Die Zeit mit Marquardt sei sehr intensiv gewesen, sagt Strittmatter. Ihre gemeinsame Ost-Vergangenheit habe ihr dabei geholfen, seine Geschichten besser verstehen und aufschreiben zu können. Trotzdem hätten sie sich bis zum Ende ihrer Zusammenarbeit gesiezt, um eine Form von Distanz zu bewahren. Während winterlicher Spaziergänge durch den Prenzlauer Berg und langen Abenden in ihrer Küche hat Strittmatter die Lebensgeschichte des ominösen Türstehers dokumentiert, es entstand die Autobiographie „Die Nacht ist Leben“, die Marquardts Arbeit als Fotograf und Club-Pförtner beleuchtet, insbesondere jedoch seine Jugend in der DDR in den Fokus rückt.
Als Punk in der DDR
Durch seinen Lebensstil hatte Marquardt in den 80er Jahren mit allerhand Einschränkungen zu kämpfen. Er musste sich z.B. in die Redaktion des ostdeutschen Frauenmagazins „Sybille“ in der Friedrichstraße schleichen, für das er zu jener Zeit Fotos schoss. Das Regime hatte ihm ein “Mitte-Verbot“ auferlegt, Punks und andere Exoten waren im Stadtzentrum unerwünscht. Die DDR habe er trotzdem nicht verlassen wollen, sagt Marquardt. Schließlich sei sie seine Heimat gewesen, der Ort, an dem die Freunde lebten und an dem er sich zu Hause fühlte. Zweimal sei er auf Dienstreise in West-Berlin gewesen, da hätte sich eine Republikflucht durchaus angeboten. Dass er es nicht tat, sei eine emotionale Entscheidung gewesen: „Ich stand auf der anderen Seite der Mauer und habe auf einem dieser Aussichtstürme nach drüben geschaut. Da kam ich mir total bescheuert vor. Und vielleicht hat mir auch ein Stück weit der Mut gefehlt. Denn durch das Transitverbot wäre ich zumindest für eine Weile im anderen Teil der Stadt eingesperrt gewesen.“
Dass er seiner Jugend in der DDR viel Schönes abgewinnen kann, daraus macht Sven Marquardt keinen Hehl: „Auch wenn es eine Diktatur war, war man auf eine andere Art frei. Man nahm sich die Freiheit, die man wollte. Nicht gerade ein unpolitischer Akt, auch wenn wir keine Revoluzzer im eigentlichen Sinn waren.“
Ein neues Leben
Dass sich seine verschiedenen Rollen und Tätigkeiten in den letzten Jahren widersprechen, glaubt Marquardt nicht: “Ich habe natürlich unterschiedliche Dinge gemacht, aber es gibt auch immer wieder Schnittstellen, die die verschiedenen Berufe miteinander verbinden. Der Job als Türsteher erdet mich. Wenn ich viel Zeit auf Vernissagen verbracht habe, möchte ich zurück zu meinen Kollegen, zurück ins Berghain.“
„Als ich mir meine Ausgabe von ‘Die Nacht ist Leben‘ signieren ließ, habe ich Marquardt darum gebeten, ein Wort aufzuschreiben, das er mit meinem Äußeren assoziiere. Gerade so, als ob er über meinen Einlass ins Berghain entscheiden würde. Er lachte etwas verlegen. Dann antwortete er: “Ich bin heute nicht als Türsteher hier“, schrieb “Für Robin“ auf die erste Seite und setzte seine Unterschrift darunter. Schade eigentlich. “Muttersöhnchen“ hätte ich viel lustiger gefunden.“