Als ich mich zum ersten Mal auf der Homepage der „Sex School“ umgeschaut habe, fand ich das Dargebotene erstmal sehr putzig. Und auch ein bisschen witzig. Dazu lädt die Umsetzung der Videos aber auch ein: Erfahrene Sex Worker und Porn Performer sitzen da in einem klassenzimmerartigen Raum und sagen brav die Themen an, die heute „durchgenommen“ werden. Rücken gerade, Unterricht fängt an! Als ich dann die ersten Clips schauen durfte, wurde aber schnell klar: Das Team meint es ernst, was die Qualität und den Anspruch der Szenen angeht. Und auch das Konzept, Sex in all seiner immensen Vielfalt und Dimension, aber immer am „echten Leben“ orientiert zu zeigen, kann ich klar erkennen. Trotzdem bleibt es „sexy content“, immerhin gibt es Videos, die explizit Menschen beim Vögeln zeigen, mit allen Details, in voller Länge. Da möchte ich natürlich mal nachfragen: Wie kam es zu dieser Idee, wer sind die Menschen, die mit vollem Körpereinsatz unser Sexleben und -wissen verbessern wollen – und wie laufen diese Drehs ab? Dafür habe ich mich mit Anarella Martinez-Madrid in einer Bar getroffen, und, na klar, ganz viel gefragt.
QIEZ: Anarella, erzähl mir ein bisschen was über dich. Wie kam es, dass du Sex mehr oder weniger zu deinem Beruf gemacht hast?
Anarella Martinez-Madrid: „Ich habe Kunst studiert und bin Kulturmanagerin. Bei meiner Arbeit und privat habe ich mich immer auch mit Sex beschäftigt, der Wahrnehmung des eigenen Körpers, wie man sich selbst besser kennenlernen kann, auch Traumata waren ein Thema. Außerdem bin ich international mit vielen Leuten vernetzt, die mit Video, Sound und anderen Kunstformen arbeiten. Irgendwann gab es die Möglichkeit, ein Sexfestival in Valencia mitzuorganisieren. Dort habe ich dann viele Menschen aus der alternativen Pornoszene kennengelernt.Ich fand Pornos bis dato immer ziemlich schlecht, habe durch diese Kontakte aber ein ganz neues Bild von dem Thema bekommen. Es waren so tolle Menschen mit so viel Wissen, ich habe mich verstanden gefühlt in dem, was mich selbst bewegt, wie ich lebe und was ich mag.“
Und wie entstand dann daraus die Idee zur Sex School?
„In Valencia habe ich vor ein paar Jahren die Performerin Maria Riot kennengelernt, dann in Berlin wiedergetroffen, dort hat sie mich der Filmemacherin Poppy Sanchez vorgestellt. Mit Poppy habe ich dann einen Film gemacht, hatte aber bereits die Idee, etwas in Richtung Sex und Bildung zu machen. Dann kam noch unser Investor dazu, den ich von der Idee überzeugen konnte – und nach gemeinsamem Brainstorming mit Poppy wurde das Projekt Sex School dann konkret und ich fing an, ein Team zusammenzustellen.“
Dazu gehören heute relativ bekannte Aktivist*innen, Performer*innen aus der alternativen Sex-Szene – vor und hinter der Kamera. Als Akteur*innen für die Videos konntet ihr Sadie Lune, Lina Bembe, Bishop Black und Parker Marx gewinnen – von allen habe ich schon mal gehört oder gelesen, sie sind doch sehr präsent. Kanntest du sie vor der Sex School auch schon?
„Die Szene in Berlin ist relativ klein, über einige Ecken kennt man irgendwann die meisten Akteur*innen. Sadie Lune ist BDSM-Coach und hat viel Erfahrung, sie ist toll, wir mögen Bishop, er ist super charmant und witzig, Parker ist eher der Intellektuelle, und Lina tritt auch als Aktivistin in Erscheinung. Und auch untereinander mögen sie sich und wir haben relativ schnell gesagt, wir machen das zusammen.“
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An Pornos mangelt es im Netz ja nicht. Schon Kinder können sich ruckzuck Hardcore-Szenen anschauen, alles ist verfügbar – und so ungefiltert kann das problematisch sein. Insbesondere, weil viele „klassische“ Porno-Clips durchaus fragwürdige Stereotype zeigen, nicht nur was die Sex-Performance angeht, sondern auch Consent, Geschlechterrollen… War das ein Teil eurer Motivation, mit der Sex School eine kuratierte Alternative zu bieten, die das echte Leben, echte Menschen besser abbildet?
„Absolut, wir wollen Sex auf eine andere Weise darstellen. Als junger Mensch musst du nur ‚Penis‘ in die Suchmaschine tippen, und du wirst zugeballert mit Pornos. Pornografie kann aber eben auch erziehen, einen Lerneffekt haben, wenn wir lebensnahe Szenen zeigen, die schönen und die schwierigen Seiten von Sex, peinliche Momente. Es kann nicht sein, dass es nur um Penetration und ‚geil, spritz mir ins Gesicht‘ geht.“
Deswegen reichen eure Themen von Sex zu dritt über Spezielleres wie „pleasure mapping“, aber auch dem Küssen wird ein eigener Film gewidmet. Wie wählt ihr eure Themen aus?
„Gerade versuchen wir erstmal, alle Basics abzuarbeiten. Das sind dann eben Dinge wie Dreier, Blow Job oder Küssen. Generell ist es unser Ziel, Sex und Sexualitäten zu normalisieren. Und künftig wollen wir dabei noch politischer werden. Ein geplantes Thema ist beispielsweise, wie queere Menschen in islamischen Ländern leben. Aktuell bestimmen vorwiegend Poppy und ich die Themen.“
Vor allem das Video zum Dreier zwischen Parker, Lina und Sadie fand ich interessant. Nicht nur, weil alle drei wirklich leidenschaftlichen Sex haben, sondern weil man merkt, auf welche Details geachtet wurde. Es wird vor und nach dem Sex viel geredet, über den Sex, wie sich jeder gefühlt hat, es wurde strikt auf Safer Sex geachtet, sogar Gummihandschuhe getragen. Und filmreife Höhepunkte gibt es auch. Inwieweit scriptet ihr die Drehbücher?
„Festgelegt ist erstmal nur das besagte Thema. Aber da wollen wir uns schon absichern, die einzelnen Themen sinnvoll umzusetzen und leiten vorab alles an einen Sexualpädagogen weiter. Er checkt nochmal genau, ob die Umsetzung so vertretbar ist, welche Schwerpunkte auf jeden Fall angesprochen werden müssen. Wir wollen auf keinen Fall versehentlich jemanden diskriminieren, wir achten auf Geschlechterneutralität und so weiter. Und auch die Darsteller*innen können vorab festlegen, was sie machen möchten und was nicht. Aber wir geben ihnen keine festgelegten Sätze vor oder welche Positionen sie zeigen müssen. Es gibt nur einen groben Rahmen.“
Besonders schön fand ich auch, dass auch mal Pausen zu sehen waren, oder Momente, in denen sich etwa Lina mal kurz rausgenommen hat und etwas Abstand brauchte. Das fand ich, was das Thema Lerneffekt angeht, besonders wichtig, denn solche Situationen können ja schnell verunsichern …
„Genau, denn wir wollen ja diese Realität zeigen. Und dass nicht immer alles einfach perfekt läuft und man miteinander sprechen muss. Auch eine/r der Darsteller*innen hatte beim Thema Pleasure Mapping Probleme, sich zu entspannen und die eigenen Wünsche zu formulieren. Nach dem Dreh war die Person sehr müde und etwas irritiert. Für mich war aber gerade das der schöne Moment, dass diese Verletzlichkeit am Set gezeigt wurde.“
Anfangs dachte ich, die Videos seien wirklich vor allem für Jugendliche – aber eigentlich sind doch speziell die expliziten Clips auch gerade für Erwachsene geeignet, oder? Auch ich kann da ja noch was lernen, sowohl in Sachen Performance, als auch, was Kommunikation angeht.
„Ja, tatsächlich ist unser Hauptpublikum gerade 18 plus, zu meiner Idee gehört es auch, Eltern und Erwachsene zu erreichen, damit sie ihr Wissen weitergeben können. Wir müssen hier das Angebot noch ausbauen, die expliziten Clips sind natürlich für unter 18-Jährige nicht geeignet. Für diese Zuschauer*innen haben wir aber extra nicht-expliziten Content bereitgestellt. Und ich merke auch in meinem Umfeld, wie gut dieses Thema ankommt und wie vielen Leuten es auch in unserem Alter schwer fällt, offen über ihre sexuellen Bedürfnisse zu sprechen.“
Ganz umsonst gibt es die pädagogischen Pornos der Sex School aber nicht. Du musst ja auch ein Team bezahlen. Erklärst du kurz die Bezahlidee?
„Man kann entweder ein Paket mit acht Episoden kaufen, das kostet 55 Euro, oder einzelne Filme. Die kosten zwischen 6 und 12 Euro.“
Neugierig geworden? Dann schau dir doch mal die Website der Sex School an.
Gut, dass ich da mal nachgefragt habe!
Eure Mascha