Kommentar

Der endlose (Profit)Streit ums Tempelhofer Feld

Das ehemalige Flugfeld in Tempelhof.
Der Volksentscheid von 2014 stellte klar, dass die Berliner*innen keine Bebauung des ehemaligen Flughafengeländes wünschen. Doch der Wohnungsmarkt wird enger: ein Grund trotzdem auf dem Tempelhofer Feld zu bauen?

Immobilienspekulanten, Baufirmen und Miethaien muss es schwerfallen, die unglaubliche Freiheit des Tempelhofer Felds zu genießen. Was könnten hier für Wohnungen (ent)stehen und was für Mieten könnte man da kassieren… Doch die Berliner*innen haben dem Streben nach noch mehr unansehlichen Townhouses und modernen Wohnbunkern zu Höchstpreisen einen gesetzlichen Riegel vorgeschoben. Und trotzdem werden immer wieder Rufe laut, dass der Volksentscheid ewig her sei (5 Jahre) und neue Umfragen ergeben (angeblich), dass die Mehrheit der Bürger*innen längst für eine Bebauung sei. Auch die SPD als soziale Partei spricht sich für eine „behutsame“ Randbebauung aus – zum Wohle des Volkes natürlich. Die Behutsamkeit sieht zunächst einen langgestreckten Block an der Autobahnseite vor, der Gewerbe und Mietwohnungen vereint.

Vom Rand ins Zentrum

Aber was bedeutet „behutsam“? Sind damit wirklich die Baupläne gemeint, die nur gaaaanz wenig vom Feld nutzen wollen, oder zielt die Behutsamkeit darauf, langsam und unbemerkt mit vereinzelten Projekten das gesamte Feld einzunehmen? Eine vom RBB und der Berliner Morgenpost initiierte Umfrage dient den Befürwortern nun als Stütze, um die Debatte endlich in die richtige, profitbringende Richtung zu lenken. Doch im Ernst: Ist die repräsentative Zufallsauswahl einer Umfrage mit einem Volksentscheid zu vergleichen? Tausend Berliner, die nun telefonisch befragt wurden, stehen gegen fast 1,2 Mio Hauptstädter, die 2014 beim Volksentscheid abgestimmt haben. Die unglaublich hohe Beteiligung an der Wahl damals und die etwa 740.000 Stimmen gegen die Bebauung überraschten sogar hartgesottene Unterschriftensammler. Naja, zum Glück hat die aktuelle Umfrage keine weitere politische Bedeutung. Oder?

 

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Ein Beitrag geteilt von Sophie 💫| Vegan 🌱 (@sophiehelenez) am Mai 12, 2019 um 9:34 PDT

Überraschend ist es jedenfalls auch nicht, dass der Osten der Stadt sich heute laut Umfrage eine Bebauung des Feldes eher vorstellen kann als der Westen. Die Familien, Rentner, Hipster und Jugendlichen aus Pankow und Weißensee sollten einfach mal öfter nach Tempelhof fahren und die unzähligen Möglichkeiten auf den Wiesen und asphaltierten Flächen nutzen. Das Flughafengelände ist keine Brache, es ist tierisch was los. Ja, es gibt sogar Naturschutzabschnitte und ein Viertel aller Berliner Feldlerchen leben auf der Freifläche. Außerdem treffen Spaziergänger, Kitelandboarder, Skateboarder, Radfahrer, Langstreckenläufer und unzählige andere Sportler hier auf Kinder, die ihre Drachen steigen lassen, ihre Bikes auf natürlichen Buckelpisten ausfahren oder mit ferngesteuerten Autos Rennen fahren. Daneben wird gegrillt, Minigolf gespielt und in Biergärten gechillt. Das Feld bringt die Stadt zusammen, friedlich und vergnügt. Das ist unbezahlbar.

Von anderen Städten lernen

Natürlich gibt es Wohnraum-Mangel in Berlin, wir sind ja nicht blind und taub. Vor Jahrzehnten und Jahrhunderten war man vielleicht noch der Ansicht, die Stadt wächst einfach überall dort, wo noch Platz ist. Heute sind wir doch so viel klüger (räusper). Wir holzen nur Wälder ab, wenn ein paar Bäume woanders gepflanzt werden (hüstel). Wir vertreiben keine alteingesessenen Menschen mehr, um an Neue (mit mehr Geld) Wohnungen zu vermieten (keuch). Und schon gar nicht bebauen wir alle freien Fläche um jeden Preis… Hier endet der ironische Abschnitt! Es wird nämlich Zeit, aus Fehlern zu lernen. Das Tempelhofer Feld ist ein Luxus, den Berlin sich leisten sollte. Als Park kann es in Sachen Größe und Lage mit dem Central Park in New York und dem Englischen Garten in München mithalten. Und wenn wir bei der bayerischen Landeshauptstadt bleiben: Die Wohnungsnot in München hat dazu geführt, dass nur noch 22 Prozent der Stadtfläche grün sind, in Hamburg sind es 50 Prozent, Berlin hält sich mit 44 Prozent noch ganz tapfer.

 

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Ein Beitrag geteilt von Snapping Around (@snapping.around) am Mai 11, 2019 um 12:46 PDT

Die Diskussion wird ab 2019 also umgekehrt geführt: Die Retter des Feldes sind heute die Verhinderer sozialen Wohnungsbaus. Eine Volksbefragung des Senats soll nun Klarheit schaffen, ob sich die Meinung der Berliner*innen geändert hat. Um auf Nummer sicher zu gehen, wird vorher wird in jedem Fall noch die passende Meinung geschürt. Es fällt schwer, angesichts der vielen Schicksale von Wohnungssuchenden und Verzweifelten und verdrängten Berlinern das Feld als Freifläche zu verteidigen. Leichter wird es, wenn man sich vor Augen hält, was wir auf lange Sicht verlieren.

Eine Oase, die allen Berlinern offensteht, eine Natur, die sich zurückholt, was ihr genommen wurde, eine grüne Lunge und eine kleine anarchistische Welt mitten im Bürokratiedschungel. Wie wäre es denn, die Flughafengebäude als Sozialwohnungen umzubauen? Unter Einhaltung aller Denkmalvorschriften versteht sich. Ein Großteil der Hangars steht leer… Ach nein, da sollen ja Museen und Eventflächen rein. Da könnte man ja auch noch mal diskutieren, wenn wir schon dabei sind: Brauchen wir mehr Kultur oder Natur? Freiheit oder Wohnraum? Geld oder Berlin?

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