Diamantfabrikken ist nun wirklich nicht das erste und nicht das einzige Tattoostudio im Wedding. Gleich im Nachbarhaus arbeitet schon der nächste Tätowierer. Das ist aber kein Problem: „Wir ergänzen uns eher mit unseren Stilen“, glaubt Astrid Narud. Die 33-Jährige ist schließlich nicht von der Fraktion, die Totenschädel sticht. „Ich habe schon immer gerne gezeichnet und seit ein paar Jahren arbeite ich auch als Tätowiererin“, erzählt sie. Ihr liegen eher die feinen Linien und Schattierungen.
Selbst hat sie auch nur wenige Tattoos – „Ich kann mich einfach nicht entscheiden“, sagt die gebürtige Dänin lachend. Vielleicht besitzt sie deshalb zehn Fahrräder, angefangen vom Bahnrad bis hin zum Lastenrad. Im Hinterzimmer des Cafés befindet sich ihr freundlich-helles Studio, wo sie ohne Vorlagen und nur mit individuell entworfenen Motiven arbeitet. Ihre Kunden kommen von weit her, da Astrids Stil einmalig ist – er wird von manchen Kunden mit dem von Tim Burton verglichen.
Tattoo und Kaffee verbinden sich
Der Feinsinn für Details zieht sich durch das ganze Café. Im Gastraum empfängt Klaudia Sczendzina die Besucher. Die beiden Frauen haben viele Jahre als Fahrradkuriere gearbeitet und kennen sich, seit sich Klaudia von Astrid ein Tattoo stechen ließ. Die gebürtige Polin ist vor kurzem aus Duisburg nach Berlin gezogen, für ihre gemeinsame Geschäftsidee musste es ein Laden im Wedding sein. „So etwas wie ein Tattoo-Café gibt es hier noch nicht“, sagt sie. Und überhaupt: Im ansonsten ziemlich verschlafenen Englischen Viertel ist Diamantfabrikken ein richtiggehendes Schmuckstück. Ganze 14 Jahre hat der Laden zuvor leer gestanden, und die beiden Geschäftspartnerinnen haben ihn mit viel Energie und Ideenreichtum renoviert. „Nicht schlecht für zwei Frauen“, so der Kommentar eines Weddinger Nachbarn – und das will in diesem rauen Umfeld etwas heißen.
Zu trinken gibt es keinen Alkohol, aber dafür Kaffee aus Fairtrade-Quellen und natürlich Tee. Das süße Angebot an Kuchen, Torten und Zimtschnecken ist dem dänischen Einfluss geschuldet. Die herzhaften Tagesgerichte – bei denen die meisten Zutaten Bio-Qualität haben – sind eher von Klaudias polnischer Herkunft geprägt. Sandwiches, Suppen, Wraps, vor allem aber der selbstgebackene Kuchen machen das Wohnzimmercafé zu einem neuen Anziehungspunkt an der oberen Müllerstraße. Den ganzen Tag gibt es ein süßes oder herzhaftes Frühstücksangebot für 6,50 Euro.
Gemütlich vor der Tapete
Die wilde Mischung, für die die beiden Fahrradkurier-Frauen stehen, zeigt sich auch an der äußerst einladenden Einrichtung des Cafés. Die beige-braune Tapete ist neuer als man zunächst glauben mag, die Stühle und Sessel, die vielen unterschiedlichen Lampen und Deko-Elemente sind von überall zusammengetragen und mit viel Aufwand aufgearbeitet worden. In Dänemark würde man das Resultat garantiert als „hyggelig“, urgemütlich, bezeichnen.
Die Theke hat ein befreundeter Tischler – gegen Bezahlung in Form eines Tattoos – gebaut, die blauen Fliesen setzen einen originellen Akzent. Trotz der vielen Details ist Diamantfabrikken nicht knallig oder stylisch, sondern ein angenehm unaufdringlicher Ort im normal gebliebenen Kiez zwischen Müllerstraße und Schillerpark. „Wir wollen hier bald auch ein Straßenfest mit Trödel organisieren“, sagt Klaudia, die sich erst einmal auf den Kiez einlassen möchte – „ohne dass wir uns all zu ernst nehmen!“
Text: Joachim Faust
Dieser Artikel erschien zuerst bei www.weddingweiser.de.