Senat: 2,1 Milliarden Grüne: 1 Milliarde Aktivisten: 320 Millionen
Jeder rechnet sich die Welt, wie sie ihm gefällt. Die Grünen kritisieren die amtliche Kostenschätzung scharf: „Der Senat betreibt Desinformation.“ Tatsächlich ergeben sich bei näherem Hinsehen einige überraschende Widersprüche. Fünf Beispiele.
1. Radschnellwege
Der erste deutsche Radschnellweg RS1 wird zurzeit in Nordrhein-Westfalen gebaut. Die Kostenschätzung für 100 Kilometer liegt dort bei 187 Millionen Euro, also 1,87 Millionen Euro pro Kilometer. Der Senat rechnet fast das Doppelte: 3,25 Millionen Euro pro Kilometer. Die Grünen halten eine Million für realistisch, mit Verweis auf Beispiele in den Niederlanden und Dänemark. Interessanterweise verweist der Senat bei der Kostenermittlung sogar auf das Beispiel RS1. Die Planer des RS1 sind ratlos: „Diese Zahl höre ich zum ersten Mal“, sagt Martin Tönnes, Bereichsleiter Planung im Regionalverband Ruhr. Die Kosten von 1,87 Millionen Euro bezögen sich schon auf den städtischen Raum und seien vergleichsweise hoch, vor allem, weil für den RS1 viele alte Bahnbrücken saniert werden müssen. „Realistisch sind 1,5 Millionen Euro pro Kilometer. Das sagen die Kollegen aus den Niederlanden.“
2. Radwegeneubau
Dieser größte Posten der amtlichen Kostenschätzung ist am schwersten einzuschätzen, vor allem, weil im Gesetzentwurf der Initiative keine genauen Anforderungen definiert sind. Die Grünen würden sich auf den meisten Straßen mit Radstreifen begnügen, also im Wesentlichen Markierungsarbeiten und Radampeln finanzieren. Kostenschätzung: 330 Millionen Euro.
Die Initiative rechnet pauschal mit 226 Millionen Euro für das „Radverkehrsnetz“. Der Senat schätzt die Kosten für einen einfachen Ausbau des 1600 Kilometer langen Hauptstraßennetzes mit Markierungen und „punktuellen Sanierungen“ auf 400 Millionen Euro, rechnet aber offiziell mit einem „oberen Schätzwert“ von 1,4 Milliarden Euro. Darin sind vor allem Baukosten für neue beziehungsweise neu sanierte, zwei Meter breite Radwege neben der Fahrbahn enthalten. Die Begründung: Vielerorts lasse der Straßenzustand ein „einfaches Markieren“ gar nicht zu. Und weil der Volksentscheid nur eine Frist von acht Jahren setze, könne mit dem Ausbau der Radwege nicht bis zur nächsten regulären Komplettstraßensanierung gewartet werden. Es würden also relativ ineffizient Steuergelder verbaut, so der Senat.
3. Fahrradstellplätze
„Planung, Beschaffung und Einbau“ eines Kreuzberger Bügels für zwei Räder kostet laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung 250 Euro. 100 000 zusätzliche Abstellplätze, wie vom Volksentscheid gefordert, kämen also auf 12,5 Millionen Euro. Das steht in der Antwort des Senats auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar. In der amtlichen Kostenschätzung wird die doppelte Summe genannt: 24 Millionen Euro, davon fünf Millionen Euro für eine „Überdachung“ von 5000 Stellplätzen und vier Millionen Euro „Baunebenkosten“.
4. Neue Fahrradstaffeln
Im Volksentscheid-Gesetz werden Fahrradstaffeln in allen Ordnungsämtern und Polizeidirektionen gefordert. Obwohl für den laufenden Modellversuch – 20 radelnde Polizisten – kein zusätzliches Personal eingestellt wurde, rechnet der Senat bei der Polizei mit 100 neuen Stellen. Kosten: 110 Millionen Euro. Für die geforderte Ermittlungsgruppe Fahrraddiebstahl geht die Verwaltung von „voraussichtlich 45 Personen“ (13,6 Millionen Euro in acht Jahren) aus. Die Grünen kritisieren, dass der Senat nicht aus dem vorhandenen Personal schöpfen will.
5. Kosten-Nutzen-Analyse
Der Senat hat die 35 Millionen Euro, die er laut Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler (SPD) schon jetzt jährlich für den Radverkehr ausgibt, nicht von seiner Kosten-Nutzen-Analyse abgezogen. Macht auf acht Jahre gerechnet immerhin 280 Millionen Euro weniger. Die Volksentscheid-Macher rechnen zusätzlich mit Spareffekten von 135 Millionen Euro, weil Diensträder statt -autos genutzt würden, mehr Bußgelder gegen Falschparker eingingen und die Krankheitsquote im öffentlichen Dienst drastisch sinken würde.
Für die Ruhr-Region wurde ein Kosten-Nutzen-Vorteil des Radschnellwegs mit dem Faktor 4,8 errechnet – jeder investierte Euro erzeugt also einen „gesamtwirtschaftlichen Gewinn“ von knapp fünf Euro. Das geschieht vor allem durch weniger Staus, Abgase, Lärm, Stress und mehr Tourismus. So rechnen übrigens auch die Kopenhagener. So etwas steht allerdings in keiner amtlichen Kostenschätzung.