Es ist Zeit für ein bisschen Kültür – zumindest wenn es nach dem farbenfrohen Stammlokal von Tom Gramenz in der Simon-Dach-Straße geht. Genau am Lokal Kültürzeit treffen wir uns auch mit dem 26-jährigen Schauspieler, der erst vor Kurzem im Kino mit dem Film Das schweigende Klassenzimmer zu sehen war. Darin spielt er den Abiturienten Kurt Wächter, der 1956 in Stalinstadt lebt und nach einem Besuch im Westen in der Wochenschau von dem Volksaufstand in Ungarn hört. Daraufhin schlägt Kurt vor, eine Schweigeminute für die Opfer in der Klasse abzuhalten. Dies führt jedoch dazu, dass die Schüler als Staatsfeinde der noch jungen DDR angesehen werden.
Der Film des Regisseurs Lars Kraume ist der erste große Kinofilm für Tom, der in Wiesbaden groß geworden ist. Die Schauspielerei entdeckte er für sich auch im Klassenzimmer. „In der fünften Klasse haben wir Struwwelpeter aufgeführt, ich kann mich aber kaum noch daran erinnern“, sagt er, als wir die bekannte Friedrichshainer Straße entlanglaufen. Da es gerade erst 14 Uhr ist, laufen uns statt Partyvolk Passanten mit Hunden entgegen. Tom besuchte die Helene-Lange-Schule, wo der Schauspieler Ulrich Cyran (Vorwärts immer, Stuttgarter Tatort) als Dozent tätig ist. Mit seiner Hilfe traute sich Tom auf der Bühne immer mehr zu. Nach zwei weiteren Schultheaterstücken in der 9. und 10. Klasse kam er zu einer Rolle im Staatstheater Wiesbaden. Nach dem Stück spielte er in dem Berliner Film Sommer vorm Balkon . Außerdem weckte er Interesse bei seiner jetzigen Künstleragentur: „Da war ich gerade 15 oder 16 Jahre alt“.
Nomadenleben in Berlin
Nach Berlin kam Tom vor vier Jahren, weil er an der renommierten Schauspielschule Ernst Busch in Niederschöneweide angenommen wurde – bekannte Absolventen sind Karoline Herfurth oder August Diehl. Damals plagte ihn ein Problem, was viele Menschen in der Hauptstadt betrifft: akuter Wohnungsmangel. „Ich habe fast ein Jahr lang bei Freunden auf einer Matratze geschlafen. Ich hatte zwar zwischendurch ab und zu die Möglichkeit in einem richtigen Zimmer unterzukommen, aber ein Zuhause, wie man sich das so vorstellt, hatte ich während der Zeit nicht.“ Ein Vorteil dieses Nomadenlebens: Tom hat auch andere Bezirke gut kennengelernt, wie zum Beispiel Neukölln. Bis heute geht er dort gerne in die Eckkneipe Laidak oder trinkt Cocktails im Tier.
Seit drei Jahren wohnt er mit seinem Mitbewohner im Simon-Dach-Kiez. Den Partytrubel im RAW–Gelände in unmittelbarer Nähe bekommt er nach eigener Aussage in seiner Wohnung nicht mit, weil sein Fenster zum Innenhof rausgeht. „Es ist aber Luxus, dass man zu jeder Uhrzeit rausgehen und sich was zu essen holen kann“, sagt der 26-Jährige, der kurz davor ist, seine Schauspiel-Ausbildung abzuschließen. Nur die Diplomarbeit fehle ihm noch, so Tom, als wir einen nächsten Favoriten von ihm ansteuern: Die Dachkammer.
Sein angestammter Platz? Die durch eine Glastür abgetrennte Raucherecke im hinteren Bereich der Bar. Zwar hat er erst kürzlich aufgehört zu rauchen, aber seit mehr als zehn Jahren war der Glimmstängel sein täglicher Begleiter. „Ich hatte jetzt das Bedürfnis aufzuhören. In der Schauspielschule war das so ein Teufelskreis: Du probst zwei Stunden und dann gehst du raus und rauchst schnell zwei Zigaretten. Das hat geholfen, um nachzudenken, und zwar darüber, wie das gerade war, was man gespielt hat.“
Schulfreunde am Set
Eigentlich hatte er für die Rolle des Erik Babinski im Schweigenden Klassenzimmer vorgesprochen, die ging aber an seinen Kommilitonen Jonas Dassler. Von Konkurrenz aber keine Spur: „Wir waren lustigerweise sogar am gleichen Tag beim Casting und haben gehofft, dass es noch eine Rolle gibt, damit wir gemeinsam drehen können, sagt Tom als er an seinem zweiten Cappuccino (es war nicht der letzte) bei diesem Spaziergang nippt. Das überzeugende Spiel im Film, was den Zusammenhalt in der Klasse angeht, führt Tom auf Lars Kraumes Arbeitsweise zurück. „Bei Lars herrscht eine sehr familiäre Stimmung. Man geht auch mal abends ein Bier zusammen trinken oder bespricht gemeinsam die Rollen.“ So gab ihm der Regisseur den Tipp, sich vorher die Filme Berlin Ecke Schönhauser… und Die Halbstarken anzuschauen, um sich das Lebensgefühl von damals besser vorstellen zu können.
Wir lassen die gemütliche Dachkammer hinter uns und setzen unseren Spaziergang weiter Richtung Boxi fort – das Lebensgefühl ist gut bei uns, denn etwas Sonne ist auch rausgekommen. Auf unserem Weg zeigt uns Tom das Hangmee auf der Boxhagener Straße, wo es laut ihm sehr leckere thailändische Gerichte gibt, die ideal sind, um sie mit mehreren zu teilen. Genauso gerne isst er im Patta (Krossener Straße) eine Kumpir oder trifft sich mit Freunden im Macondo, das viele Sessel und Couchen zum Chillen bereithält. Hauptsache ein Laden sei nicht steril, so Tom, der mit der Musik von den Beginnern, Fanta 4, Eminem und Blumentopf groß geworden ist.
Unser Abschied an unserem Startpunkt Kültürzeit ist ein Vorbote für Toms Weggang aus Berlin, denn in nur wenigen Monaten wird er sich auf den Weg nach Karlsruhe machen. Dort hat er nämlich eine Anstellung am Staatstheater erhalten. „Ich würde auch gerne später wieder nach Berlin ziehen, jetzt freue ich mich aber auf die neue Herausforderung. Ich hoffe die Wohnungssuche wird dieses Mal etwas leichter“, sagt Tom und lächelt zuversichtlich. Wir drücken die Daumen!