Kalifornische Seelöwen sind Publikumslieblinge. WM-Stürmer Lukas Podolski spielt derzeit nicht nur in der Nationalelf, sondern auch auf Youtube-Videos eine Runde Kopfball mit den als besonders pfiffig, spielfreudig und gelehrig geltenden Robben. Auch im Zirkus gehören sie traditionell zu den Stars. Doch oft werden sie nicht artgerecht gehalten.
Anders im Zoo. Dort ist ihr Zuhause ein künstlicher See, weitaus größer als ein 50-Meter-Olympiabecken. Mit Felsen, die an eine Klippenküste erinnern. Mit umherschaukelnden Beschäftigungstonnen voller Heringe, die sie aus Löchern herauspopeln. Doch ständig scheinen sie in Eile zu sein. Pfeilschnell wendige Körper am Grund oder in den Wellen, oft in Rückenschwimmer-Position, die Vorderflossen auf dem Bauch abgelegt wie zum Nickerchen. Und bei jeder Runde schnellt der Kopf hoch, direkt vor den Zuschauern. Neugieriger Blick, schwups, abgetaucht. Eine Wellenmaschine bringt die 800.000 Liter Wasser in Schwung. Wohlfühltemperatur? 10 bis 15 Grad. Salzgehalt? Fehlanzeige. „Seelöwen leben auch im Süßwasser gut“, sagt Zahmel. „Die sind anpassungsfähig.“
Seelöwenbullen sind besonders eifersüchtig
Nun steht er am Beckenrand und stellt seine Tiere vor. Conny robbt gerade flink übers Steinplateau. Die Seitenflossen nutzt sie als Ellenbogen, die Rückenmuskeln arbeiten heftig, die nach vorn angewinkelten Hinterflossen schieben nach. Die anderen Weibchen sind im Becken unterwegs – jedes eine eigene Persönlichkeit. Lucia misstraut erstmal jedem Fremden, Conny ist die Ruhe selbst, Doro gilt als launige Diva – Sandra ist Zahmels „Schmusekatze“. Seelöwen lassen sich ungern über ihr weiches Kurzhaarfell streicheln. Nur Sandra ist knuffig-knuddelig. Besonders, wenn sich in Zahmels Eimer viel Verführungspotenzial befindet. Wieviel frisst so ein Seelöwe am Tag?
Im Winter müssen Seelöwen schön fett sein
15.15 Uhr, Fütterung plus Artistik. Zahmel und Bonenberger nehmen noch einen Schluck Kaffee in ihrem Wärterhäuschen am benachbarten Pinguingehege. Sie schlüpfen in ihre Neoprenanzüge, vorm Becken drängen sich gut 200 Zuschauer. Bulle Enzo gehört heute nicht zur Showtruppe, er blökt und brüllt im Stall aus voller Brust. 116 Dezibel schafft seine Löwenröhre, haben die Pfleger gemessen. Die Lautstärke einer Kettensäge. „Ab ins Wasser und ein bisschen Spaß haben“, ruft Zahmel Sandra und Conny zu. Dann watet er ins Becken, schwimmt und taucht. Es gehört zu seinen obersten Dressurprinzipien, die Tiere in ihrem „ureigenen Element“ zu trainieren. Oft würden Seelöwen nur an Land vorgeführt. Doch erst im Wasser fühlten sie sich so richtig wohl. „Dort kann man viel besser mit ihnen arbeiten, das ist eine ganz andere Nummer.“
Sandra und Conny lassen ihn nicht aus den Augen. Zahmel spricht leise, dirigiert sie vor allem mit Arm- und Handzeichen. Sein Zeigefinger beschreibt einen Kreis, Sandra schnellt aus dem Wasser, Rückwärtssalto. Er reißt seine rechte Hand hoch – Schraubensprung. Er winkt, Sandra wedelt per Flosse zurück. Dann rollt sie sich über den Boden, holt Zahmels Basecap vom Kopf, schleppt ihn durchs Becken, apportiert Frisbees. Sie lässt sich abtasten und in den weit geöffneten Rachen gucken – eine wichtige Übung für medizinische Behandlungen. Zum Finale balanciert Sandra einen Ball auf der Schnauze, das schafft sie dank der steifen, extrem sensiblen Schnurr- oder Tasthaare. Und dann springen beide vom hohen Felsen, so dass es richtig platscht.
Auch dem Weißen Hai entkommen sie mit Saltos
Norbert Zahmel (45) ist ein geborener Kreuzberger, arbeitet seit 1985 im Zoo, pflegte bis 2002 die Raubtiere, ging danach eineinhalb Jahre auf Weltreise, ist Vater zweier Kinder und hat seit 2004, als er zum Zoo zurückkam, noch eine zweite Familie. „Das sind unsere Seelöwen“, sagt er. „Die sind alle total nett.“ Gleichwohl dürfe man nie vergessen, dass sie zu den Raubtieren gehören und zubeißen können. Deshalb sind die Pfleger beim Training hochkonzentriert, zumal Seelöwen keine so ausgeprägte Körpersprache wie Hunde oder Katzen haben. Sie müssen auf geweitete Pupillen achten, Imponiergehabe und andere Anzeichen von Angst, Überforderung, schlechter Laune.
Zahmel hat auch mit Hunden viel Erfahrung. Seelöwen seien wohl genauso intelligent, meint er. Wenn er Robben dressiert, geht er deshalb ähnlich vor. Zuallererst ein „inniges Vertrauen“ aufbauen – mit Leckerlis, ganz ohne Druck und Strafen. Möglichst in Augenhöhe mit den Schützlingen sprechen, sie langsam an die Hände gewöhnen. Zahmel schaut genau hin, welche Vorlieben jedes Tier hat und perfektioniert natürliche Verhaltensweisen. Seelöwen schlagen auch im Pazifik Saltos in der Luft. Sie entkommen so ihren einzigen Feinden, den Orcas und Weißen Haien.
Sandra beherrscht 60 Übungen. Wenn Norbert Zahmel sie leise ruft, patscht sie an Land, pustet ihm ein Küsschen ins Gesicht, gibt die Flosse. Liebe? Zärtlichkeit? „Nee, nee“, sagt Zahmel, “ is’ wohl eher der Hering.“