Helles Holz, eine eigenartige Asymmetrie und ein futuristischer Look: Die gute alte Parkbank hat ausgedient, heute werden Sitzinseln gebaut. Neueste Exemplare dieser Art sind aktuell auf dem wohl jüngsten Platz Berlins zu betrachten: Am 28. April wurde der Alfred-Scholz-Platz mitsamt seinen schicken Sitzgelegenheiten eingeweiht, noch längst nicht hat sich der Bausand in den Fugen verteilt. Der Platz liegt in der Mitte zweier Welten. Zur rechten die Karl-Marx-Straße – staubig, dreckig und auch ein bisschen asozial. Zur linken die Richardstraße – alt, ruhig und ein bisschen anders.
Der Anfang der Richardstraße präsentiert sich, gelinde gesagt, in rauem Charme. Allein die überzogenen Preise eines ansässigen Fahrradladens – 160 Tacken für einen vermeintlichen Retro-Drahtesel darf man getrost frech nennen – sind ein erster Hip-Indikator für den Kiez.
Well, you better go away
Und tatsächlich, ein paar Meter weiter beginnt die Nadel auf dem „Angesagt-Kompass“ heftig auszuschlagen: Im Vorbeigehen wundert man sich noch über einen kurzweilig aufploppenden Prenzlberg-Flair – mit einer bunten Straßengirlande preist der Laden Pünktchen und Caro seine Kinder-Second-Hand-Mode an – als sich plötzlich und unübersehbar ein Yuppie-Laden ins Grau des Kiezes hineingesprengt hat. „Just English“, ruft ein handwerkelnder Typ von einer Leiter von oben herab. Ach so. Ein Blick ins Ladenfenster macht klar: Nicht nur der Integrationswille, auch der Begriff „Kunst“ wird hier überstrapaziert. Nix wie weiter.
Wie aus dem Nichts tut sich auf der linken Straßenseite die Pforte zum Trödelparadies auf, das jegliche Hipster-Ressentiments vergessen lässt. Der „Antik- und Trödelmarkt Richardstraße“ ist sowas wie ein Theaterfundus, nur krasser. Ein potenzierter Theaterfundus sozusagen. Stundenlang kann man in dem riesigen Areal mit angeschlossener Möbelscheune stöbern. Schnäppchenjäger werden hier genauso fündig wie (mit etwas Glück) Antiquitätensammler.
Ein schönes Duo: Antiker Buchladen und feministische Gelerie
Und kaum ist man raus aus diesem absurd-schrillen Trödeluniversum, bietet sich die nächste Welt zum Abtauchen an: Wenige Meter weiter sitzt Katinka Krause in ihrem Buchladen. „Die Biographische Bibliothek“ ist ihr Schätzchen, die angesagten Weinkisten-Regale hat sie selbst zusammengezimmert. Das Besondere: Nicht etwa der Hip-Faktor, sondern ein finanzieller Engpass war der Grund, weshalb der urige Laden heute so aussieht, wie er aussieht. Aus Geldmangel griff die Buchhändlerin auf die kostenlosen Kisten eines befreundeten Weinhändlers zurück. Die eigentlichen Schätze sind aber die Bücher in dem Laden. Doch nicht nur ihr Laden, auch die „Galerie Olga Benario“, direkt nebenan, liegt Katinka Krause am Herzen: Feministische und politische Themen finden hier einen Raum.
Wer zu viel mit offenem Mund staunt, dem wird der Gaumen trocken. Da kommt das heimelige „Café Botanico“ gerade recht. Die hausgemachte Kräuterlimonade der Saison schmeckt hervorragend, das Ambiente entzückt und als der römische Konditor Massimo noch eine süße Leckerei zum Probieren anbietet, scheint der Himmel nicht mehr fern. Auch das Konzept des Ladens, der irgendwie halb Café, halb Restaurant ist, überzeugt: Im Kräutergarten hinterm Haus wird jede Menge von dem, was hier auf den Teller kommt, selbst angebaut. Das ist back to the roots – und zwar wortwörtlich.
Zerstückelte Puppen abseits vom Horrorfilm
Entspannen im Nachbarschaftsgarten
Heute allerdings wird nix mehr gemacht, lediglich ein kleiner Abstecher in den Comenius-Garten ist noch drin. Bauzäune und aufgerissene Straßenstücke verhindern ein schnelles Vorankommen, aber was soll’s, wer hierher kommt, sollte sowieso Zeit mitbringen.
Der Begriff Grüne Oase wird mittlerweile so inflationär gebraucht, dass man einen anderen Begriff braucht, wenn man wirklich eine gefunden hat. Der Kräuter-, Flanier-und Wildwiesengarten muss behelfsmäßig und nicht weniger klischeebeladen dann wohl als grüne Lunge vom Richardkiez bezeichnet werden.
Von hier ist es übrigens nicht mehr weit bis zum Richardplatz, den die meisten vornehmlich vom Rixdorfer Weihnachtsmarkt kennen dürften. Doch auch im Sommer ist der Platz einen Besuch wert: Schöne Restaurants, Biergärten und eine alte Schmiede sind hier beheimatet. Jetzt heißt es aber erstmal: Augen zu, Sonne genießen und sich auf den Tag freuen, an dem die Richardstraße keine Riesenbaustelle mehr ist.