Die Idee hört sich irre an, ist aber relativ nahe liegend: In immer mehr Ländern weltweit herrscht Dürre und Wassermangel und gleichzeitig treibt auf den Meeren ausgezeichnetes, sauberes Trinkwasser in Form von Eisberg-Schollen. Wenn diese erst einmal schmelzen, ist das kostbare Süßwasser aber unwiederbringlich verloren, obwohl es so dringend benötigt wird. Deshalb haben Timm Schwarzer und Heiner Schwer gemeinsam mit Ingenieuren und Unternehmen das Projekt Polewater entwickelt. Für die Trinkwassergewinnung werden freitreibende Eisberge auf dem Meer in Schlepptau genommen, kontrolliert abgeschmolzen und als wertvolles Trinkwasser verwendet. Das 2015 gegründete Berliner Unternehmen Polewater GmbH ist das erste, das dieses spezielle Verfahren aus der Theorie in die Praxis bringt.
Erst einmal müssen die Eisberg-Schollen gefunden werden – dafür scannt Polewater permanent die Zielgebiete im Südatlantik vor dem Nordpol mit moderner Space-Technologie. Denn um die Umweltschutzauflagen des Antarktisvertrages einzuhalten, dürfen nur Tafeleisberge jenseits des 60. Breitengrades genutzt werden. Mit einem Hochseeschlepper wird der riesige Eisbrocken dann in einem superleichten, flexiblen Schleppgeschirr in eine andere Region zu einer Wasserstation geschleppt, gefiltert und in Waterbags gepumpt. „Um möglichst wenig Energie aufzuwenden, schmelzen wir das Eis nicht vor Ort, sondern nutzen die Sonnenenergie in südlicheren Breitengraden. Außerdem nutzen wir zum Transport zu 80 Prozent die Meeresströmungen aus“, erklärt Schwarzer. So sei die Trinkwassergewinnung so nachhaltig wie möglich. Mit dieser Methode könnten mit nur drei Transporten unglaubliche 4 Milliarden Liter Wasser in 33 Tagen bewegt werden. Nicht nur die Menge beeindruckt, sondern auch die Qualität: Das Trinkwasser, das im „ewigen“ Eis bereits Millionen von Jahren eingeschlossen ist, ist extrem rein und kam einst unter anderem von anderen Sternen durch Kometen oder Meteoriten auf die Erde.
Gletschereis als Trinkwasser
Da Eisberge wie Bäume aus verschiedenen Altersschichten bestehen, hat das eingeschlossene Wasser im Eis unterschiedliche Qualität. Das will das Unternehmen Polewater für den Vertrieb einer Premium-Trinkmarke nutzen, für das nur Wasser zwischen 50 und unglaublichen 200.000 Jahren verwendet wird. Die Wellness-Edition soll sogar sage und schreibe 1 Million Jahre altes Wasser enthalten. Dieses zeichnet sich durch hohe PH-Werte, fehlende Schadstoffe und wenige harte Mineralien aus. Allerdings geht es Polewater nicht darum, großen Reibach mit dem Klimawandel zu machen, sondern das Projekt langfristig zu finanzieren und Trinkwasser für Länder mit Wassermangel bereitzustellen. „Wir haben absichtlich kein soziales Projekt aus unserer Idee gemacht, sondern ein Unternehmen gegründet, denn langfristig soll sich Polewater selber tragen. Wir wollen ja nicht jedes Jahr ein Crowdfunding machen“, sagt Timm Schwarzer. Deswegen wird für das Flaschenwasser auch nur fünf bis zehn Prozent des Eisbergwassers verwendet.
Durch den Gewinn aus dem Verkauf der Luxus-Wasserflaschen kann das restliche Trinkwasser günstig an Länder wie Afrika verkauft werden, die sonst teuer Meereswasser entsalzen oder Trinkwasser importieren müssten. „In Katastrophensituationen wollen wir das Wasser auch gratis zur Verfügung stellen“, so Schwarzer. Die Technik zum Abschmelzen der Eisberge ist einsatzbereit, nun fehlt nur noch das Geld. Derzeit sucht Polewater nach einem Investor – bis zu 60 Millionen Euro wird unter anderem für Kauf von Technik, Equipment und das erste Eisberg-Abschleppen benötigt.
Trinkwasser für Krisengebiete
Die erste mobile Wasserstation der Polewater GmbH soll vor Südafrika liegen – dort also, wo Wasser jetzt schon ein knappes Gut ist. In der südafrikanischen Hauptstadt Kapstadt herrschte dieses Jahr im März wegen einer dreijährigen Dürre eine so schlimme Wasserkrise, dass die gesamte Wasserversorgung der Stadt um ein Haar abgeschalten wurde. Von der Wasserstation auf dem Meer aus kann das Trinkwasser aber auch schnell in andere Regionen mit Wassermangel transportiert werden, zum Beispiel in Katastrophengebiete.
Ein weiterer Vorteil des Polewater-Projekts: Da das Abschmelzen von Eisbergen zur Erhöhung des Meeresspiegels beiträgt und, wie Wissenschaftler vermuten, auch den Golfstrom abschwächt, ist das Auffangen des Eisbergwassers eigentlich ganz nützlich. Allerdings machen die Eisberg-Transporte von Polewater laut Firmeninhaber ohnehin nur einen verschwindend kleinen Teil der jährlich abbrechenden Eismassen im Südatlantik aus. Da ist es laut Schwarz auch nicht schlimm, wenn beim mehrtägigen Transport schon etwas Eis abschmilzt: besser, als wenn sich der Eisberg mitsamt Trinkwasser ungenutzt im Meer auflöst.