Wenn Gregorio Ortega Coto von seiner Beziehung zu Albert Einstein erzählt und zu erklären versucht, wieso er gerade dort gelandet ist, wo einst das Berliner Wohnhaus des Physikers stand, spricht er gern von einer „Verkettung von Kausalitäten“. Aber das, was ihm kürzlich dort in der Haberlandstraße 8, nahe am Bayerischen Platz in Schöneberg, widerfuhr, fällt wohl eher unter Zufall. Wieder einmal stand er auf seinem Balkon oben im vierten Stock, etwa dort, wo sich, damals noch unter der Adresse Haberlandstraße 5, Einsteins Wohnung befand. Schon 2005 hatte er außen ein Plakat aufgehängt: der Schnauzbart in Blau mit der ebenso berühmten Formel „E = mc²“.
Unter ihm näherte sich eine Gruppe von vier Leuten, besah sich den verwitterten Gedenkstein im Vorgarten, betrachtete auch den Hinweiszettel, mit dem Ortega Coto auf die Enthüllung der von ihm initiierten Einstein-Stele an diesem Freitag hinwies. Die Gruppe blickte nach oben, entdeckte das Plakat, nahm Blickkontakt mit dem Mann auf dem Balkon auf, wechselte ein paar Worte, denen er entnahm, dass eine der beiden Frauen, von denen eine nun Rosenblätter streute, eine Nachfahrin Einsteins sei. Eine Jackie Braunstein, geborene Moose, aus Kalifornien, wie er erfuhr. Mit ihrem Mann Glenn auf den Spuren ihres Vorfahren, verwandt mit Helene Moos, Einsteins Großmutter väterlicherseits, wie ihr durch ein angehängtes e amerikanisierter Name ahnen lässt.
Auch seine Wohnung in dem schmucklosen 50er-Jahre-Bau, der an die Stelle der im Krieg zerstörten großbürgerlichen Pracht getreten ist, hatte Ortega Coto durch einen Zufall gefunden, der sich wie Schicksal ausnimmt. Es war für ihn nur irgendeine Wohnung, die er besichtigen, eventuell beziehen wollte – bis er den Gedenkstein sah. Einstein hatte hier gelebt! Für den er sich schon immer begeistert hatte! Wenn das kein Zeichen war.
Kümmerliches Gedenken
Aber der Gedenkstein wurde ihm dann doch zum Ärgernis. Von 1917 bis 1932 hatte der Physiker in der Haberlandstraße gewohnt, nicht mal diese Daten stimmten auf dem Stein. Dem 66-jährigen Ortega Coto, der in den 60er Jahren aus Spanien als Gastarbeiter nach Berlin gekommen war, erst in einer Pizzeria, später als Sozialpädagoge arbeitete und jetzt Autor ist, erschien es jämmerlich, dass Berlin nur auf diese Weise an seinen ehemaligen Bürger erinnerte. Und so entstand vor zwei Jahren, vorbereitet durch die Plakataktion am Balkon und die Anlage eines kleinen Einstein-Gartens hinterm Haus, die Idee zu der Stele, die an diesem Freitag, 11 Uhr, enthüllt wird, musikalisch untermalt von Streichern der Philharmoniker – etwas anderes käme bei Hobby-Geiger Einstein kaum infrage.
Einige Hürden waren zu überwinden, bis das Projekt Gestalt annahm. Das begann mit der Finanzierung. Rund 6.000 Euro kostet die Stele, deren Enthüllung sich nun in das Programm „Zerstörte Vielfalt“ einfügt – Geld, das durch Spenden zusammenkam, durch den Verkauf von Postkarten und vor allem durch Lotto- Mittel. Unterstützung kam vom Nachbarschaftsheim Schöneberg, während der Bezirk zusagte, die Pflege der Stele zu übernehmen.
Die Informationen zum Leben Einsteins in der Haberlandstraße hat Ortega Coto selbst recherchiert und zusammengestellt, sechs Fotos, der Wohnungsgrundriss und recht viel Text werden auf der gläsernen, von einer Grafikdesignerin gestalteten Stele zu sehen sein. Einstein war Anfang September 1917 in die Haberlandstraße gezogen, zunächst in eine eigene, an die seiner Cousine grenzende Wohnung, die den damals schwer erkrankten, noch mit seiner ersten Frau verheirateten Physiker pflegte. Erst nach der Hochzeit mit Elsa am 2. Juni 1919 zog er in deren Wohnung um, baute sich dazu ein Zimmer unterm Dach, „Turm“ genannt, ohne Genehmigung zur Studierstube aus, was ihm viel Ärger mit dem Bauamt einbrachte.
„Klein und bescheiden“
Es war eine geräumige Wohnung, sieben Zimmer plus Nebenraum, in großbürgerlichem Ambiente mit Portier und Fahrstuhl. Charlie Chaplin allerdings, der Einstein 1931 besuchte, fand sie „klein und bescheiden“, war aus Amerika andere Dimensionen gewohnt: „Man könnte die gleiche Wohnung auch in der Bronx finden, ein Wohnzimmer, das auch gleichzeitig als Esszimmer diente. Auf dem Fußboden lagen alte, abgetretene Teppiche.
Das wertvollste Möbelstück war der schwarze Flügel, auf welchem er jene historischen ersten Notizen über die vierte Dimension gemacht hat.“ Auch Berühmtheiten wie Heinrich Mann, Max Liebermann, Max Planck, Carl von Ossietzky, Gerhart Hauptmann oder Walther Rathenau verkehrten in der Wohnung, die Einstein mit Elsa am 6. Dezember 1932 für immer verließ, eingeladen zu einem Forschungsaufenthalt in den USA, von dem er nach Hitlers Machtübernahme nicht zurückkehrte. Den größten Teil der Einrichtung konnte er retten, als Diplomatengepäck getarnt, gelangte er über Paris nach Princeton, samt Bibliothek und Flügel.
Solche biografischen Details verschwieg der alte, nicht mal in den dürftigen Daten korrekte Gedenkstein. Erst die Stele gibt hinreichende Informationen – für ihren Initiator „eine Art Huldigung“ des Physikers, mit dem er sich seit langem verbunden fühle. Über die Gründe für diese Faszination muss Ortega Coto nicht lange nachdenken: „Er war politisch, hat vielen geholfen, hatte Humor. Und er war sehr widersprüchlich – wie ich, wie wir alle. Ich denke, er war ein guter Mensch.“
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