Während der Corona-Krise wird häufig über die Relevanz und Probleme von systemrelevanten Berufen geredet. Wir hören und lesen viel über Personal aus der Medizin und Krankenpflege, über Verkäufer*innen oder über alle, die in der Gastronomie arbeiten. Außerdem fragen wir uns, wie wir die Isolation bewältigen sollen, physisch und mental gesund bleiben und unsere Kinder sicher durch die Krise bringen. Aber was ist mit den Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die im Alltag Unterstützung brauchen und die möglicherweise nicht zu Hause leben können? Und mit den Menschen, die ihnen täglich helfen? Dazu haben wir uns Einblicke von einer Expertin geben lassen.
QIEZ: Wer bist du und wo arbeitest du?
„Mein Name ist Birte Timnik, ich bin 28 Jahre alt und seit vier Jahren im Elisabethstift angestellt. Ich arbeite in der Öffentlichkeitsarbeit und bin unter anderem auch für den Social-Media-Bereich zuständig. Das Elisabethstift ist eine Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung in Berlin und Brandenburg. Wir kümmern uns um Menschen, die in familiäre Krisen geraten sind. In stationären und ambulanten Wohngruppen wohnen Kinder und Jugendliche zwischen 0 und 18 Jahren bei uns. Außerdem haben wir eine Schule mit Hort, zwei Kitas, einen Familientreff und die Alte Fasanerie in Lübars. Unser pädagogisches Angebot ist also sehr breit aufgestellt. Wir geben umfassend und kreativ Antworten auf die sozialen Nöte denen wir begegnen und möchten entsprechend Räume zur Entwicklung öffnen.
Wie machen sich die bisherigen Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 im Elisabethstift bemerkbar?
„Gemäß den Vorgaben vom Senat haben wir Kita, Schule und Hort geschlossen. Die 80 Kinder, die bei uns auf dem Hauptgelände in Hermsdorf wohnen, sind aber natürlich noch bei uns. Sie halten sich fast ausschließlich auf dem Grundstück auf, weil sie das Gelände nur noch in Begleitung von Erzieher*innen verlassen sollen. Das hat durchaus etwas Positives: Das Gelände bietet viel Platz zum Spielen und es ist schön, das laute Lachen der Kinder draußen zu hören. Es klingt so ausgelassen wie im Sommer im Freibad.
Gleichzeitig gibt es natürlich auch schwierige Aspekte. Wir gehören zu denen, die bei der Verteilung von Schutzmaterialien ‚vergessen‘ wurden. Das bedeutet, dass wir hier bei der Besorgung auf uns alleine gestellt sind. Außerdem bewegt uns sehr, dass Kinder, die jetzt in einer häuslichen familiären Krise sind, unter Umständen aus Pandemiegründen nicht untergebracht werden. Das macht uns besonders betroffen, weil wir für genau diese Kinder da sein wollen, die jetzt genauso auf unsere Hilfe angewiesen wären wie sonst auch.“
Welcher eurer Arbeitsbereiche ist von der Krise besonders betroffen und warum?
„Am stärksten betroffen ist der stationäre Bereich (Kinderheim und Wohngruppen für Jugendliche, Anm. d. Redaktion). Den dürfen wir nicht schließen. Das wollen wir natürlich auch gar nicht! Wo sollen die Kinder sonst so plötzlich hin? Es gibt ja gute Gründe, warum sie momentan bei uns leben. Auch wenn die breite Öffentlichkeit das momentan vergessen zu haben scheint: Wir sind systemrelevant!
Wir sind gerade gefragt, wie wir den Alltag der bei uns lebenden Kinder gestalten und sie in die aktuellen Entwicklungen mit hineinnehmen, ohne ihnen Angst zu machen. Gleichzeitig stellen wir uns darauf ein, dass unser ohnehin schon knappes Personal aufgrund von Covid-19 in Zukunft teilweise ausfallen wird. Wir erstellen daher jetzt schon Infektionspläne und bereiten uns auf die Herausforderungen vor. Auf übergeordneter Ebene trifft es natürlich auch die Finanzen. Unseren Spender*innen geht es wirtschaftlich schlechter – und das macht sich auch in unserem Spendenvolumen bemerkbar; bei gleichbleibenden, ja sogar steigenden Kosten.“
Hat sich das Verhältnis zu euren Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Wochen verändert?
„Wir gestalten die Beziehung zu unseren Kindern und Jugendlichen aktiv und deswegen sind sie immer im Fluss und nicht starr. Also ja, auch in den letzten Wochen haben sich die Dinge weiter verändert. Es ist in den letzten Wochen besonders toll zu sehen, wie eng alle im emotionalen Sinne zusammengerückt sind. Für die Kinder und Jugendlichen ist es extrem wichtig zu sehen, dass wir auch in schweren Zeiten, die uns subjektiv betreffen, für sie da sind und zu ihnen halten. Manche von ihnen haben genau das Gegenteil in ihren Elternhäusern erlebt und wurden vergessen oder vernachlässigt. Umso schöner und wichtiger ist es jetzt für sie zu sehen, dass wir für sie da sind. Es berührt uns zu sehen, dass viele Mitarbeiter*innen sich freiwillig bereiterklärt haben, in Quarantänegruppen zu arbeiten, sofern ihr eigener Gesundheitszustand das zulässt. Andere bleiben zu Hause – wir bleiben im Dienst. Komme was wolle, wir sind für unsere anvertrauten Kinder und Jugendlichen da.“
Wie vermittelt ihr die Problematik den Kindern und Jugendlichen und wie reagieren sie auf die Maßnahmen?
„Wir machen unabhängig von Covid-19 regelmäßig Gruppenkonferenzen mit den Kindern. Da besprechen wir wichtige Themen, klären Fragen usw. Hier und natürlich auch im Alltag nehmen wir uns viel Zeit um kindgerecht zu erklären, dass momentan besondere Abmachungen wichtig sind. Wir hören immer wieder hin, was die Kinder und Jugendlichen gerade beschäftigt und besprechen Dinge bei Bedarf nach. Natürlich ist aber mindestens genauso wichtig, dass wir mit gutem Beispiel vorangehen und vorleben, was sie selbst auch umsetzen sollen. Die allermeisten Kinder und Jugendlichen kommen gut damit zurecht und unterstützen sich gegenseitig bei der Umsetzung. Es sind eher die betreuten Erwachsenen, denen es schwer fällt, sich jetzt freiwillig einzuschränken.“
Was war ein besonders krasses Erlebnis in den letzten Tagen auf der Arbeit?
„Wir hatten einen Jungen, der alle Symptome von Covid-19 zeigte und wir waren sicher, dass er positiv getestet wird. Die ganze Gruppe ist mit ihm in freiwillige Isolation gegangen. Beim Warten auf das Ergebnis waren alle emotional stark beteiligt und gespannt, was es zeigen würde. Als das Ergebnis da war und wir Gewissheit hatten, dass es negativ war, stand ein Freund des Jungen ganz ungeduldig bei der zuständigen Bereichsleiterin: ‚Hat er es? Hat er es?‘ Sie hat immer und immer wieder gesagt ‚Nein, das Ergebnis ist negativ. Es ist kein Corona.‘ Das ging eine Weile so hin und her und man hat richtig gesehen, wie es den Jungen mitgenommen hatte, als er plötzlich zu ihm durchdrang, ‚es ist kein Corona‘. Und dann schoss er davon und rannte über den Hof und rief immer wieder aus ganzem Herzen ‚KEIN Coronoa! Es ist kein Corona!‘. Das war richtig berührend zu sehen, weil auch die Kinder so gut aufeinander achten und miteinander mitleben.“
Musstet ihr schon eine Quarantäne auf dem Gelände organisieren? Falls nein, wie bereitet ihr euch auf die Situation vor?
„Bisher sind alle getesteten Verdachtsfälle negativ gewesen. Da sind wir sehr dankbar. Bis wir die Gewissheit hatten, haben wir eine selbstgewählte Isolation ausgerufen und die betroffenen Gruppen der Kinder freiwilligt isoliert, um Ansteckungen auf jeden Fall zu vermeiden. Wir sind jetzt schon darauf eingestellt, dass ein positiver Fall auch bei uns auftreten kann. Wir reden viel mit den Kindern und erklären ihnen, mit wem sie momentan spielen können, an welchen Orten das geht und wo nicht. Und natürlich üben wir das lange und gründliche Händewaschen.
Wir haben das Gelände intern unterteilt und besprochen, welche Gruppen sich wo bewegen. Sollte also ein positiver Covid-19-Fall eintreten, können wir eindämmen, wer sich angesteckt haben könnte. Wir haben ‚Kreuzgruppen‘ vorbereitet; also Pläne erstellt, welche Gruppen zusammengelegt werden können und wer die Kinder betreut, sollten Mitarbeiter*innen ausfallen. Auf den Gruppen hängen Listen mit den Symptomen, sodass diese schneller erkannt werden können. Außerdem sind bestimmte Meldeketten festgelegt. Jeder Mitarbeitende weiß also was im Ernstfall zu tun ist.“
Wie schützen sich eure Mitarbeiter*innen bei der Arbeit?
„Wir nähen selber Masken, weil wir leider keine bekommen haben. Wir haben uns selbst Schutzkittel gekauft (teilweise einfache Maleranzüge). Wir sprechen mit unseren Mitarbeiter*innen und gucken, wer zu einer Risikogruppe gehört oder jemanden zu Hause betreut, der dazu zählt. Individuell finden wir dann Lösungen. Viele Kolleg*innen z.B. aus der Verwaltung sind inzwischen im Home-Office. Wir achten auf Sicherheitsabstände und halten uns an die eben erwähnten Binnendifferenzierungen, damit im Fall der Fälle nachvollziehbar ist, wer sich angesteckt haben könnte und wer nicht.“
Wie kann man euch aktuell unterstützen?
„Um auch in Zukunft individuelle Hilfen entsprechend der Bedürfnisse unserer Kinder und Jugendlichen umsetzen zu können, brauchen wir finanzielle Unterstützung. Besonders jetzt, wo manche Spender*innen finanziell verunsichert sind. Die Kinder- und Jugendhilfe darf nicht vergessen werden in ihrer Systemrelevanz – auch finanziell nicht. Wir freuen uns also über jede Spende. Kein Betrag ist zu groß oder zu klein. Außerdem suchen wir Personal. Wir suchen Erzieher*innen oder Sozialarbeiter*innen, gerne auch in Ausbildung. Besonders im Hinblick auf die eventuellen Ausfälle durch erkrankte Mitarbeiter*innen wird das sehr wichtig. Erzählt vom Elisabethstift und verbreitet, wie man uns dabei unterstützen kann, die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen.“
Alle Infos rund um die Einrichtung findest du auf der Webseite vom Elisabethstift.