Mascha fragt nach

Sexualität und Begehren: Was war das noch gleich...?

Zwei Frauen küssen sich
Geschlecht egal, Intellekt nicht? Jedes sexuelle Begehren ist anders - und für fast alles gibt es einen Begriff.
Das Sexualität und sexuelles Begehren wahnsinnig vielfältig sind, ist zwar bekannt - aber hat es auch wirklich jeder verstanden? Mascha grübelt über die große Welt der Begrifflichkeiten, ihre eigenen und die Sexualität ihrer Freunde nach. Ganz schön was los ...

Ich habe gerade darüber nachgedacht, was mich eigentlich anmacht und wen ich warum begehre. Und was meine Freunde und alle, mit denen ich über Sex und Sexualität spreche, heiß macht. Ich schreibe ja ständig darüber, wie ich Sex habe, wie andere Sex haben, wie es ist, wenn man keinen Sex hat oder zu viel – aber da gibt es ja noch die Phase davor, in der sich entscheidet, ob und mit wem ich überhaupt knutschen, rummachen oder vögeln will. Denn dabei geht es ja nicht nur um die Frage des Geschlechts deines Gegenübers – wenn das Geschlecht überhaupt relevant ist – sondern es schließt auch ganz viele andere Dinge mit ein. So weit, so klar.

Sexualität hat unendlich viele Gesichter – zum Glück!

Beim weiteren Nachgrübeln fallen mir allerdings unglaublich viele Faktoren und Fragen ein: Um zu erklären, was man wann und wie empfindet und begehrt, gibt es mittlerweile einen ganzen Blumenstrauß an Begriffen, weil zumindest ein Teil der Menschheit verstanden hat, dass es nicht DIE Sexualität gibt, auch nicht nur hetero- und homosexuell sondern gaaanz viel mehr. Sex und Lust haben eben nicht nur damit zu tun, was zwischen den Beinen einer Person zu finden ist oder mit welchem Geschlecht sich ein Mensch identifiziert sondern auch mit ganz bestimmten Eigenschaften. Spontan fallen mir da Begriffe wie asexuell, pansexuell und sapiosexuell ein. Neu war mir bis vor ein paar Tagen die Demisexualität – die hat keinen eigenen Wikipedia-Eintrag, und das ist ja nun wirklich was Besonderes. Zum Glück gibt es Aven, The Asexual Visibility and Education Network, auf deren Seite über solche Themen aufgeklärt wird. Demisexuelle Menschen empfinden demnach nur dann sexuelles Begehren, wenn sie eine emotionale Bindung zu einer Person haben. Sie stehen also quasi in der Mitte zwischen sexuell und asexuell. Dabei, und das kann man sich für alle sexuellen Orientierungen immer wieder vor Augen halten, entscheidet die Person aber nicht einfach, hey, ich bumse nur, wen ich richtig gerne hab und gut kenne – sie empfindet schlichtweg kein sexuelles Verlangen, wenn keine Gefühle im Spiel sind. Und das kann sicher auch sehr frustrierend und anstrengend sein. Insbesondere dann, wenn man sich ständig erklären muss.

Pansexuell, sapiosexuell, demisexuell?

Jetzt überlege ich weiter – zu mir passt keiner dieser Begriffe zu 100 Prozent. Am ehesten trifft bei mir vermutlich der Pansexualität zu, die all jene beschreibt, die sexuelles Verlangen völlig unabhängig vom Geschlecht des Gegenübers empfinden können. Sprich, nicht nur Menschen begehren, die sich als männlich oder weiblich definieren und entsprechende Geschlechtsmerkmale aufweisen, sondern tatsächlich JEDEN Menschen und jede Geschlechtlichkeit. Da ich bisher aber nur sexuelle Erfahrungen mit Menschen gemacht habe, die sich mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren, kann ich da bisher wenig mitreden. Gerade Pansexualität ist in der sexpositiven Szene zu einer Art geflügeltem Wort avanciert, was schön und wichtig ist – ich finde allerdings, man sollte ihn nur dann für sich beanspruchen, wenn man dieses Begehren tatsächlich erlebt hat.

 

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Ein Beitrag geteilt von pride_India (@p.r.i.d.e_india) am Jun 5, 2019 um 7:37 PDT

Sapiosexuelle tauchen dagegen immer mal wieder in meinem Umfeld auf oder auf Dating-Apps – zumindest solche, die sich als sapiosexuell verstehen. Allerdings kann ich die Kritik, die an diesem Begriff im Netz aufploppt, ein wenig nachvollziehen: Man findet als Sapiosexueller also nur Menschen attraktiv, die sich durch Intelligenz und Bildung hervortun? Weil man selbst so eine helle Kerze ist und mit den nicht so Schlauen nix zu tun haben will? Wollen diese Leute nur betonen, wie superclever sie selbst sind? Mag in manchen Fällen sicher so sein. Tatsächlich stelle ich immer wieder mit einigem Erstaunen fest, dass ich mich vorwiegend mit Menschen umgebe, die ein ähnliches Bildungsniveau haben wie ich. Das habe ich nie geplant, das ist einfach passiert. Was Sex angeht: Klar führe ich gerne gute Gespräche und es kann mich auch anmachen, wenn jemand einen Spontanvortrag über die aktuelle politische Weltlage hält – ein Indikator mit dieser Person Sex haben zu wollen, ist das aber nicht. Und wer ein imaginäres Schild mit der Aufschrift sapiosexuell vor sich herträgt, weil er das offenbar genauso cool findet wie bei Elite Partner angemeldet zu sein, geht mir mindestens ebenso sehr auf den Geist wie Menschen, die einem „ich bin vegan und wehe du bist es nicht“ entgegenbrüllen, wenn man noch nicht mal zusammen angestoßen hat. Die machen Sapiosexualität zu einem Label der Abgrenzung, das über allem schwebt.

Die Kombi aus Hirn und Sex ist aber für viele Menschen ein Thema. Meine Freundin Verena will unbedingt mehr Sex und versucht immer wieder, eine schnelle Nummer in der Dating-App klarzumachen. Aber wenn sie dann mit dem Typen in der Bar sitzt und er nur Zeug erzählt, das sie nicht interessiert – und das ist eine ganze Menge – und er auch beruflich nicht mithalten kann, rührt sich bei ihr oft gar nix. Sexuelles Begehren kann sie dann vergessen, findet das selbst aber ganz schön blöd. Stellt sich die Frage: Ist das einfach eine Vorliebe oder wirklich eine sexuelle, unverrückbare Orientierung? Und was ist in diesem Fall eigentlich der Unterschied? Bei allen anderen Sexualitätsbegriffen ist mir das klar, aber bei dieser Sapiosexuell-Sache, ich weiß nicht… Verena kann mir das auch nicht so ganz beantworten.

Ganz oft Lust auf Sex – mit ganz vielen Menschen

Eine andere Freundin, Jacki, betont immer wieder, wie gut sie mit Menschen Sex haben kann, die sie weder besonders smart findet, noch besonders mag. Das wiederum ist weder eine sexuelle Orientierung noch eine Vorliebe, denn genauso gerne schläft sie mit Leuten, die sie mag oder sogar liebt. Es ist einfach ihrer großen, nur selten endenden Lust geschuldet und der Tatsache, dass sie einfach sehr viele Menschen sexuell anziehend findet. Mal ist es die Optik, mal sind es die Worte, mal ist es einfach nur die Tatsache, dass auch der andere Bock auf Sex hat… Geschlecht? Auch hier egal.

Ups, rede ich gerade doch von mir selbst…? Mich macht ja manchmal schon die Art, wie jemand geht, total wuschig. Nein, es geht nicht um mich, doch eigentlich bin ich genauso. Aber diese Kolumne soll ja eine Botschaft haben: Am Ende geht es nur darum, mit der eigenen Sexualität glücklich zu werden. Das ist für manche leicht, für andere verdammt schwer. Allerdings bedingt das eigene Glück auch, andere Menschen mit seinem Verlangen nicht zu bedrängen oder ihnen gar Leid zuzufügen – das muss an dieser Stelle betont werden. Grundsätzlich kann es nie schaden, sich mit der eigenen und der Sexualität anderer Menschen auseinanderzusetzen. Ist es doch ein so schönes, aber auch so komplexes Thema, das Akzeptanz und Kenntnis unabdingbar macht. So, jetzt ist aber mal gut…

Gut, dass ich nachgefragt oder vielmehr: nachgedacht habe.

Eure Mascha

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