Berliner Spätkauf

Späti-Liebe: Beim Stadtkiosk in Neukölln

Daimi steht hinter der Theke seines Spätis in Neukölln.
Daimi versorgt den Körnerkiez mit Snacks, Getränken und Geschichten.
Sie sind die Rettungsbojen in der Nacht für durstige, einsame oder feierwütige Berliner. Ob Chips, Eis, Zigaretten, Bier oder Eiswürfel – hier bekommst du alles Überlebenswichtige, wenn woanders schon zu ist. Wir sind zu Besuch bei unserem Lieblingsspäti direkt im Körnerkiez, bei Daimi.

Daimi ist eine echte Kiezgröße: In Neukölln in der Silbersteinsteinstraße aufgewachsen, ist der 52-Jährige seinem Kiez – fast! – treu geblieben und betreibt heute zusammen mit seiner Frau Aynur beim Körnerpark unseren Späti des Vertrauens. Wer hier reingeht, kommt nie mit leeren Händen wieder heraus. Denn selbst wenn das Lieblingseis mal alle sein sollte – was eigentlich nie vorkommt – bekommst du immer eine gute Geschichte erzählt. Das kann dann schon mal in ein längeres Gespräch über Nachbarschaftsklatsch, die Lieblingsschokolade oder türkische Politik ausarten. Sogar ein bisschen berühmt ist unser Späti, wie wir erstaunt von Daimi erfahren: Schließlich spielen seine Frau Aynur und sein Laden schon in einer RBB-Doku mit Jurassica Parka mit.

QIEZ: Was magst du am liebsten an deinem Job als Späti-Besitzer?

Daimi: „Nette Unterhaltungen und sympathische Leute. Man entwickelt schon auch eine Art Freundschaft mit den Stammkunden – das sind dann eben deine Kiezkumpels.“

QIEZ: Was ist das Lustigste, das du bei der Arbeit mal erlebt hast?“

Daimi: „Da kam ein seltsamer Amerikaner rein, der sehr aufgedreht und wahrscheinlich auf irgendwelchen Drogen war. Er war ja ganz lustig drauf, aber irgendwann hat er dann angefangen, Sachen aus den Regalen zu ziehen und aufdringlich zu werden. Er sagte dauernd zu mir: ‚Ich will dich küssen‘ und als er nicht aufhören wollte, zog ich die Spielzeugpistole meines Sohns raus und zielt im Spaß auf ihn, worauf der Amerikaner einen furchtbaren Schreck bekam und sich beinahe anpinkelte.“

Das ist nur eine der vielen Episoden, die Daimi in seinen zwölf Jahren als Späti-Besitzer erlebt hat. Auch unangenehme Geschichten kommen dazu, von verstörten oder betrunkenen Menschen, die in seinen Laden irrten und nicht wussten, wie sie heißen oder wo sie wohnen. Denn die Berliner vertrauen ihren Späti-Besitzern: Oft lassen die Anwohner auch ihre Wohnungsschlüssel bei Daimi, der sie dann aufbewahrt und weiterreicht. Er kennt die Nachbarn und weiß, was im Kiez so passiert. „Wir leben alle auf dieser Erde, niemand kann jemanden verdrängen, sondern man sollte sich nett akzeptieren und dann ist es kein Problem. Aber keiner soll andere bescheißen“, so Daimi.

Es ist ein raues Pflaster hier, aber es hat sich auch vieles zum Guten verändert – auch für den gebürtigen Türken aus Anatolien, der schon als Kind nach Neukölln kam, inzwischen aber den Wohnort gewechselt hat: „30 Prozent der Kiezbewohner sind studierte, kluge Menschen mit Geld. Das hat Veränderung für uns gebracht, da es nette, freundliche Menschen sind, die gute Gespräche suchen und friedlich zusammenleben wollen“, sagt er. „Es gibt inzwischen auch mehr deutsche Kinder hier, vielleicht 20 Prozent. 40 Prozent sind osteuropäische oder arabische und 20 Prozent so alteingesessene Kinder aus türkischen Familien oder Berliner. Es ist ein bunter Mix.“ Das macht dann insgesamt 110 Prozent und so viel Einsatz zeigt auch Daimi als selbstständiger Unternehmer, der nicht nur als Späti-Inhaber arbeitet, sondern drei Jobs hat.

So sieht Daimis Späti von außen aus.

Tag und Nacht können die Kiezbewohner in Daimis Spätklauf einkaufen.

Lieber Spät(i) als nie

Eigentlich war es immer Daimis Plan, einen Imbiss zu betreiben – zum Späti kam er sozusagen nur durch Zufall. Da er gegenüber in der Emser Straße in einer Glaserei arbeitet und früher täglich seine Zeitungen im Späti holte, merkte er schnell, dass der Besitzer nicht wirklich Lust auf seinen Job hatte. „Der hat immer geschlafen“, erzählt Daimi lachend. Da seine Cousine gerade arbeitslos war, kam ihm die Idee, sich mit ihr zusammen zu tun: sie als Späti-Verkäuferin und er als Imbiss-Betreiber im Stadtbistro nebenan. Leider platzte das Projekt schneller als gedacht, denn seine Cousine machte kurz vorm Unterschreiben des Vertrags einen Rückzieher. Er selbst hatte aber schon eine Anzahlung geleistet und sei deshalb drangeblieben.

So betreibt er nun eben drei Geschäfte: den Späti, den Imbiss nebenan und die Glaserei gegenüber. Deshalb halten ihn manche Leute im Kiez auch schon für einen Millionär, was Daimi händewinkend abtut. „Ich hatte damals einen guten Riecher, habe zur Wende günstig eine Wohnung über Mietkauf finanziert. Meine deutschen Freunde dagegen wollten damals hier keine Wohnung kaufen wegen der vielen Ausländer.“ Verdienen würde er mit einem Späti aber nicht gut, wie er sagt. Und genug Geld, um sich seinen Traum zu verwirklichen, hat er auch noch nicht: Irgendwann will er mit Frau und Sohn nach Mallorca auswandern. Oder eben irgendwohin, wo es warm ist, nette Menschen leben. Und natürlich, wo es saubere Luft, gutes Essen und sauberes Wasser gibt. „Diese drei Dinge müssten als Pflicht ins Grundgesetz, als eine Art Grundsicherung. Alles andere kann man sich ja selber dazu verdienen. Weil am Ende muss der Staat sowieso für dich sorgen“, sagt der Familienvater.

Ob er dann wirklich eines Tages auswandert und sein Kiezdreieck verlässt, weiß Daimi selbst nicht. Er vergleicht das Leben als Selbständiger mit einem Leben im goldenen Käfig: „Du hast zwar Essen und Trinken um dich herum, aber keine Zeit für dich selbst und kannst auch nicht so leicht weg, weil du ja den Laden hast, um den du dich kümmern musst. Du kannst fliegen, aber nicht wegfliegen“, sagt der 52-Jährige. „Es ist schwierig, einen Verkäufer für den Späti zu finden, dem man vertrauen kann“, findet Daimi. „Sogar Bekannte beklauen dich – auch wenn es nur eine Zigarettenschachtel ist, am Ende des Jahres sind das 3.000 Euro Verlust.“ Deshalb stehen also meistens er selbst vormittags und seine Frau nachmittags selbst im Späti und verkaufen. „So einen Job will heutzutage ja keiner mehr machen“, erklärt er, Hände in die Hüften gestemmt, die runde Brille auf der Stirn.

Späti-Verkäufer: Der wichtigste Mann im Kiez

Und so macht Daimi eben selbst diesen wichtigen Job im Körnerkiez, der ihm gut gefällt: „Es ist ein schöner Kiez, weil er in der Mitte von einem Berg liegt“, sagt der Neuköllner. „Einen Kiez macht ja immer aus, wie viel er eingegrenzt ist. Wenn du mitten am Kudamm lebst, sind da alle Straßen frei und es gibt keine Gassen, also gibt es da auch keine Gemeinschaft, weil alle nur durchlaufen. Aber hier gibt es Stehplätze wie den Körnerpark und den Spielplatz. Durch diese Eingrenzung entsteht Gemeinschaft, die ja dadurch geformt wird, dass man sich öfter sieht“, sagt er. Als Beispiel erzählt er gleich noch von seinen besten Freunden: „Ich bin hier um die Ecke im Kiez in der Silbersteinstraße mit meinen Kumpels zusammen groß geworden, mit Deutschen, Türken, Jugoslawen und Italienern. Wir sind wie eine Kette, wir treffen uns immer noch regelmäßig nach 45 Jahren, obwohl viele aus dem Kiez weggezogen sind. Beim Vatertag oder an Geburtstagen sind wir wieder alle zusammen, dann sind wir immer noch wie Kinder, dann sind wir wieder acht Jahre alt“, erzählt Daimi mit lachenden Augen.

QIEZ: Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Späti aus?

Daimi: „Das ist wetterbedingt. 80 Prozent der Leute sind sowieso Stammkunden, bei viel Sonne verkaufe ich viele Getränke. Zigaretten kaufen immer die Stammgäste und die Schüler kommen oft nach Schulende vorbei für Süßigkeiten und Eis. Abends kommt auch oft die Kundschaft aus anderen Kneipen vorbei, zum Beispiel aus der Sport-Bar. Am meisten verkaufe ich Tabak, Getränke und Eis.“

QIEZ: Was ist das Seltsamste, das mal jemand bei dir bestellt hat?

Daimi: „Einer wollte mal bei mir im Laden Marihuana kaufen.“

QIEZ: Berlin ohne Spätis ist wie…

Daimi: „… China ohne Chinaimbisse. Spätis sind entstanden, weil wir hier in Berlin mehr Freiheiten hatten und natürlich, weil Berlin eine Großstadt ist und die Leute viel feiern gehen. Berlin ohne Spätis – da würde man weniger feiern können. Man könnte auch sagen: Ein Späti ist wie eine Bushaltestelle. Wenn da kein Späti wäre, wäre auch kein Halt. Berlin ohne Spätis wäre also auch wie eine Stadt ohne Haltestelle, denn Berlin ist ja Treffpunkt und Haltestelle gleichzeitig.“

Stadtbistro,

Festnetz 030 74308939


Täglich von 12:00 bis 23:30 Uhr

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