Wäre die Angelegenheit, besonders für die direkt Betroffenen, nicht so traurig, könnte man von einer Ironie des Schicksals sprechen. Ausgerechnet solche Songzeilen sollen die letzten sein? „Hinterm Horizont geht’s weiter, / ein neuer Tag, / hinterm Horizont immer weiter, / zusammen sind wir stark.“ Mitunter mag solcher Optimismus angemessen sein, diesmal nicht.
Beim Filmfestival zeigt man sich daher gelassen: „Die Berlinale hat für die Nutzung des Theaters einen mehrjährigen Mietvertrag abgeschlossen“, sagte Festivalsprecherin Frauke Greiner. „Wir gehen davon aus, dass dieser Vertrag erfüllt wird und die Premieren des Wettbewerbs auch in den kommenden Jahren im Berlinale Palast stattfinden werden.“ Der ist dann allerdings ein Haus, in dem das Leben weitgehend erloschen, das nur noch leere Hülle ist.
Etwa 100 Mitarbeiter sind betroffen
Die Entscheidung war den Mitarbeitern am Montag von Uschi Neuss, Geschäftsführerin von Stage Deutschland, mitgeteilt worden. Es habe die Kollegen sehr unvorbereitet getroffen, sagte am Mittwoch Unternehmenssprecher Stephan Jaeckel. Etwa 100 Mitarbeiter seien betroffen, vielleicht etwas weniger. Details würden jetzt mit dem Betriebsrat besprochen.
„Hinterm Horizont“ wird nun also erst mal das Ende sein. Das Stück – unter der Regie von Ulrich Waller, nach einem Buch von Thomas Brussig und mit 29 Songs von Udo Lindenberg – lief seit Januar 2011 rund 200 Mal vor mehr als zwei Millionen Zuschauern. Lange Zeit sei es ein Erfolg gewesen, in den vergangenen drei, vier Monaten aber seien die Kartenverkäufe „deutlich gesunken“. Für das Unternehmen eine „Frühwarnung“, dass ein Abgleiten in die Verlustzone drohe. Man hatte auf eine Steigerung durch weitere Werbung und die Ankündigung des Laufzeitendes für August gehofft, dies habe aber nur „ein kleines Zucken“ ausgelöst, keine Trendwende. Solch ein Abflachen des Interesses nach einer gewissen Zeit sei nicht ungewöhnlich, doch es fehle in diesem Fall eine erfolgversprechende „Anschlussbespielung“.
Blue Man Group und Theater des Westens sind nicht betroffen
Alles sei danach überprüft worden, Innovationen seien durchdacht, programmatische Überlegungen angestellt worden, beschrieb es Jaeckel. Am Ende stand die Entscheidung, das Haus zu schließen. Zwar erfreut sich das Unternehmen nach Jaeckels Darstellung insgesamt erfreulicher Resonanz beim Publikum, sehr viele der Musicals seien erfolgreich, mit dem seit 14 Jahren laufenden „König der Löwen“ als Spitzentitel. Für den Potsdamer Platz hat man aber keinen Ersatz. Ein Umzug eines anderswo erfolgreichen Stückes sei verworfen worden, andere Stücke, für die Stage die Lizenz besitze, befänden sich erst im Entwicklungsstadium, und neue auf dem Weltmarkt angebotene Musicals passten fürs deutsche Publikum oft thematisch und musikalisch nicht. Angesichts dieses Risikos habe man sich eben aus realistischer Einschätzung der Lage zu dem harten Schritt entschlossen. Stage erhalte schließlich keine Subventionen.
Das Unternehmen ist in Berlin noch mit der seit elf Jahren unvermindert erfolgreichen „Blue Man Group“ am Potsdamer Platz und dem auf Tourneen spezialisierten Theater des Westens in der Kantstraße präsent. Dort läuft ab 24. Januar wieder „Ich war noch niemals in New York“ mit Songs von Udo Jürgens, im April gefolgt von „Tanz der Vampire“ nach dem Film von Roman Polanski. Die Vorverkäufe zu dem Grusical liefen glänzend, sagte Jaeckel. Stage glaube weiter an den Berliner Markt, wolle am Potsdamer Platz keineswegs den Kopf in den Sand stecken, aber was am Ende in dem vorerst leeren Haus stattfinden könnte, vermochte er nicht zu sagen.
Den Potsdamer Platz hält Kieker aber trotz des Aus für das Musicaltheater für einen exzellenten Standort. Auf die Touristenzahlen, so seine Erwartung, dürfte sich die Leerstelle am Potsdamer Platz ohnehin nicht auswirken. Zwar kommen rund 80 Prozent wegen der Kultur, aber davon gibt es eben auch ohne ein Musical weniger mehr als genug.