Manche Stolpersteine entdecke ich erst bei widrigem Wetter, wenn ich mich bei heftigem Regen mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Schirm gegen den Wind stemme und die Augen auf den Boden richte, um Pfützen auszuweichen. Doch diese Stolpersteine fielen mir sofort auf – sie glänzten in der Morgensonne. Amalie Perls und Elisabeth Perls, las ich. Von den Lebensdaten her mussten es Mutter und Tochter sein. Der Name ließ mich an Fritz Perls denken, einem der Begründer der Gestalttherapie.
Amalie Perls war die Mutter von Friedrich Salomon Perls, der zusammen mit seiner Frau Laura, im südafrikanischen Exil und später in den USA, die Gestalttherapie mitbegründete. Elisabeth Perls war seine älteste Schwester. Die beiden Frauen lebten bis zu ihrer Deportation vor 71 Jahren, am 7. September 1942, in der Prinzregentenstraße 77. Dort steht heute ein Nachkriegsbau aus den 50er-Jahren. Seine Mauern wissen nichts mehr von dem Leid, das den beiden Frauen angetan wurde. Als sie im Morgengrauen von der Gestapo abgeholt wurden, hatten sie schon zehn Jahre lang Erniedrigung, Ausgrenzung und systematische Entrechtung erfahren. Vielleicht versprach der 7. September 1942 noch ein schöner Spätsommertag zu werden, vielleicht blühten Herbstastern im Vorgarten. Ahnten die Frauen, dass es für sie keine Rückkehr geben würde?
Amalie Perls, geborene Rund, aus Laurahütte in Oberschlesien, war 84 Jahre alt, als sie deportiert wurde. Sie war eine fromme, orthodoxe Jüdin, die auf die Einhaltung der Gebete und Riten an den jüdischen Feiertagen achtete. Bis zur nächsten Synagoge hatte die alte Dame nur wenige Schritte zu gehen. In der Prinzregentenstraße 70 war 1930 ein neues jüdisches Gotteshaus mit einer Schule eröffnet worden. Oder ging Amalie Perls doch lieber in die Synagoge in der Münchener Straße? Konnte sie noch so weit gehen? Als sie an jenem Septembermorgen von der Gestapo abgeholt wurde, hatte sie schon fast vier Jahre lang keine Synagoge mehr besuchen können, denn beide Gotteshäuser waren zu dieser Zeit schon Ruinen. Die SA hatte sie in der Pogromnacht des 11. November 1938 angezündet und zerstört.
Nachbarn von Walter Benjamin
Nathan Perls, der Ehemann von Amalie, war ein Einwanderer aus einem jüdischen Schtetl in Polen, dem Aufstieg und Integration gelungen waren. Die Familie lebte zunächst, wie viele arme Immigranten, im Berliner Scheunenviertel, heute Bezirk Mitte. Dort kamen Elisabeth Perls 1891 und ihr jüngerer Bruder Fritz 1893 zur Welt. Nathan Perls machte Karriere als Handelsvertreter und brachte es zu Wohlstand. So konnte er es sich 1896 leisten, in das gutbürgerliche Bayerische Viertel im Berliner Westen, in die Ansbacher Straße 53, umzuziehen. Von Amalie Perls wissen wir, dass sie mit ihren Kindern gern ins Theater und in die Oper ging. Amalie Perls wurde am 7. Oktober in Theresienstadt ermordet. Ihre Tochter Elisabeth konnte unter den elenden Bedingungen des Lagers noch zwei Jahre überleben. Am 16. Oktober 1944 wurde sie weiter deportiert nach Auschwitz und vermutlich am Tag ihrer Ankunft dort in der Gaskammer ermordet.
Beeinflusst von Sigmund Freud
Die Gestalttherapie ging von der Psychoanalyse Sigmund Freuds aus, einer ihrer Ahnherren war Wilhelm Reich, der von 1930 bis 1933 ebenfalls in der Nachbarschaft, in der Schwäbischen Straße, wohnte. Prägend für die Gestalttherapie waren die Flucht von Fritz und Laura Perls aus Deutschland, ihr Exil in Südafrika und den USA, sowie ihr Überleben des Holocaust, durch den sie zahlreiche Angehörige verloren. An zwei Mitglieder dieser Familie, Amalie und Elisabeth Perls, erinnern die Stolpersteine in der Prinzregentenstraße 77.
Elisabeth C. Gründler ist auch die Verfasserin der Broschüre „Synagoge Prinzregentenstraße„, herausgegeben von der Evangelischen Auen-Kirchengemeinde.