Arij und Samer führen durch ihr persönliches Berlin und berichten dabei von ihrer eigenen Fluchtgeschichte, ihrem früheren Leben in Syrien und ihrem heutigen in Berlin. Als Stadtführer zeigen sie dabei die Straßen und Orte Neuköllns, die ihnen besonders wichtig sind.
Querstadtein – Geflüchtete zeigen ihr Berlin ist ein Projekt des Vereins Stadtsichten. Der Verein startete 2013 mit Stadttouren, die von ehemaligen Obdachlosen organisiert wurden. Mit der Erweiterung des Projekts soll nun auch Geflüchteten die Möglichkeit geboten werden, anderen Berlinern und Touristen ihren Blick auf die neue Heimat zu zeigen.
Auf der Sonnenallee sprechen viele Menschen ihre Sprache
„Jetzt sind wir auf der Arabischen Straße“, sagt Samer. Gemeint ist die Sonnenallee. Als die beiden ihr Heim in Wannsee bezogen, erfuhren sie bald von der Existenz dieser Straße. Seitdem ist sie ihre Ersatzheimat geworden. „Die Sonnenallee ist unsere Hauptstadt in der Hauptstadt„, erklärt er. Arij ergänzt, wie schwierig es sei, irgendwo anzukommen, wo man nichts verstehe und nichts kenne. Zwei Mal in der Woche kamen sie deshalb aus Wannsee nach Neukölln – auf der Sonnenallee sprechen viele Menschen ihre Sprache, es gibt arabische Cafés, Restaurants und Supermärkte. „Hier fühle ich mich wie in Damaskus“, sagt Arij.
Wie fühlt sich Ankommen in einem fremden Land eigentlich an? „Das erste, was ich dachte als wir in Berlin ankamen, war: Jetzt sind wir in Sicherheit“, sagt Samer. Er ist ein gepflegter Mann, seine Haare hat er nach hinten gegelt, sein Bart ist akkurat gestutzt. Wenn er redet, gestikuliert er in großen Bewegungen. Er fühlt sich wohl, wenn er von seinem Berlin berichtet. „Ich möchte mit den Menschen in Deutschland in einen Dialog treten. Wir möchten Teil der Flüchtlingsdebatte sein und nicht nur die Objekte, über die berichtet wird.“ Das ist einer der Gründe, weshalb sich Samer dazu entschieden hat, als ehrenamtlicher und alternativer Stadtführer zu arbeiten.
„Früher waren wir jemand, jetzt sind wir immer nur Flüchtlinge„, sagt Samer, während er sich in den Durchgang an der Neuköllner Oper zurückzieht, wo der Lärm der Karl-Marx-Straße verstummt. Samer ist Jurist. Genauso wie seine Frau Arij, die in Damaskus als Anwältin arbeitete. „Wir hatten ein tolles Leben in Syrien“, ergänzt Arij. „Der Krieg hat es zerstört.“ Mit den Stadtführungen hat Samer endlich wieder eine Aufgabe im Leben.
Ob Deutschland wirklich so anders ist als Syrien? Alles sei hier anders, sagen die beiden. Doch sie gewöhnen sich an das Leben hier. „Berlin ist eine wunderschöne Stadt und die Menschen sind sehr hilfsbereit und freundlich„, fällt das Urteil von Arij über ihre neue Heimat aus. Und das obwohl gerade Freundlichkeit Berlinern nicht nachgesagt wird.
Der Ort für ein neues Leben
„Auch der ‚Hermann‘ ist wichtig für uns“, erklärt Samer mit Blick auf den Hermannplatz. Ein Ort, der wegen Drogenhandel und Kriminalität eigentlich eher negativ auffällt. Doch für Arij, Samer und viele andere ist dieser Platz ein wichtiger Treffpunkt. Es ist ein Maidan, ein Ort an dem man sich versammelt, so wie auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Am „Hermann“ treffen sie sich immer mit ihren Freunden, bevor sie weiterziehen, in eine der vielen arabischen Bars um die Ecke.
Auf dem „Hermann“ unterhalten sie sich dann über ihr neues Leben – über das Lageso, die Flüchtlingsunterkunft oder über das BAMF, welches sie nur „das Gericht“ nennen. „Wir stellen uns vor, dass im BAMF nur Richter sitzen, die darüber urteilen, ob wir bleiben dürfen oder nicht“, sagt Samer lachend.
Die Sparkasse an der Karl-Marx-Straße ist für viele Berliner einfach eine Bank. Für die beiden Syrer ist es die einzige Bank, die ihnen ein Konto erlaubte. Was für viele irgendein Handyladen ist, ist für Arij und Samer der Ort, an dem sie sich auf ihrer Sprache einen Handyvertrag besorgen konnten, der es ihnen erlaubt, günstig in die Heimat zu telefonieren. Neukölln – ein Stadtteil, der für viele Berliner ein sozialer Brennpunkt ist, ist in den Augen von Arij und Samer ein Ort, an dem ihr neues Leben begann.