High Noon – die Sonne brennt nicht ganz so heiß wie im Wilden Westen üblich, es ist März. Aber sonst wirkt alles so, wie wir es aus den Klassikern mit John Wayne und Co. kennen. Die staubige Straße ist wie ausgestorben, die Bank, das Gefängnis, der Hufschmied – alles liegt verlassen da. Es ist eine seltsame Welt, in die wir für ein paar Stunden eintauchen dürfen. In der Old Texas Town scheint die Zeit seit 1865 stehen geblieben zu sein. Die Gebäude sind echte Nachbauten, die Accessoires sind zum Teil aus den USA importiert, andere wurden detailgetreu kopiert und sogar die Postkutsche wurde nach Originalplänen geschaffen. Nur der Galgen ist ein Fake, auch wenn er durch den Weimarer Tatort mit Christian Ulmen und Nora Tschirner, der hier jüngst gedreht wurde, vielleicht Berühmtheit erlangen wird…
Texas liegt in Spandau
Mit 22 Häusern (inklusive einer kleinen mexikanischen Farm und Fort Alamo) bietet die Old Texas Town den Berliner Cowboys und Indianer, die ihre Westernfaszination und Spielfreude ins Erwachsenenleben gerettet haben, ganzjährig eine Heimat. Seit fast 70 Jahren lebt der Verein hier den amerikanischen Traum und zwar so gewissenhaft und historisch korrekt, dass sogar Texaner und amerikanische Ureinwohner gleichermaßen von der Old Texas Town begeistert sind. Wenn Jack Hunter im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unterwegs ist, reist er in abgelegene Gegenden, bekommt Zutritt zu Orten, die Touristen sonst verwehrt bleiben und darf sogar Fotos machen, wo es sonst strengstens verboten ist wie im Museum der Navajos. Jack Hunter heißt im wahren Leben Ralf Keber und ist die gute Seele des Vereins. Dass er sich hier ganztags um alles kümmern kann, verdankt er seiner Frau, die auch im Verein ist und ihm den Rücken freihält…
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In den Museen hier lagern militärische Fundstücke, alte Sporen, eine nachgebaute Gatling-Gun, selbstgeschneiderte Uniformen und traditionelle Kleidung der Indianer und unzählige Stacheldraht-Variationen, schließlich verwendete jede Ranch einen eigenen Stacheldraht. Auch Karl May darf nicht fehlen, eine Büste erinnert an den berühmtesten deutschen Western-Fan. Apropos Berühmtheiten: John Wayne kam tatsächlich vorbei, als er in Berlin weilte, die Band Truck Stop hat den Spandau-Cowboys ein Lied gewidmet (das uns Jack Hunter im Salon textsicher zum Besten gibt), Dave Dudley war da, genau wie Freddy Quinn, Gunter Gabriel, Otto Waalkes, Uwe Seele und viele Promis mehr.
Verein sucht Mitglieder
Der Verein trifft sich samstags zum Frühstück und bespricht, was anliegt. Reparaturen, Neubauten, Tag der offenen Tür oder vielleicht eine Hochzeit in der kleinen Kirche… Ja, es gibt einen Pfarrer, der schon etlichen Western-Fans hier den Segen mit auf den Weg gegeben hat. Wer Lust hat, Mitglied zu werden, kann sich bei Jack Hunter melden. Es sind noch reichlich Plätze und Aufgaben frei, denn Vampire, Ritter und Dinosaurier sind bei Jüngeren starke Cowboy-Konkurrenz…
Von März bis Dezember steht das große Eingangstor zwischen den sieben Meter hohen Türmen wieder allen Westernheld*innen offen. An jedem ersten Samstag im Monat füllen bis zu 600 Menschen die Straßen, den Saloon und die Cantina – darunter andere Vereine, Familien, Touristen und feierlaunige Berliner. Einen speziellen Familientag mit Basteln, Reiten und anderen Kindervergnügungen gibt es im September. Aber Kids, die schon ein wenig länger aufbleiben dürfen, sind auch sonst an den frühen Abenden willkommen. Pferde leben hier nicht, nur Hühner, die nach einem Filmdreh übrig geblieben sind: „Die sollten in die BSR wandern, da habe ich gesagt, die behalten wir…“, erklärt Jack Hunter – in dieser friedlichen Stadt wird niemandem ein Leid getan. Der letzte Insasse im Gefängnis ist nur noch ein Skelett. Warum er einsaß, ist längst vergessen.
Öffnungszeiten sind jeden ersten Samstag im Monat von 18.30 bis 2 Uhr. Eintritt kostet 5 bzw. 8 Euro (für Steh- bzw. Sitzplätze). Kinder bis 14 Jahre zahlen 1,50 Euro.