„Eine Fabrik. Ein Engländer, der sie bewacht. Ein Händler umhüllt von Zimt, der sie besucht. Ein Psychologe, der auf den Takt achtet. Ein Klavierspieler, der sich nicht erinnern will. Und ein Kronleuchter.“ Hm, das klingt, nennen wir es mal, inspirierend. Um die Tragikkomödie unter Regie von Ralf Blank zu erleben, müssen wir erst einmal sechs Stockwerke der denkmalgeschützten Malzfabrik erklimmen – schon alleine das riesige, über 100 Jahre alte Backsteingebäude und die Anlage drumherum sind ein Erlebnis, das perfekt auf das kommende Theaterstück einstimmt.
Hautnah am Geschehen sitzen wir mit circa 20 Personen vor der beeindruckenden Kulisse einer ehemaligen Fabrikhalle. Es ist dunkel, zwei unbekannte Männer schaukeln inmitten eines Labyrinths aus Wassergläsern, nach einer Weile steht der eine auf und will gehen. „Du darfst nicht rausgehen, das ist gefährlich, du machst noch etwas kaputt“, versucht der andere den Ungestümen aufzuhalten, der im Gläserlabyrinth tänzelt. Der jedoch lässt sich nicht abhalten, und verabschiedet sich schon mal vorsichtshalber – was übrigens zum Running Gag des Abends wird. Am Ende erzählt der Unruhige, Giselher ist sein Name, doch über die Geschehnisse in seiner Fabrik. Vorhang auf, die Geschichte beginnt…
Bittersüßer Beigeschmack
Da ist der etwas begriffsstutzige Zimthändler Benjamin mit seiner Hassliebe zum Zimt, der auf der Suche nach seinem Bruder ist und eines Tages in die verlassene Fabrik gestolpert kommt. Er trifft auf den arroganten, durchtriebenen Wächter Remus, gespielt von Daniel Anderson, der die leere Fabrik bewacht und sein eigenes Minderwertigkeitsgefühl durch Boshaftigkeit zu überspielen versucht. Er fristet seine Tage in der Fabrik mit dem unbedarften Putzer Ramon, der von Höherem träumt und – wenn er nicht gerade kehrt und wischt – seinen Körper trainiert und mit Zimtöl einreibt. Gut, dass der Schauspieler Armin Schiller auch im echten Leben so sportlich ist. Ab und zu schaut auch mal Giselher, der verwirrte Fabrikbesitzer, in seiner eigenen Erzählung vorbei, bringt alle auf die Palme mit seinen Marotten und die Zuschauer zum Lachen.
Zwischen diesen vier Figuren entwickelt sich eine seltsame Dynamik aus Wettkampf, Mitgefühl, unerfüllten Sehnsüchten und Leidensgenossenschaft. Denn wie Geister fristen Remus, Ramon und Giselher ihr Dasein in der leeren Fabrik. Dazu passt, dass sie fast alle unter Schlafstörungen leiden, die der Zimt schließlich heilt – doch er ruft auch seltsame Träume hervor. Und es scheint, als kenne das Trio den Bruder des Zimthändlers doch! Die Situation schaukelt sich immer weiter hoch, es beginnt sich alles ineinander zu verschlingen… Da ist es gut, dass es den Psychologen Piotr gibt, der Schaukelnachbar aus der Anfangsszene, dem Giselher die Geschichte erzählt. Er stellt die Charaktere vor, lenkt die Geschichte wieder in ihre Bahn und beruhigt den alten Hasen Giselher, wenn der sich erneut in einer Endlosschleife verfängt. Moment, wo wir gerade von Hasen reden.. Aber nein, wir wollen nicht zu viel verraten.
Fazit
Die jungen Nachwuchsdarsteller, viele gerade frisch von der Schauspielschule, müssen einiges leisten in dem Stück Die Zimtfabrik: Es wird auf Fabrikrohren balanciert, auf Maschinen geklettert, steile Leitern werden herauf- und heruntergejagt und auch Kopfstände gehören zum Programm. Sie meistern die Premiere aber mit Bravour. Ihre Rollen verkörpern die Darsteller so perfekt, dass man sich zu fragen beginnt, ob die Charaktere sich selbst mimen – vor allem beim Zimthändler Benjamin, gespielt von Simon David Altmann. Die Zimtfabrik ist eine herrlich verschrobene Komödie mit einer feinen Zimtbitternote in beeindruckender Location.
Das kleine Theater shortvivant fördert vorrangig Nachwuchsschauspieler und anerkannte Theater- und Film-Schauspielschulen. Es refinanziert sich nur privat durch seine Aufführungen. Weitere Termine sind am heutigen 25. sowie am 26., 29., 30., 31. August und 2. September um 20 Uhr. Karten kosten jeweils 10 Euro und sollten schon vorher gekauft werden.