Seit den Neunzigerjahren ist die Brückenstraße in Schöneweide berüchtigt: Die Schlägertypen der bekannten „Kameradschaft Treptow“ kamen hier in Kneipen zusammen, schütteten sich zu, zettelten Prügeleien an und planten, einem Mitglied der ehemaligen PDS eine Bombe auf den Balkon zu werfen. Der Sprengstoff war bereits beschafft, als die Neonazis – wegen einer anderen Angelegenheit – Besuch von Polizisten erhielten.
Gysis Wahlkreisbüro hat eigentlich immer eingeschlagene Scheiben
Sein Image ist Schöneweide nicht ganz losgeworden. Welcher Charlottenburger fährt schon nach Schöneweide? Und suchen Touristen, Neu-Hauptstädter und Austauschstudierende nicht beinahe nur die Innenstadt auf? Raed Saleh, Spandauer mit arabischen Wurzeln und SPD-Chef im Abgeordnetenhaus, hält nichts von Panikmache. Er äußert: „Ich habe schon das Gefühl, dass man sich als Mensch mit Migrationshintergrund nicht in allen Teilen dieser Stadt frei bewegen kann. Ich beobachte auch an mir selbst, dass ich mir überlege, ob ich zu jeder Tageszeit an bestimmten Orten der Stadt allein oder gar mit meiner Frau und meinen Kindern unterwegs sein wollte.“ Vor allem die Brückenstraße mache ihm Sorgen.
Die Straße ist gerade einmal 400 Meter lang, sie reicht vom S-Bahnhof Schöneweide zur Spree. Ein Friseursalon, eine Tram-Haltestelle, das Büro des Wahlkreises von Gregor Gysi, ein Spätkauf, Apotheke – alles nicht verdachterregend, wären da nicht all die Shops, Kneipen und WGs, in denen Neonazis wohnen, trinken, Propaganda unter die Leute bringen. Besonders im „Henker“, der 2009 von einem radikalen Rechten eröffnet wurde, kommen sie zusammen. Wie der Tagesspiegel berichtet hatte, wurde 2011 der Laden „Hexogen“ zu einem weiteren Treffpunkt – die Bezeichnung eines Sprengstoffs aus dem Zweiten Weltkrieg. NPD-Chef Sebastian Schmidtke hat seine Wohnung nebenan. Verfassungsschützer reden von einem Schwerpunkt der Szene, Vermieter und das Bezirksamt wollen sich des Henkers und des Hexogens entledigen, Verfahren sind anhängig.
Bei der letzten Wahl erhielt die NPD 9 Prozent
Die Fensterscheiben von Gysis Wahlkreisbüro sind für gewöhnlich eingeschlagen. Und in einer Kneipe gegenüber dem Konterfei des berühmten Linken treffen sich hin und wieder Leute, die in den Neunzigern kurzgeschorene Köpfe hatten, mittlerweile zwar längeres Haar haben, jedoch weiterhin bei Aufmärschen der NPD zu sehen sind. Die rechtsextreme Partei erhielt hier zuletzt neun Prozent, was allerdings auch damit zu tun haben dürfte, dass in Schöneweide gerade einmal 40 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt ihre Stimme abgeben. Doch gerade in der Brückenstraße hat eine türkische Gaststätte eröffnet. Serbische und libanesische Gäste, Liegestühle vor der Tür, Fußballspiele werden übertragen. Ein dunkelhäutiges Paar schiebt am Nachmittag seinen Kinderwagen vorüber. Atilla, ein 19-jähriger türkischer Schüler, trinkt Ayran und meint: „Probleme mit Rechten hatte ich nie.“ Klingt das nach einer No-Go-Gegend?
Eine, die sich im Kiez bestens auskennt, ist Kati Becker. Die 32-Jährige ist für das Zentrum für Demokratie tätig, das ein Büro am S-Bahnhof unterhält. Sie ist die Koordinatorin des bezirklichen Registers zum Erfassen rechtsextremer Vorfälle. „Angesichts des großen Potenzials an organisierten Neonazis ist die Zahl von Angriffen und Bedrohungen inzwischen fast niedrig“, so Becker. An keinem anderen Ort in der Stadt leben so viele rechtsextreme Funktionäre, angesichts dieser Tatsache könnte die Lage in Schöneweide auch schlimmer sein. Womöglich halten einige aus Taktikgründen den Ball flach. In den Neunzigerjahren, so Becker, seien beinahe jeden Tag linke Teenager attackiert worden.
Mehr Anwohner mit Migrationshintergrund sind zu erwarten
Apropos früher: In Schöneweide wurden zuletzt zahlreiche Symbole der „Vandalen“ mit ihrem einschlägigen Ruf gesichtet. Die Vandalen – Ost-Berliner Nazi-Rocker, die in den Achtzigerjahren auf sich aufmerksam machten – hatte schon die Stasi als gefährlich kategorisiert. Vor beinahe zwei Wochen kamen junge und alte Anhänger der Vandalen zu einem Konzert in der Lichtenberger Vulkanstraße zusammen.
Weil in der Innenstadt die Mieten so teuer sind, rechnen viele damit, dass immer mehr Migranten nach Schöneweide ziehen werden. Zwar hat die als Gentrifizierung bezeichnete Aufwertung von Kiezen die Auswirkung, dass Bewohner mit wenig Einkommen verdrängt werden. „Doch als Erstes ziehen Faschos weg“, meint ein Maler, der erst kürzlich in der Edisonstraße eingezogen ist, in nur zwei Gehminuten Entfernung zur Brückenstraße. „Die merken schnell, wenn sich ein Viertel mischt.“ Die Zeichen der Zeit nennt das der Kunstmaler. Mittlerweile ist laut einer Statistik jeder zehnte Bewohner in Schöneweide nichtdeutscher Herkunft. Im ehemaligen Kabelwerk Oberspree, das nach der Wende geschlossen worden war, hat sich die Hochschule für Technik und Wirtschaft eingerichtet. Die ersten Cafés mit Latte Macchiato gibt’s auch schon.