Unterwegs im Kiez

Das stille Herz Wilmersdorfs

Sogar an einem ganz normalen Werktag scheucht einen an der Wilhelmsaue niemand von der Fahrbahn.
Sogar an einem ganz normalen Werktag scheucht einen an der Wilhelmsaue niemand von der Fahrbahn.
Alt-Wilmersdorf - Zwischen der trubeligen Berliner Straße im Norden, der stark befahrenen Blissestraße im Westen und der Bundesallee im Osten wird es auf einmal still. Sehr still. Entlang der Wilhelmsaue erstreckt sich der alte historische Dorfkern Wilmersdorfs. Und auch heute noch erinnert dort viel an die dörfliche Ruhe vergangener Tage.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts rückte die 1293 erstmals urkundlich erwähnte und durch und durch landwirtschaftlich geprägte Siedlung Wilmersdorf zunehmend in den Blickpunkt der Berliner: Die nahe Großstadt wuchs rasant und wohlhabende Einwohner machten sich auf die Suche nach einem ruhigen Sommersitz oder zumindest einem lohnenden Ausflugsziel auf dem Land. So entstanden entlang der Wilhelmsaue – der ursprünglichen „Dorfstraße“ am 1920 zugeschütteten Wilmersdorfer See – neue Wohngebäude, großstädtische Mietshäuser, Freizeitanlagen wie der heutige Volkspark und Vergnügungslokale.

Einige Landwirte gingen in dieser Zeit des Aufschwungs als „Millionenbauern“ in die Hauptstadtgeschichte ein: Sie hatten den günstigsten Moment für sich genutzt, ihren Landbesitz an Investoren verkauft und damit ein hübsches Sümmchen Geld verdient. An zwei dieser findigen Bauern erinnern bis heute die Blisse- und die Mehlitzstraße. Auch der frühere Dorfanger, um den sich bis in die 1880er Jahre die Bauerngehöfte ringten, ist in Form eines breiten Mittelstreifens noch zu erkennen. Um 1910 hatte die Gegend rund um die 1888 in Wilhelmsaue umbenannte frühere Dorfstraße ihren ländlichen Charakter verloren. Dazu passt auch, dass Deutsch-Wilmersdorf 1907 selbstständiger Stadtkreis, 1912 in Berlin-Wilmersdorf umbenannt und 1920 schließlich nach Groß-Berlin eingemeindet wurde. Zwischen 1895 und 1920 wuchs die Zahl der Einwohner von 2400 auf rund 130.000.

Trotzdem hat man heute bei einem Spaziergang durch den alten Dorfkern Wilmersdorfs ein wenig das Gefühl, aus der Zeit zu fallen. Viel Grün, Kopfsteinpflaster, einige wenige Einzelhändler und Einkehrmöglichkeiten stellen einen deutlichen Kontrast dar zu den umliegenden – von Backshop-Ketten, Videotheken und viel Verkehr geprägten – Hauptverkehrsachsen Uhland-, Blisse- und Berliner Straße sowie der Bundesallee. Die Wilhelmsaue dagegen wird nur alle paar Minuten mal von einem Auto passiert und nur wenige Passanten schlendern gemütlich zum Einkaufen ein paar Straßen weiter oder zum Sport im benachbarten Volkspark Wilmersdorf. Rund um die hier beheimateten Kitas herrscht noch der größte Trubel. Ansonsten bestimmen Vogelgezwitscher, ein paar bellende Hunde und leere Parkbänke das Bild.

Auch im Schoelerpark, der Grünanlage hinter dem etwas verwahrlost daliegenden Schoeler-Schlösschen, einem 1765 errichteten Sommersitz, der heute das älteste erhaltene Wohnhaus in Wilmersdorf ist, lässt sich an diesem Sommernachmittag kein Mensch blicken. Aus den umliegenden Wohnhäusern dringt Klaviermusik, auf der eingezäunten zentralen Wiese sonnen sich die Kaninchen. Erst am anderen Ende des Schoelerparks geht die dörfliche Stille in lautem Kindergeschrei unter: Hier schließt sich an den früheren Dorfkern der belebte Volkspark an. Und man ist mit einem Schlag wieder mitten in der Stadt.

Das stille Herz Wilmersdorfs, Wilhelmsaue, Berlin

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