„GRM – Brainfuck“ von Sibylle Berg (Mareile)
Dieser Roman ist nichts für Weicheier, aber dennoch ein absolutes Urlaubsbuch: Man braucht nämlich Zeit, um die 640 Seiten zu lesen, und innere Ruhe, um den harten Stoff zu verarbeiten. GRM ist das Kürzel für Grime – eine Art punkiger HipHop oder Anarcho-Rap, der von der britischen Jugend verehrt wird. Zur Fangemeinde zählen auch die vier Protagonisten-Kids, die sich im Dickicht aus Überwachungsstaat, Post-Brexit-Wirtschaft, synthetischen Emotionen und spießigem Sumpf eine Zukunft erhoffen. Die Autorin Sibylle Berg zeigt sich konsequent brutal. In der Sprache und beim Inhalt, die genau dadurch eine unfassbare Einheit bilden. Das ist toll. Mega. Krass! Das Buch zieht dich in seinen Bann, aber am Ende bist du froh, dass Bergs Dystopie (noch) keine Gegenwart ist.
GRM: Brainfuck. Roman von Sibylle Berg ist im KiWi Verlag erschienen und für 25 Euro im Handel erhältlich.
„Herkunft“ von Saša Stanišić (Julia S.)
In seinem neuesten Buch widmet sich der Sprachkünstler Saša Stanišić dem aktuellen Thema Heimat. „Herkunft ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt“, heißt es im Klappentext. Und was wäre naheliegender als das anhand der eigenen Familienbiografie zu erzählen? In Stanišićs Erzählungen über das ehemalige Jugoslawien schwingt eine eigentümliche Melancholie mit, die den Leser von Anfang an einfängt. So liest man betroffen über das Schicksal der Gemeinde von Stanišić schwerkranker Großmutter in einem krisengebeutelten Land,über Heimatlosigkeit und Misstrauen zwischen früheren Vertrauten. Die Charaktere im Buch – ein Flößer, ein Bremser, eine Marxismus-Professorin, die Marx vergessen hat – wirken wie Hüter einer Vergangenheit, die der Autor mit seiner sanften, weichen Sprache zum Leben erweckt. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass die Grenze zwischen Biografie und Fiktion immer weiter aufweicht. Herkunft liest sich trotz schwerer Thematik so leicht wie eine Fabel – mit dem Unterschied, dass sie wahr ist.
HERKUNFT von Saša Stanišić ist im Luchterhand Verlag erschienen und für 22 Euro im Handel als Hardcover erhältlich.
„In 80 Tagen um die Welt“ von Helge Timmerberg (Maria)
Er ist der Gott der Reisereportage: Helge Timmerberg. Deshalb habe ich alle seine Bücher verschlungen – vor allem im Urlaub! Denn nur da hält sich das Fernweh ob des eigenen Reiseglücks in Grenzen. In dem Buch In 80 Tagen um die Welt begibt sich der Journalist auf die Spuren des gleichnamigen Originals von Jules Verne. Klar verbringt der Riesen-Indienfan Timmerberg darin einen perfekten Tag in Bombay, ist allein in Venedig und landet schließlich wieder in Berlin. Dazwischen stehen so Timmerberg-typische Sätze wie dieser: „Die Romantik der christlichen Seefahrt ist in den Häfen zu finden, nicht dazwischen. Nee, Herr Verne, da werden wir nachbessern müssen. Aber noch etwas unterscheidet uns wesentlich: Einer von uns ist nie losgefahren. Und ich bin das nicht.“
In 80 Tagen um die Welt von Helge Timmerberg ist im Rowohlt Verlag erschienen und für 8,99 Euro im Handel erhältlich.
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Die Frieda Klein-Buchreihe von Nicci French (Tina)
Wenn sich ein gutes Buch dem Ende neigt, werde ich nervös: Wo nur schnell ein Neues hernehmen, das für Ersatzbefriedigung sorgt? Genau deshalb freue ich mich besonders über coole Reihen, die mich wochenlang zuverlässig mit Unterhaltung versorgen. Band ausgelesen? Kein Problem. Next! Zuletzt hat mich in Sachen Viel-Lesestoff das britische Schriftsteller-Ehepaar Nicci French umgehauen. Ihre Frieda Klein-Reihe um eine Londoner Psychotherapeutin, die in diverse Mordfälle verwickelt wird, ist richtig gut. Auch weil die Identifikation mit den unterschiedlichen Charakteren hervorragend funktioniert – und das Ganze so noch mehr Spannung kriegt. Der erste Band kam bereits 2012 auf den Markt, der letzte im Oktober 2018. Wenn du also jetzt mit der Reihe startest, hast du gleich acht neue Schmöker – damit kommst du garantiert gut über den Sommer.
Band 1: Blauer Montag: Thriller – Ein Fall für Frieda Klein ist im Penguin Verlag erschienen und für 10 Euro im Handel erhältlich.
Reportagen – Weltgeschehen im Kleinformat (Jule)
Normalerweise mag ich am liebsten Thriller, aber für diese Ferien empfehle ich dir eine Mischung aus unterhaltsamer und abwechslungsreicher Lektüre: das Magazin Reportagen. Es beschreibt sich selbst als „unabhängiges Magazin für erzählte Gegenwart“ und versammelt spannende Reportagen aus der ganzen Welt, verfasst von internationalen Autorinnen und Autoren. Im Mittelpunkt stehen Menschen, die dir tiefe Einblicke in ihr Leben, Denken und Handeln geben, aber auch ihre Sorgen und Nöte erzählen. Darunter ein Weinbauer in Bordeaux, der aufgrund des Klimawandels seine Trauben bald nicht mehr anbauen kann, oder ein Pilot, der verrät, was im Cockpit wirklich vor sich geht. Mittlerweile sind 47 Ausgaben mit jeweils sechs Storys auf dem Markt und jeden zweiten Monat erscheint ein neuer Band.
Reportagen 45: Das unabhängige Magazin für erzählte Gegenwart erscheint im Verlag Puntas Reportagen und ist für 15 Euro im Handel erhältlich.
„Das Leben ist eins der Härtesten“ von Giulia Becker (Emma)
Kann eine feministische Influencerin, die mit Gags für Jan Böhmermann und auf Social-Media-Kanäle bekannt geworden ist, einen Roman schreiben? Ja, zumindest Giulia Becker ist es gelungen. Ihr Debüt-Roman ist provokant und lustig, alltäglich und ungewöhnlich. Und: Er spielt nicht in der schillernden Medienwelt Berlins sondern in Borken. In der Provinz. Der 28-jährigen Autorin gelingt es unglaublich gut, die unterschiedlichsten Frauen- und Männerbilder humorvoll, lebensnah und dennoch respektvoll zu beschreiben: Silke, die im Zug und in ihrem Leben die Notbremse zieht, Renate, die Teleshopping süchtig ist, Willy-Martin, der als Nerd endlich (vielleicht) die Liebe entdeckt, und Frau Goebel, die sich mit dem Tod anfreunden muss… Die lakonische Erzählweise passt bestens an den Strand und in die Berge, wenn das Hirn auf Sparflamme ist.
Das Leben ist eins der Härtesten von Guilia Becker ist im Rowohlt Verlag erschienen und für 20 Euro im Handel erhältlich.
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„Hausbrand“ von Kamila Shamsie (Nikolaus)
Leicht ist diese Urlaubslektüre nicht, aber die 256 Seiten des packenden Buches schafft man im Sommer trotzdem locker. Die britisch-pakistanische Schriftstellerin Kamila Shamsie führt uns in Hausbrand hinein in eine Familientragödie, die sich an Motiven von Sophokles‘ Antigone orientiert. Es fängt vergleichsweise harmlos an, als Isma, eine Londonerin pakistanischer Herkunft, in den USA Eamonn kennenlernt, ebenfalls aus London mit pakistanischer Herkunft. Was zunächst eine unwahrscheinliche Liebesgeschichte zu werden scheint, entfaltet sich zu einem Mix aus griechischer Tragödie, Familiendrama und Polit-Thriller: Ismas kleiner Bruder verlässt wie einst sein Vater die Familie, um in den Dschihad zu ziehen. Doch er hat bald genug vom IS und ausgerechnet Eamonns Vater, der britische Innenminister, könnte vielleicht etwas für ihn tun… Die spannende Story wird in Kapiteln erzählt, die nacheinander den verschiedenen Hauptfiguren folgen – und sie liest sich unheimlich gut.
Hausbrand von Kamila Shamsie ist im Berlin Verlag erschienen und für 22 Euro im Handel erhältlich.
„Superposition“ von Kat Kaufmann (Viola)
Migrationshintergrund? „Migrationsvordergrund!“, so würde es dir die 26-jährige Izy Lewin entgegenbrüllen, wenn du sie nach ihrer Herkunft befragen würde. Die Protagonistin aus Kat Kaufmanns 2015 erschienenem Debütroman Superposition tingelt als Jazzpianistin durch Berlin, wo „die Schilder der Dönerbude leuchten wie Discoeingänge“. Sie verbringt ihre Nächte in Clubs, Bars oder bei Timur, den sie verehrt, obwohl er in einer Beziehung mit Astrid lebt. Inmitten dieser abgedroschenen Berlin-Bilder – zwischen Koks, Supermarkt-Alkis und russischem Gedeck (Wodka und Kaffee) – steht die große Frage nach der Identität: Wer bin ich eigentlich und was soll ich aus meinem Leben machen? Das typische Berlin-Buch überzeugt durch Kat Kaufmanns derbe Sprache sowie kluge und wortgewandte Gedankengänge. Superposition ist die perfekte Urlaubslektüre für alle, die sich auch manchmal fragen, wann das richtige Leben eigentlich beginnt...
Superposition von Kat Kaufmann ist im Ullstein Verlag erschienen und für 10 Euro im Handel erhältlich.
„Das größere Wunder“ von Thomas Glavinic (Julia K.)
Manchmal ist dieses Buch sehr inszeniert und vielleicht ein bisschen fernab der Realität. Aber hey, wer braucht es im Urlaub schon absolut realitätsnah? Wer sich auf Das größere Wunder einlässt, wird belohnt mit einer Geschichte, die man oft nicht aus den Händen legen kann – außer dann, wenn man die Seiten kurz sinken lässt und in die Ferne starrt, um über Zeilen nachzudenken, die das Zeug zur Lebensweisheit haben. Doch zur Handlung: Wir begleiten Jonas auf seiner Expedition auf den Mount Everest. Obwohl die absolut eindrücklich beschrieben ist, geht es aber eigentlich gar nicht darum. Denn abwechselnd mit der Besteigung liest du kapitelweise über Jonas‘ oft schwierige Vergangenheit und erfährst anhand von Erinnerungen, warum er gelandet ist, wo er ist. Und was das mit Freundschaft, Geborgenheit und (natürlich) der großen Liebe zu tun hat. Ein Buch für alle, die so rastlos sind wie Jonas und für Leseratten, die liebevoll durchdachte Protagonisten mögen.
Das größere Wunder von Thomas Glavinic ist im Verlag dtv erschienen und für 11,90 Euro im Handel erhältlich.
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„Das Café am Rande der Welt“ von John Strelecky (Anna)
Der komplette Titel des Buches ist Das Café am Rande der Welt: eine Erzählung über den Sinn des Lebens und das trifft den Nagel auf den Kopf. Nachdem ich dieses Buch gelesen habe, habe ich mein Leben hinterfragt und es radikal umgekrempelt. Am Anfang stand die Frage: Bin ich glücklich?, und am Ende eine Kündigung und mein Neustart im Journalismus. Aber keine Angst, dich erwartet keine Gehirnwäsche sondern eine schöne, kurzweilige Erzählung, die gespickt ist mit vielsagenden Metaphern und die sich darum dreht, was Glück ist. Die Hauptfigur John landet auf einer Reise nach Hawaii in einem kleinen Café, das ihn mit drei Fragen zum Sinn des Lebens konfrontiert. So erfährt der gestresste Manager, dass eine Reise manchmal viel weiter führt als erwartet. Und wer weiß, wohin dich diese Seiten treiben?
Das Café am Rande der Welt von John Strelecky ist im dtv Verlag erschienen und für 9,90 Euro im Handel erhältlich.