Innsbrucker Platz

Es war einmal ein Geheimnis in Berlin-Schöneberg

Seit Jahren eingezäunt am Innsbrucker Platz, nun ein kleines Bezirkspolitikum. Keiner weiß, von wen die Dinger sind - dabei ist die Lösung ganz einfach und berlinisch.
Seit Jahren eingezäunt am Innsbrucker Platz, nun ein kleines Bezirkspolitikum. Keiner weiß, von wen die Dinger sind - dabei ist die Lösung ganz einfach und berlinisch.
Innsbrucker Platz - Politiker rätseln über eine Skulptur. Keiner weiß, woher sie kommt, wie sie heißt oder wer sie da hingestellt hat. Dabei ist es gar nicht so schwer: Wir haben einfach in ein paar Ordnern im Archiv des Kunstamtes gesucht und die Lösung gefunden.

„Ästhetikwelt“ steht über dem Haus an der Rubensstraße/Ecke Hauptstraße beim Innsbrucker Platz: Auf Fensterscheiben der Verschönerungswerkstatt wird für „Lippenvolumen“ und „Falten-Unterspritzung“ geworben. Gegenüber schützt ein Bauzaun die geheimnisvollste Skulpturen-Gruppe der Stadt – sechs ramponierte, gekerbte Eisenguss-Plastiken, deren rostige Patina an gegerbte Rinde, deren Form an Pfeile, Holzwerkzeuge oder Osterinsel-Kopien auf Diät denken lässt; aber kaum an jene Volumen, die Kunstliebhaber mit dem Straßenpatron Rubens assoziieren.

Da gibt es ein paar Ordner

Als ästhetisches Kleinod ist der nach Tirols Hauptstadt benannte, von Brücken, Bahnhof, Kreuzungsgewusel zerschnittene Knotenpunkt in seiner Nachkriegs-Klotzigkeit nie bezeichnet worden. Jetzt hat sich die Aufmerksamkeit der Berliner für einen Moment der ignorierten Kunst nebenan zugewandt, dem Sextett, das da zwischen vermoostem Pflaster, Laub und Flaschenscherben der Witterung trotzt. Deren Herkunft? Unklar. Christoph Götz (SPD), dessen Fraktion die Bevölkerung bereits um Identifizierungshilfe bittet, soll auf das Eingeständnis des angefragten CDU-Stadtrates Daniel Krüger, man könne weder den Künstler noch den Titel noch den Aufstellungstermin herausfinden, geantwortet haben: „Das ist ein dickes Ding.“

Ist es aber gerade nicht. Wer sich den Stelen unbefangen nähert, muss unwillkürlich an Zeilen von Joachim Ringelnatz denken: „Die dünnen Fraun am schwarzen Meere / benutzt man dort im Krieg als Speere“ – eine lyrische Assoziation, die heute kein Bezirksausschuss mehr akzeptieren könnte. Aber nüchterne, historische Recherchen führen hier zunächst ins Leere. Nicht mal die ehemalige Kunstamtsleiterin Katharina Kaiser weiß irgendwas, nur dass irgendwann in den 1990ern ein Bürgermeister das Projekt direkt mit dem Künstler verabredet und dann ihr Amt erst zur Einweihung einbezogen habe: Wir wussten gar nicht, ob wir das gut finden sollen. In der Bezirkspressestelle heißt es: Wir haben kein Archiv, wir sind noch nicht so lange da. Im Kunstamt-Archiv sagt man: „Da gibt es ein paar Ordner, schauen Sie mal.“

Friedliche Natur

In den Archiv-Ordnern findet sich allerlei. Das Hochhaus an der „Ästhetikwelt“ wurde 1957 stolz als „atombombensicher“ eingeweiht. 1959 schuf der Bildhauer Demetros Anastasatos unter dem Titel „Zellularien“ Skulpturen für das Landesmedizinaluntersuchungsamt Rubensstraße 111. Der Titel könnte passen … Aber unser flotter Sechser steht vor Haus 3a! Schließlich, im fünften Ordner, zwei Mini-Meldungen (Tagesspiegel und Pressedienst), und eine Mitteilung der Kunstamtsleiterin Kaiser: Sechs Stelen des Cloppenburger Wahlberliners Paul Dierkes (1907 bis 1968) werden zum 4. Februar 1994 am Innsbrucker Platz enthüllt. Von Dierkes stammt auch das Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kreuz für den Neubauturm von 1961. Die Eisen-Stelen waren ursprünglich aus Holz, sollen an „verlorene Natur“ und Tirol (= Innsbruck!) erinnern, da Verwitterung von Bäumen, Felsen und Rost einander ähnele. Sie stellen „Motive aus der Bergwelt“ dar. „Einen Namen haben sie noch nicht.“ Uff: kein Speer oder so, alles echt friedlich, pur Natur, die Kuh ist vom Eis.


Quelle: Der Tagesspiegel

Es war einmal ein Geheimnis in Berlin-Schöneberg, Hauptstraße 92, 12159 Berlin

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