Na bitte, endlich mal etwas Action auf dem Alex. Ein klitzekleines Mädchen, ganz in Weiß, Mandelaugen, schwarze Haare, Pagenschnitt, will sich nicht länger von so einer blöden Absperrung stoppen lassen und rennt los, rauf aufs Filmset, so schnell die Füßchen es tragen. Ist es doch dort hochinteressant: Die Menschen so komisch gekleidet, auch eine altertümliche Straßenbahn und klobige Autos in düsteren Farben stehen herum. Hat sie so bestimmt noch nie gesehen. Aber da wetzt der Wachmann vom Eingang auch schon hinterher, schnappt sich die Kleine, durchaus behutsam, reicht sie der Mama, die hinterhergeeilt ist, und bittet nun alle, auch den aufs Set drängenden Rest der Gruppe, höflich, doch bestimmt wieder hinaus. „Sorry, closed area.“ Was hier gedreht wird, wissen die umstehenden Touristen nicht – „a new movie“, mehr hat der Mann am Tor nicht verraten. Mehr hätte auch kaum geholfen. Tom Tykwer verfilmt Volker Kutschers Geschichten um den Kommissar Gereon Rath? Von beiden hat ein Familienvater aus Kanada noch nie gehört.
Gut möglich, dass auch sie wie der zusätzlich montierte Blue Screen später dazu dient, dem realen Ort ein historisches Ambiente zu verleihen, die Spuren der Gegenwart am Computer heraus- und die Zeugnisse der Vergangenheit hineinzuschneiden. Die Weltzeituhr jedenfalls hat in einer in den zwanziger Jahren spielenden Serie keine Chance zu überleben.
Wie die Vergangenheit auf den Alexanderplatz kommt
Von solchen später auszuradierenden Fremdkörpern abgesehen: Für hinreichend Zeitkolorit ist gesorgt. Gut ein halbes Dutzend altertümlicher Autos, alle mit dem alten Berliner IA-Kennzeichen versehen, kurven auf dem Platz herum, wenn Tom Tykwer das Zeichen gibt. Auch ein Bierkutscher dirigiert seine Fässerladung zweispännig über den Platz, auf dem ein Querschnitt durch die Berliner Gesellschaft der Weimarer Zeit mal müßig herumsteht, mal zielstrebig vor laufender Kamera nach festgelegter Choreografie flaniert, parliert, einherschreitet: abgerissene Proletarier mit Schiebermützen, ein kleiner Junge, der, verdreckt, verschrammt und blutig, offenbar gerade eine Keilerei überstanden hat, Schupos mit Tschako, feine Pinkel mit Melone, die Frauen gern mit Bubikopf und Glockenhut, auch eine kleine Gruppe orthodoxer Juden aus dem Scheunenviertel wurden nicht vergessen. Nahe Saturn wurde ein historischer Kiosk (Tabak und Presse am Alexanderplatz) aufgebaut, und die historischen Radler hätten mit ihren robusten Gefährten beim Velothon für einiges Hallo gesorgt. Als städtische Transportmittel haben Kiepe und Bollerwagen heute ebenfalls ausgespielt.
Aber der Blickfang ist doch die alte Straßenbahn, die Tykwer immer wieder bei wuselig-luftigem Altberliner Großstadtverkehr die wenigen Meter auf die Haltestelle Alexanderplatz zurollen, anhalten und zurückfahren lässt. Ein nur zwei Waggons langer Zug der Linie 48 E zwischen Hackescher Markt und Pankow-Kirche, gefüllt mit Fahrgästen, die jetzt in der Sonne ziemlich schwitzen dürften. Aber zumindest müssten sie sich hier, sollten sie unter Nikotinsucht leiden, nach der Aufschrift am hinteren Waggon keinen Zwang auferlegen. Schließlich steht dort groß und breit: „Raucher“.