In der Kita sang der junge Matthias Lier einst ein Udo Lindenberg-Lied. Das kam nicht so gut an, denn damals lebte er noch in Thüringen in einem Staat namens Deutsche Demokratische Republik. Lier begriff früh, dass seine Heimat so demokratisch nicht war und manches hinterfragt werden musste: „Für mich gab es DIE Wahrheit nicht“, sagt er heute.
Mittlerweile nimmt ihm das mit dem Singen niemand mehr krumm, denn er wohnt jetzt in Neukölln. Wir treffen Matthias Lier am Rande der Präsentation des neuen ZDF-Spreewaldkrimis Tödliche Heimkehr in der Landesvertretung Brandenburg. In dem Fernsehfilm spielt er neben Nadja Uhl und Christian Redl (Kommissar Krüger) die Hauptrolle. Als Holger Bingel möchte er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Tanja Bartko (Uhl) und mit Hilfe von Investoren ein nachhaltiges Wellness-Hotel auf einem Ufergrundstück im Spreewald bauen. Doch das Projekt stößt auf Ablehnung, es gibt Schwierigkeiten mit der Baugenehmigung und Bingel gerät ins Zwielicht. Dazu Lier: „Ich war fasziniert von der Figur Holger Bingel. Ist der nun gut oder böse?“ Denn dieser Spreewaldkrimi legt es darauf an, Eindeutigkeit und schnelle Gewissheiten zu vermeiden. Das fängt damit an, dass die Geschichte nicht streng chronologisch erzählt wird und zieht sich durch den Film, der dem Zuschauer verschiedene Perspektiven und damit verschiedene Varianten von Wahrheit präsentiert.
Damit wirkt die Folge im mehrfachen Sinne aktuell. Dass die Frage nach der Wahrheit jetzt auch auf der Meta-Ebene eines Krimis, durch seine Erzählweise, gestellt wird, hatten wir neulich schon im Stuttgarter Tatort – und nicht nur da. Dass sich Film und Fernsehen sowie Medien generell der Diskussion um Fakten und Meinungen stellen, ist positiv. Schließlich stehen sie unter Beschuss von jenen, die die Wahrheit mit ihrer eigenen Weltanschauung verwechseln. Auch Matthias Lier ist sich der Tragweite der Problematik bewusst und bezieht klar Stellung: „Es ist unbestreitbar, dass wir in Deutschland relativ gesehen eine sehr freie Presse haben.“
Spannend und atmosphärisch
Der Spreewaldkrimi funktioniert aber auch einfach als spannende Unterhaltung. Man braucht etwas, um sich auf die nicht-lineare Erzählweise einzustellen, aber dann entfaltet Tödliche Heimkehr seine Sogwirkung. Die Atmosphäre der Reihe war schon immer eine ihrer Stärken – wenn Kommissar Krüger auf einem Kahn durch den Spreewald stakt (also das Boot wie ein Gondoliere mit einem langen Stab fortbewegt), ist das eben etwas anderes als der x-te Berlin-Krimi. Auch Matthias Lier war begeistert von der Gegend: „Ich fand es faszinierend dort“, sagt er. Auf die besonderen Herausforderungen hat er sich vorbereitet: „Ich habe einen Stak-Kurs gemacht und es auch recht schnell hingekriegt.“
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Während es auch mystische Elemente in Tödliche Heimkehr gibt, wirkt die Hintergrundgeschichte um das geplante Hotel und seine Investoren aktuell und realitätsnah. „Die Autoren haben sehr genau recherchiert“, findet Lier. Mit Investoren sieht er sich auch zu Hause in Neukölln konfrontiert: „Mein schöner Tante-Emma-Laden wurde rausgentrifiziert“, erzählt er uns. Der Schauspieler mag die Vielfalt des Bezirks, in dem er seit sieben Jahren lebt: „Ich verschmelze mehr und mehr mit dem Stadtteil und liebe das Bunte auf der Straße.“ Am Anfang fand er das Sehen-und-gesehen-werden, das gefühlte Dabei-sein-müssen noch etwas beschwerlich: „Der Puls reibt ein bisschen auf.“ Inzwischen hat er sich längst eingelebt und möchte die berühmte Mischung von Nord-Neukölln nicht mehr missen. Doch die ist keine Selbstverständlichkeit, dessen ist sich Matthias Lier bewusst: „Die Investoren kommen her, weil da so eine bunte Flora ist und profitieren von den Leuten, die sie rausschmeißen.“
Noch gibt es in Neukölln aber jede Menge zu erleben. Der Schauspieler schwärmt von der tollen Live-Musikszene, den schönen Parks und Grünflächen in der Gegend. Einer dieser grünen Orte, an denen er sich im Sommer gerne aufhält, ist der Comeniusgarten. „Ein wahnsinnig tolles afrikanisches Restaurant“ sei das Pan Africa in der Kirchhofstraße. Und dann gibt es eben jene Orte, an denen Neukölln ein bisschen über die Stränge schlägt und noch nicht alles seine Ordnung hat. Matthias Lier erzählt vom Herrfurthplatz, wo auch das bekannte Café Selig liegt: „Da fängt manchmal mitten in der Nacht ein Opernsänger an zu singen.“
Der Spreewaldkrimi „Tödliche Heimkehr“ läuft am Montag, 26. November, um 20.15 Uhr im ZDF.