ditto gefragt. Damals hat Wallis die Frage verneint. Und bezeichnet sich jetzt als „leise Kämpferin“ für die Gleichstellung von Frauen – ihre Musik und der Titel des aktuellen Albums sind Ausdruck ihrer Forderung nach Gleichberechtigung. Und doch: Woman ist kein trauriges oder wütendes Album geworden. Im aktuellen Song Life Is Long singt sie stattdessen von glücklichen Momenten mit ihren Eltern – die cool genug waren, sieben Kinder großzuziehen, einen Pub zu betreiben und immer Musik und gute Stimmung ins Haus der Familie zu bringen.

Wallis schiebt ihr Rad, scherzt und lacht. Diese Frau ist keine, die die Feminismuskeule schwingt. Das macht sie lieber subtil, indem sie uns ins Café Aviatrix einlädt, das Frauen feiert, die Pioniere der Fluggeschichte waren. Und obwohl Wallis sich wochenlang mit den Negativschlagzeilen dieser Welt beschäftigt hat, strahlt sie eine Ruhe und Fröhlichkeit aus, die ihresgleichen sucht. Wie geht das? Um es zu verstehen, müssen wir noch einmal zurück zum erstarkenden Feminismus in Irland: Dort ist es Frauen nun erlaubt, Abtreibungen vornehmen zu lassen. Und Wallis weiß: Wenn so etwas möglich ist und die Welt sich zum Besseren verändert, dann merkt man, dass aus etwas Negativem etwas Gutes erwachsen kann. „Ich glaube, dass ich ganz tief in mir drin ein Licht habe. Denn es gibt so viel Schlechtes in der Welt. Wenn ich nicht genug lache, könnte ich nie aufhören zu weinen.“

Kaffee ist Wallis Birds Lieblingsdrink. Hier sitzt sie im Café Lux am Herrfurthplatz.

Also übt Wallis ganz gezielt, das Positive in den Mittelpunkt zu stellen. „Ich lasse Wut zu, wenn es der richtige Zeitpunkt dafür ist. Aber man darf nicht vor Trauer und Schmerz das Positive vergessen. Wenn ich positive Gedanken habe, fühle ich mich auch positiver.“ Und natürlich weiß jeder Wallis Bird-Fan: Aus schlimmen Erlebnissen das Beste zu machen, gelang Wallis schon in ihrer Kindheit. Nach einem Unfall mit einem Rasenmäher konnten nur vier Finger an der linken Hand des Mädchens wieder angenäht werden. Gitarre spielte Wallis später trotzdem – mit dem ihr eigenen Stil und einer Rechtshändergitarre, die sie schlicht umgedreht, und so eigentlich falsch herum, spielt.

Positive Energie zieht Wallis auch aus der Natur. „Ich bin ein Daydreamer“, sagt sie, als sie über ihre Liebe zu irischen Landschaften spricht. Die vermisst die Irin in Berlin natürlich – und dreht alternativ eben in der Hasenheide ihre Runden oder hängt in den Gemeinschaftsgärten auf dem Tempelhofer Feld ab. Am meisten leuchten ihre Augen aber, als sie vom Columbiabad erzählt: „Es ist so geil, die ganzen Familien kommen zusammen und sie haben nur Spaß. Sie haben mir gezeigt, wie man richtig ins Wasser springt. Also hänge ich dort eigentlich immer mit den Kids rum. Ich liebe es!“

Das perfekte Alter und Indiana Jones

Dass Wallis einerseits von Arschbomben schwärmt und andererseits die großen Themen unserer Zeit in ihren Songs besingt, liegt vielleicht an ihrem Alter. Sie ist 36 Jahre alt – und hat genau auf dieses Alter lange hingefiebert. Schwer zu glauben? Nicht, wenn man Wallis‘ wundervolle Geschichte dazu hört: Als kleines Mädchen saß sie mit einem Splitter im Finger im Pub ihrer Eltern. Den Mann, der den Splitter entfernt hat, beschreibt Wallis so: „Er war wie Indiana Jones: Eine geile Mischung zwischen einem jungen Mann und dem mittleren Alter.“  Als er fragte, wie alt die etwa sechsjährige Wallis ihn schätze, tippte sie auf 36. Sie mochte das Alter und wollte immer so alt sein wie dieser Mann. „Ich weiß nicht warum, aber vielleicht ist es ein gutes Alter zwischen Jugend und Weisheit.“ Genau das ist, was Wallis für uns ausstrahlt: die perfekte Mischung aus Party und Weisheit, aus Ruhe und Verrücktheit. Doch was macht sie, wenn sie an Silvester ihren 37. Geburtstag feiert? Hoffentlich immer noch die Konzertsäle der Welt zum Beben bringen!

Das neue Album Woman von Wallis Bird ist am 27. September erschienen. Am 10. Oktober kannst du sie live erleben, wenn sie es auf der New Moon Tour im Metropol vorstellt. Hier kannst du Karten bestellen.

Foto Galerie

Weitere Artikel zum Thema

Wohnen + Leben
Darum ist der Schillerkiez der schönste
Zwischen Hermannstraße und Tempelhofer Feld mischen sich fast dörfliche Atmosphäre mit einer Bar- und Restaurantvielfalt […]
Cafés | Essen + Trinken
Top 10: Cafés in Neukölln
Ob urig oder schick, vintage oder skandinavisch, in Neukölln gibt es jede Menge spannende Cafés […]
Essen + Trinken | Bars
Top 10: Bars in Neukölln
Es gibt wohl kaum einen Stadtteil in Berlin, in dem Bars und Cafés derart aus […]