Der Mann am Telefon vom Bundesinnenministerium (BMI) hörte sich eher erstaunt als verärgert an: Ob es denn tatsächlich nicht machbar sei, dass die Mitarbeiter der Grundsatzabteilung des BMI an diesem einen Termin die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen besuchen könnten? Der Besucherdienst der Gedenkstätte musste die Gruppe zurückweisen – weil am gewünschten Tag das Stasi-Gefängnis bereits ausgebucht war. Gedenkstätten-Direktor Hubertus Knabe erklärt die Situation: „Es gibt Tage, an denen einfach nichts mehr geht. Wir mussten im ersten Halbjahr dieses Jahres schon rund 5000 Menschen abweisen. Das ist für die Interessierten oft sehr enttäuschend, für uns aber auch.“
Komplett ausgebucht
Es ist klar, dass sich Knabe und sein Team über die stetig steigenden Besucherzahlen des ehemaligen zentralen Stasi-Gefängnisses freuen. Seit 1994, als das ehemalige Gefängnis als Gedenkstätte den Betrieb aufnahm, kamen bereits über zweieinhalb Millionen Menschen. Allein 2011 kauften 342.000 Interessierte ein Ticket, zehntausend mehr als im vorangegangenen Jahr.
2012 wird voraussichtlich ein neuer Rekord aufgestellt werden. 171.000 Besucher kamen seit Anfang des Jahres, Im Vergleich zu 2011 sind das 6000 Besucher mehr. Somit erhöhte sich die Besucherzahl nochmals um vier Prozent. Für die zweite Hälfte des Jahres haben sich sogar bereits 13 Prozent mehr Besucher als zur selben Zeit 2011 angekündigt, allein im September wollen 37.000 Menschen kommen.
„Im September und Oktober sind ganze Wochen komplett ausgebucht“, erzählt Hubertus Knabe. Dabei hat die Gedenkstätte täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet und Gruppen werden meist noch bis 19 Uhr durch das Gelände geführt.
Zusätzliche Öffnungszeiten sind teuer
Eine bessere Auslastung sei im Grunde genommen nur dann möglich, wenn die Öffnungszeiten weiter ausgebaut würden, sagt Knabe, der seit Dezember 2000 als Direktor der Gedenkstätte agiert. Schon zu Beginn setzte er durch, dass auch am Sonntag die Tore für Besucher geöffnet sind. Doch schon zwei Stunden längere Öffnungszeiten pro Tag, würden eine Finanzierung im fünfstelligen Bereich voraussetzen, kalkulieren Knabe und seine Kollegen.
Das ehemalige Gefängnisgebäude wird zu je fünfzig Prozent vom Bund und vom Land Berlin getragen. Beide Finanzgeber müssten bereit sein, zusätzliches Geld in die Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu stecken. Lohnen würde es sich auf jeden Fall, meint Hubertus Knabe.
Was war die DDR für ein Staat?
Hatte die Freien Universität Berlin (FU) nicht eine recht repräsentative Studie herausgebracht, aus der hervorgeht, dass nur ungefähr ein Drittel der befragten 7500 Schülerinnen und Schüler aus den Klassen neun und zehn die DDR als Diktatur ansah? „Wer hier von ehemaligen Häftlingen durch die Zellen geführt wird, der weiß anschließend, was die DDR für ein Staat war“, ist Knabe sicher.
Für ihn ist das deshalb von großem Stellenwert, da schließlich über die Hälfte der registrierten Besucher Schüler sind, die oft im Klassenverband kommen. „Die haben im Geschichtsunterricht kaum noch Zeit“, sagt Knabe: „– oft nur zwei, drei Stunden für die deutsche Teilung inklusive DDR. Und manchmal können die Lehrer frei entscheiden, ob sie als Beispiel für eine Diktatur die DDR oder das sogenannte Dritte Reich behandeln, was vielen näher liegt.
Es wird Zeit, Geschichte aufzuarbeiten
Der Direktor findet es auch beachtenswert, dass mehr Schüler aus den alten als aus den neuen Bundesländern die Gedenkstätte besuchen. So machten sich 2010 circa 28.000 Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen, 29.000 aus Bayern und 27.000 aus Baden-Württemberg auf den Weg. Aus Berlin kamen 10 000 Schülerinnen und Schüler, aus den neuen Bundesländern kamen im Schnitt nur 1000 bis 3000. Dass der Grund für die geringen Besucherzahlen unter Schülern auch mit einer wahrscheinlichen Aversion ostdeutscher Lehrer gegenüber dem Thema zu tun hat, ist für Hubertus Knabe kein weit hergeholter Gedanke. Immerhin seien es häufig die Lehrkräfte, die das Programm für Klassenfahrten ausarbeiten. „Einmal hat eine Lehrerin aus Brandenburg beim Besuch des ehemaligen Gefängnisses hier gesagt, die DDR, die hier gezeigt werde, sei nicht die DDR, die sie erlebt habe“, erzählt er.
Jörg Drieselmann, der Direktor des sogenannten Stasi-Museum in der früheren Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), erachtet Reaktionen dieser Art nicht als ungewöhnlich. „Wenn man in einer dieser furchtbaren Zellen steht und das Leid der Gefangenen regelrecht spürt, kann man schlecht das soziale System in der DDR loben“, sagt er. Das sei für so manchen Besucher quälend – und lehrreich.
Auch das Stasi-Museum in der Normannenstraße erfreut sich steigender Besucherzahlen, erzählt Drieselmann. 2011 kamen etwa 100.000 Besucher, in diesem Jahr könnten die Zahl auf 120.000 ansteigen. Im Vergleich zur Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen steht es aber besser um die Kapazitäten und räumliche Alternativen. Deshalb mussten noch keine Besucher abgewiesen werden.