Nach Wochen der Mutmaßung, wer denn nun 2013 als Intendant im Maxim Gorki Theater die Stelle Armin Petras‘ übernehmen wird, ist es endlich raus. Es ist nicht Regisseur Nicolas Steman, von dem es hieß, er stünde bereits in Verhandlungen mit dem Berliner Senat. Es ist auch keiner der anderen Namen, die selbst beim jüngsten Theatertreffen durch die Gerüchteküche gingen. Keiner der Annahmen wurde offiziell bestätigt.
André Schmitz, Kulturstaatssekretär, erlöste am heutigen Dienstag durch seine Bekanntmachung am Festungsgraben die spekulierenden Massen. Die Nachricht war, ohne übertreiben zu wollen, ein kleines Ereignis in der Kulturpolitik. Die künstlerische Leitung wird durch eine Doppelspitze getragen werden. Shermin Langhoff hat sich inzwischen einen Namen gemacht, besonders durch das Stück „Verrücktes Blut“, das unter ihrer Leitung im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße Erfolge feiert. Jetzt soll sie, voraussichtlich zusammen mit Dramaturg Jens Hillje, das Gorki anführen.
Berlin und nicht Wien
Eigentlich hieß es Langhoff und Hillje gingen noch bis Ende dieses Jahres nach Wien zu den Festwochen. Gerade deshalb kam die Nachricht so unerwartet. Hillje wäre leitender Dramaturg in Wien geworden, während Langhoff als stellvertretende Intendantin und Chefkuratorin die Zügel gemeinsam mit Markus Hinterhäuser in der Hand gehabt hätte. Auch dieser Plan hatte seine Makel, da viele in Berlin damit gerechnet hatten, dass sie das HAU nach Austritt Matthias Lilienthals auf Kurs halten würde, als 2011 die Nachricht seines Wechsels nach Wien publik wurde. Die Abwendung vom HAU hatte letztendlich monetäre Gründe. Mit den 4,5 Millionen Euro, die die Häuser am Halleschen Ufer zur Verfügung hatten, wäre der Wunsch Langhoffs, ein interkulturelles Ensemble aufzubauen, geplatzt. Deshalb wollte sie ihre „postmigrantische Vision“ mit dem weitaus höheren Budget der Wiener Festwochen realisieren.
Die Abfuhr an die Festwochen hat sich inzwischen schon nach Wien verbreitet. Die Zeitungen dort verlauten verblüfft, dass ihr Engagement aus „persönlichen, familiären Gründen“ von ihr aufgegeben worden sei. Dies werde von den Festwochen „mit großem Bedauern“ hingenommen. Auch hier brodelt wieder die Gerüchteküche und man zerbricht sich die Köpfe über die tatsächlichen Ursachen. Böse Zungen behaupten, Hinterhäuser, der Salzburger und Zweiter im Leitungsbunde, habe sich nicht an Abmachungen bezüglich des Budgets halten wollen. Eigentlich sollte die Wahl-Berlinerin in Österreich mit ihrer Frische aus der freien Szene im Konzerthaus brut und dem Schauspielhaus das avantgardistische Programm neben dem abgehobeneren Musikprogramm leiten.
Starke Theatermacher
Nun soll es also das Gorki Theater werden. Mit der Hochkultur ist es da vielleicht nicht so weit her wie bei den Wiener Festwochen. Aber für Shermin Langhoff und Jens Hillje ist es wohl eine dauerhaftere Lösung als Wien, wo sie 2014 das erste Mal als Programmleiter hervorgetreten wären. Wiens Leid ist diesmal Berlins Freud. So behält die Stadt zwei starke Persönlichkeiten und Theatermacher. Damals am HAU hatte Shermin Langhoff Theaterluft geschnuppert. Als Kuratorin wirkte sie bei der Festival-Reihe „Beyond Belonging“ und für „X-Wohnungen“, einem Lilienthal-Gedankenkind, mit. Sie schaffte es, Talente vom Film auf die Bühne zu bringen, wie Neco Celik („Schwarze Jungfrauen“) oder Tamer Yigit („Ein Warngedicht“). So konnte sie auch die Gruppe der Migranten ins Haus holen. Durch ihre harte Arbeit war es nicht verwunderlich, dass sie 2008 die Stelle der Leiterin des Ballhauses in der Naunynstraße bekam.
Die 1969 im türkischen Bursa geborene Langhoff wuchs in Nürnberg auf. Dank eines unglaublichen Netzwerkes konnte sie das kleine Kreuzberger Theater weit über die Grenzen ihres Kiezes und der Stadt hinaus zu einer starken Marke machen. Auch hier machte sie neue Talente wie Hakan Savas Mican („Die Schwäne vom Schlachthof“) oder Michael Ronen („Warten auf Adam Spielman“) bekannt.
Langhoffs zukünftiger Co-Leiter Jens Hillje war einer der Anstoßgeber der Inszenierung, die bis jetzt der größte Erfolg unter ihrer Leitung des Ballhauses war: „Verrücktes Blut“ ist eine Inszenierung von Nurkan Erpulat und wurde nicht nur gefeiert, sondern sogar zum Theatertreffen des letzten Jahres eingeladen. Dabei handelt es sich um ein ästhetisches Werk, das radikal erzieht. Dazu nutzt es einen Hauch von Schillers Räubern und paart diese mit einer Radikalkur an Klischees über migrantische Jugendliche.
Offene Arme und leere Taschen
Auch wenn sie Wien haben sausen lassen, in Berlin werden Hillje und Langhoff mit offenen Armen empfangen. Aber die Taschen des Gorki sind leer: Ein Grund, warum Armin Petras das Haus 2013 verlassen und nach Stuttgart gehen will, wie er im Oktober ankündigte. Der Tanz um das Geld war ihm zu viel. Obwohl dem Gorki 8,3 Millionen pro Jahr zugeschossen werden, gilt es schon länger als unterfinanziert. „Du kannst hier gar kein Theater machen“, fiel das Mitleid des vorherigen Intendanten Volker Hesse gegenüber seinem Nachfolger aus. 800.000 Euro sollen zu wenig da sein, meint der Geschäftsführer Klaus Dörr. Die beachtliche Summe wäre durch Umzugskosten von Werkstätten und Tariferhöhungen entstanden. Koproduktionen mit Festivals und anderen Theatern waren Petras Lösung. Wie Langhoff das Problem angeht, wird sich bald zeigen. Zumindest ein interkulturelles Ensemble sollte sie im Gorki aufbauen können. Als Vorreiter in dieser Richtung wäre es keine schlechte Werbung für Berlin.