Als wir an diesem regennassen Tag im Yodel ankommen, um die Vegan Queen Sophia Hoffmann (36) zu treffen, ist eins sofort klar: Das Klischee vom immer gesund lebenden Veganer stimmt nicht. Die Spuren im Raum beweisen, im angesagten alternativen Wirtshaus wird zünftig gebechert. „Ja, unglaublich, Veganer trinken tatsächlich mal Wein und rauchen eine Zigarette, ich auch gelegentlich…“ Sophia lacht. Man kann ja nicht immer nur an die Gesundheit denken. Allerdings macht Sophia Hoffmann das meistens automatisch, denn durch die vegane Ernährung und regelmäßigen Sport ist die gebürtige Bayerin viel fitter als früher. „In der Schule gehörte ich zu den Bankhockern, die als Letzte in die Mannschaft gewählt wurden“, gesteht sie. Was nach der Schulzeit in München kam, kann man durchaus als bewegtes Leben bezeichnen.
Alles begann mit Pizza
Sophia war Pizzabäckerin – „naja, ich war 17 und habe gejobbt“ – begann ein Lehramtsstudium – „das war aus Verlegenheit, ich wäre nie so eine engagierte Lehrerin geworden wie meine Mutter, die ist sogar Rektorin“ – und eine Friseurlehre – „ich dachte, dann hat man was, um sogar auf Reisen nebenbei Geld zu verdienen, sehr wenig Geld, leider.“ Sie arbeitete als DJ im Duo Tigeress mit Yodel-Betreiberin Nina Kränsel – „das hat Spaß gemacht, aber dann habe ich eine Nachtleben-Allergie bekommen“ – und als Journalistin – „ich schreibe ja noch, wenn auch keine Sexkolumne mehr wie in Wien.“ Heute ist sie angekommen, zumindest was das Thema Kochen betrifft. Veganes Kochen. Noch ein Grund mehr für Sophia, das Yodel zu lieben: Auf der Speisekarte findet sich ihre kulinarische Kindheit als vegane Variante. Ihr Vater, der in der Fleischhochburg München als Hausmann sozusagen für die Küchenfrüherziehung von Sophia verantwortlich war, kocht mittlerweile auch vegan, erzählt Sophia nicht ohne Stolz. Nicht immer, aber immer öfter. „Meine Eltern haben sich sogar einen Biohof angesehen, um sich über artgerechte Haltung zu informieren!“
Im Gegensatz zu vielen veganen Dogmatikern geht es der sympathischen Köchin übrigens gar nicht darum, mit ihrem Blog, dem Youtube-Kanal, den Kochbüchern und ihren Kursen die Welt zu bekehren, sondern ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was man konsumiert. Nicht alles ist lustfeindlich, nur weil es vegan ist, so wie faire Modelabel nicht altbacken sein müssen: Die coolsten Beweise dafür finden wir in Sophias Geheimtipp-Laden, dem Studio Hertzberg.
Zwölf Designer verkaufen in dem kleinen, feinen Geschäft, was sie im Hinterzimmer schneidern. Die Mode ist nicht nur außergewöhnlich hip (und tragbar), sondern Fair Fashion aus lokaler und ökologischer Herstellung. Auch in Sachen lässiges Upcycling sind einige der Designer total up to date. Zufällig treffen wir Romy Persaud vom Label No Ones Collective an, der hat Sophia ihr aktuelles Lieblingskleid zu verdanken. Die Freude wird noch größer, als Romy ihre neueste Kreation präsentiert – ein Kleid, welches das andere von der Spitze verdrängen könnte. Im Studio Hertzberg zeigt sich, wie international lokal heutzutage ist, Romy kommt aus Brighton und auch die anderen Designer des Studios stammen zum Großteil nicht aus Berlin.
Als wir die Sonnenallee weiter Richtung Hermannplatz schlendern, drängt sich angesichts der zunehmenden Dichte türkischer Brautläden das Thema Hochzeit auf. Für Sophia und ihren isländischen Freund, der im Yodel arbeitet, ist der Hafen der Ehe im Moment allerdings noch keine Option. „Dieses Überfrachten der Hochzeit als schönster Tag im Zuckergusskleid kommt für mich sowieso nicht in Frage“, stellt Sophia angesichts der Polyesterträume im Schaufenster trocken fest. „Sollte ich einmal heiraten, dann mit einem schönen Fest, für das ich mich nicht verschulden muss.“ Auch Kinder stehen noch nicht an, aber wenn würde sie den Kiez nicht wie viele Neu-Neuköllner aus Angst vor schlechten Schulen verlassen. „Meine Mutter setzt sich mit vielen Projekten sehr für die Durchmischung von Schichten ein, es wäre fast ein Verrat, wenn ich das dann anders handhaben würde. Separieren ändert nichts.“
Sophia ist eine Stadt-Pflanze
Als Sophia hierher gezogen ist, war die Rütli-Schule als Brennpunkt im Gespräch, jetzt ist sie ein Vorzeigemodell. Die Gentrifizierung der Weserstraße hat Sophia live miterlebt. Obwohl sie seit neun Jahren gern in Neukölln lebt, geht ihr der Kiez manchmal auf die Nerven und vielleicht würde sie wegziehen, wenn ihre Wohnung nicht so günstig und schön wäre. Ob sie sich da mal nicht täuscht? Wir erkennen weit mehr Gründe als die schöne Wohnung, warum Sophia in Neukölln bestens aufgehoben ist: der Blumenladen Golden, mit dem sie gern zusammenarbeitet, ihre Freunde, die um die Ecke wohnen und die vegane Szene, zu der nicht nur das Yodel und die Crêperie Let it Be ihrer Freundin Nina gehören. Bei unserem Spaziergang durch den Comenius Garten und die umliegenden Gässchen mit Stadtvillen und versteckten Bauernhöfen zeigt sich die perfekte Wohngegend für Sophia. „Auf dem Land zu wohnen, wäre nichts für mich, aber ein Garten für die eigene Gemüsezucht wäre super. Das Böhmische Dorf bietet beides, Stadt und Land. Fantastisch.“
Zum Lunch kehren wir auf die belebte Sonnenallee zurück. Im Azzam treffen wir auf Kreative, Studenten und Anzugträger, die ihren Hunger mit orientalischen Köstlichkeiten stillen. Neben Falafel, gefüllten Weinblättern und Tabouleh, bestellt Sophia eine ordentliche Portion Hummus für uns. „Das wird in Deutschland als Hauptspeise noch sehr unterschätzt“, stellt sie fest. Dass sie dazu beiträgt, das zu ändern, versteht sich fast von selbst. Alles, was sie macht, betreibt sie mit Leidenschaft, das hat uns ihr Freund verraten. Und spätestens jetzt, als sie beginnt über das Kochen, die Küche und ihre vielen Projekte zu sprechen, wissen wir, was der Isländer meint. Ob sie als Mentorin die Hummus Kitchen Mashery in Köln unterstützt, Menschen in Kursen für die vegane Küche begeistert oder ihren Podcast Vegan Queens aufbaut, Sophia ist mit tausend Prozent dabei.
Ausklingen lassen wir den schönen Neukölln-Nachmittag in dem süßen kleinen Café Camon, das mit bestem Kaffee und ungewöhnlichen Kreationen wie einem Velvet Latte mit Roter Bete aufwarten kann. Trotz der locker-leichten Atmosphäre, widmen wir uns noch einem schweren Kapitel in Sophias Leben. Vor einigen Jahren ist sie vergewaltigt worden. Lange hat sie darüber geschwiegen, wie so viele andere Frauen auch. Doch Schweigen ändert nichts. Also beschloss Sophia, ihre Geschichte öffentlich zu machen. Eines Nachts war sie zu müde gewesen, um von Mitte nach Neukölln zu fahren und so nahm sie das Angebot eines Mannes an, bei ihm zu übernachten. Nur so, ohne Sex, darüber waren sich beide einig. Als Sophia wach wurde, weil der Mann auf ihr lag brauchte sie ein paar Sekunden, um zu verstehen, was da gerade geschah. Ein realer Albtraum, über den sie lange mit niemanden redete. Die quälende Frage, ob sie selbst ein wenig schuld gewesen sei, weil sie unbedarft und alkoholisiert mit zu dem fast fremden Mann gegangen war, wurde sie lange nicht los. Eine Anzeige schloss sie auch deshalb aus.
Powerfrau mit Optimismus
Obwohl Sophia sich als Feministin für andere engagiert und versucht als starkes Role-Model, Frauen mehr Selbstbewusstsein zu vermitteln, haderte sie mit ihrer eigenen Unsicherheit. Überzeugt davon, dass das Thema in die Öffentlichkeit muss, bis niemand mehr Vergewaltiger entschuldigt und Opfer mitverantwortlich macht, brach sie endlich ihr Schweigen. „Es macht keinen Spaß darüber zu reden, aber ich sehe die Notwendigkeit. Zwei Drittel der betroffenen Frauen bringen die Vergewaltigung nicht zur Anzeige. Viele befürchten, immer als Opfer stigmatisiert zu sein“, berichtet Sophia fassungslos. Einen Augenblick lang wirkt die Powerfrau sehr verletzlich, aber dann kehrt ihr unerschütterlicher Optimismus zurück, sogar dieses gesellschaftliche Problem eines Tages zu lösen.
Ihre Vergewaltigung öffentlich gemacht zu haben, hat sie nie bereut. Da finden sich aber andere Dinge, wie ein Tattoo: Dort, wo andere seit den 1990er Jahren ein Arschgeweih tragen, prangt bei ihr ein chinesischer Drache. „Das hätte nicht sein müssen“, sagt sie grinsend. Zum Glück fallen die anderen Tattoos auf ihren Armen mehr ins Auge. Das Babyschweinchen, der Drop Bear, ein Souvenir aus Australien oder ihr persönliches Wahrzeichen, der Kochlöffel, den ihre Stamm-Tätowiererin Myra für Sophia entworfen hat, erinnern an die schönen Dinge im Leben.
In ihrem aktuellen Kochbuch Vegan Queens stellt Sophia als überzeugte Networkerin und Feministin neben tolle Menüs auch inspirierende Heldinnen der veganen Food-Bewegung vor.