Irgendwie liebe ich sie ja, diese Geschäftigkeit vor Weihnachten. Eine Sache kommt da allerdings, und das ist mir so gar nicht recht, gerne mal zu kurz: Sex. Im Zug, der mich ein paar hundert Kilometer weit aus Berlin in Richtung alte Heimat karren sollte, konnte ich gestern dummerweise an nichts Anderes denken. Und das, obwohl so ein voller ICE eigentlich wenig zu bieten hat, was erotische Vibes versprüht. Es ist immer viel zu warm, mindestens ein Kind heult, eine Person isst lautstark oder zieht genauso laut die Nase hoch, und selten ist der direkte Sitznachbar so ein scharfes Gerät, dass man unbedingt Knie an Knie mehrere Stunden aneinanderkleben will. So auch dieses Mal. Ich saß auf einem dieser Viersitzer, eine Person neben mir, zwei gegenüber. Dazwischen ein Tisch. Worst case. Neben mir ein älterer Herr, der viel schnaufte. Die Plätze direkt gegenüber waren zum Glück noch frei, vermutlich erst ab einer späteren Haltestelle reserviert. Da war ich nun, mit dieser absurden Mischung aus total horny, denn sogar die Selbstbefriedigung war in den letzten Tagen zu kurz gekommen, und total genervt. Dieses Geschnaufe… mir fiel nichts Besseres ein, als die Augen zuzumachen, ein bisschen Schlaf kann ja nie schaden.
Ich dämmerte langsam weg … und schreckte auf, als der Schnaufemann ziemlich lautstark nieste. Wie zur Hölle kann man so laut niesen? Ich war verwirrt, wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Und bemerkte, dass der Platz mir direkt gegenüber jetzt belegt war. Und der Typ, der jetzt dort saß, starrte mich an, völlig unbefangen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er war, würde ich tippen, Ende 20, hatte so einen albernen Man Bun und eine dieser Hosen, die man auch easy zum Yoga tragen könnte. Ganz bequem und viel zu weit im Schritt. Gar nicht mein Ding. Aber dieser durchdringende Blick aus Augen, die mich an einen Bernstein erinnerten. Und dieser Bart, ein perfekter Bart. Verdammt, ich wurde sofort rot, überlegte gleichzeitig, ob ich wohl gesabbert hatte, geschnarcht oder einfach die ganze Zeit mit offenem Mund dagelegen hatte. Ich wurde etwas hektisch, kramte in meinem Rucksack herum, wusste aber gar nicht, was ich suchte. Schnaufi war nach seinem Todesnieser offenbar auch direkt wieder eingepennt, ich kam also auch nicht wirklich einfach hier weg, um mich aufs Klo zu retten. Irgendwann gab ich auf. Und ging in die Offensive: Zurückstarren. „Du hast im Schlaf geseufzt“, sagte er plötzlich. „Was hast du geträumt?“ Zackbumm, das Blut schoss zurück in das arme Gesicht. „Äh, nix, glaube ich, ich mache manchmal Geräusche im Schlaf, und richtig geschlafen hab ich auch gar nicht, naja, egal.“ Er schaute wieder nur. Hatte er mich überhaupt verstanden? Wieso nur ließ ich mich von einem Fremden so kirre machen – wenn ich Dates habe bin ich doch auch viel souveräner.
Ein Zug, ein Fremder, ganz viel Lust
Weil mich sein Gestarre völlig aus der Fassung brachte, redete ich einfach weiter. Jetzt sei es mir peinlich, hier das mit dem Schlafen und den Geräuschen, wie lange er hier eigentlich schon sitze, und wieso müsse er mich dann auch noch anschauen. „Warum nicht“, war die wenig hilfreiche Antwort. „Du gefällst mir.“ Ich war fassungslos. Noch nie wurde ich in der Bahn angeflirtet, und vermutlich auch generell noch nie auf diese Art. Konnte der etwa riechen, dass ich total untersext bin und den ganzen Tag an nichts als vögeln denke? Habe ich etwa im Schlaf gestöhnt? Die Idee, dass er irgendwie mitbekommen haben könnte, was da bei mir im Hinterstübchen los ist, machte mich noch unruhiger. Und auch total an. Ich versuchte, irgendwie Herrin über die Situation zu werden. Dr. Schnauf nebenan pennte immer noch, zumindest ließ sein Geschnarche das vermuten, und ich begann mit Smalltalk. Wo er denn hinreise, wo er denn herkomme, Weihnachten hier, Stress da. Er stieg aber nicht wirklich ins Gespräch ein, sondern antwortete nur einsilbig, wendete dabei nie den Blick von mir ab. Diese Augen … plötzlich war mir seine bescheuerte Hose egal. Und der Ärger darüber, dass er mich in einem peinlichen Moment beobachtet hatte, verwandelte sich in überbordende Lust. Erst war da meine Fantasie, jetzt saß da dieser Typ, das brachte das Leidenschaftsfass zum Überlaufen. Offenbar spürte er meine Unruhe. „Lass uns mal ins Bordrestaurant, ne Cola trinken.“ Ne Cola. Das war zum Schreien. Aber auch irgendwie genial. Ich tippe meinem Sitznachbarn auf die Schulter, damit er endlich und verdammt nochmal aufstand. Etwas irritiert schaute er erst mich, dann ihn an, und hob sich umständlich aus dem Sitz. Der Weg war frei.
Sex im Zug – wer hätte das gedacht
Ich war weder betrunken noch jemals in so einer Situation gewesen, war also völlig überfordert, was nun zu tun sei. Was wenn er (ich wusste noch nicht mal seinen Namen) wirklich nur eine Cola mit mir trinken wollte? Konnte ja sein! Ich taperte hinter ihm her und kam mir wahnsinnig bescheuert vor. Kurz vor der Glastür zum Bordrestaurant war ich schon fast verzweifelt, da packte er mich am Arm und schob mich durch eine offene Toilettentür. Und ich meine es ernst, wenn ich sage: Ich wollte nie, NIE Sex in einem Zugklo haben. Etwas Schlimmeres konnte ich mir gar nicht vorstellen. Sex im Club, im See, im Auto, alles ok, aber nicht im Zugklo. Aber es gab in diesem Moment praktisch nichts, was ich nicht getan hätte, um mit diesem Bernsteinaugenmann allein zu sein. Wir sprachen nicht, küssten uns nur, als hätten wir darauf seit 100 Jahren gewartet. Er zog und zerrte an meinen Klamotten, bekam irgendwie meinen BH auf, ich nestelte an seiner Hose herum und spürte – okay, er hat auch wirklich, wirklich Lust. Er küsste meinen Hals, zog mir den Pulli über den Kopf, streifte mir die BH-Träger von den Schultern und saugte an meinen Brustwarzen. Mir wurde fast ein bisschen schwindelig, ich versuchte, mich irgendwo festzuhalten, rutschte am nassen Waschbecken ab und musste lachen. Er schaute mich an, wieder dieser Blick, hielt mir den Mund zu und fuhr mit der anderen Hand langsam unter meinen Rock. Ich hatte das Gefühl zu explodieren. Dann zog er …
Schon wieder ein unfassbar lauter Nieser. Ich fiel fast vom Sitz. Wo war ich? Neben mir saß plötzlich wieder mein alter Schnauf-Sitznachbar. Der Platz gegenüber war leer. So ein Mist, offenbar war das nur ein Traum. Vielleicht sogar auch nur eine schöne, sexy Fantasie. Irgendwie muss sich eine Sexkolumnistin auf der langen Fahrt ja die Zeit vertreiben. Denn die Lust auf Sex im Zug, die war real. Und meine eigene, höchst persönliche Weihnachtsgeschichte darf, ja, muss, unbedingt erotisch sein.
Man verzeihe mir diesen Ausflug in die Welt der feuchten Fantasie und der billigen Erotikromane. Muss auch mal sein. Vielleicht macht sie ja, trotz aller triefigen Klischees, nicht nur meine Bahnfahrt in diesem Jahr ein bisschen schöner.
Gut, dass ich da mal rumgesponnen hab.
Frohe Weihnachten
Eure Mascha