Buchpräsentation in Mitte

Mehr als ein Berghaini

Sven Marquardt hat am Donnerstagabend seine Autobiographie vorgestellt.
Sven Marquardt hat am Donnerstagabend seine Autobiographie vorgestellt. Zur Foto-Galerie
Invalidenstraße - Am Donnerstagabend hat Sven Marquardt in der Villa Elisabeth seine Autobiographie vorgestellt. Zusammen mit der Journalistin und Ghostwriterin Judka Strittmatter entstand in den letzten zwei Jahren ein 200 Seiten dickes Buch über die Stationen seines Lebens, das von einer Punk-Existenz in Ost-Berlin bis hin zu seinem Job als Türsteher im Berghain reicht. Vorgelesen wurde auch. Aber vor allem hat Marquardt erzählt.

Die Zeit mit Marquardt sei sehr intensiv gewesen, sagt Strittmatter. Ihre gemeinsame Ost-Vergangenheit habe ihr dabei geholfen, seine Geschichten besser verstehen und aufschreiben zu können. Trotzdem hätten sie sich bis zum Ende ihrer Zusammenarbeit gesiezt, um eine Form von Distanz zu bewahren. Während winterlicher Spaziergänge durch den Prenzlauer Berg und langen Abenden in ihrer Küche hat Strittmatter die Lebensgeschichte des ominösen Türstehers dokumentiert, es entstand die Autobiographie „Die Nacht ist Leben“, die Marquardts Arbeit als Fotograf und Club-Pförtner beleuchtet, insbesondere jedoch seine Jugend in der DDR in den Fokus rückt.

Als Punk in der DDR

Sven Marquardt während der Lesung (c) Robin Klapprodt
Strittmatter liest das erste Kapitel des Buchs. Es handelt vom Erwachsenwerden eines jungen Mannes in Ost-Berlin, genauer im Prenzlauer Berg, jenem Ort im Arbeiter- und Bauerstaat, an dem in den 80er Jahren eine Subkultur entstand. Die Punks in der DDR wurden beeinflusst von der Jugend im Westen, von Bands wie den Sex Pistols, den Stooges oder The Clash. Marquardt betont jedoch, dass sie gleichzeitig eine logische Antwort auf das System im Osten waren: „Wir wollten nicht in der grauen Masse verschwinden, so wie es die anderen taten. Wir machten die Nächte durch, gingen keiner geregelten Arbeit nach, und überhaupt: Was hätte uns Geld in diesem Land denn gebracht? Jahre lang auf ein hässliches Auto sparen? Irgendwann einen Urlaub am Schwarzen Meer machen? So wie wir aussahen, wären wir da eh nicht hingekommen. Die hätten uns schon an der Grenze zur Tschechoslowakei gefilzt und zurückgeschickt.“ Marquardt und seine Freunde wollten vor allem für sich sein, sich frei fühlen und der Hierarchie des kommunistischen Systems entsagen, was in einer Diktatur schon einer Art Revolution gleichkomme, wie der Autor hinzufügt.

Durch seinen Lebensstil hatte Marquardt in den 80er Jahren mit allerhand Einschränkungen zu kämpfen. Er musste sich z.B. in die Redaktion des ostdeutschen Frauenmagazins „Sybille“ in der Friedrichstraße schleichen, für das er zu jener Zeit Fotos schoss. Das Regime hatte ihm ein “Mitte-Verbot“ auferlegt, Punks und andere Exoten waren im Stadtzentrum unerwünscht. Die DDR habe er trotzdem nicht verlassen wollen, sagt Marquardt. Schließlich sei sie seine Heimat gewesen, der Ort, an dem die Freunde lebten und an dem er sich zu Hause fühlte. Zweimal sei er auf Dienstreise in West-Berlin gewesen, da hätte sich eine Republikflucht durchaus angeboten. Dass er es nicht tat, sei eine emotionale Entscheidung gewesen: „Ich stand auf der anderen Seite der Mauer und habe auf einem dieser Aussichtstürme nach drüben geschaut. Da kam ich mir total bescheuert vor. Und vielleicht hat mir auch ein Stück weit der Mut gefehlt. Denn durch das Transitverbot wäre ich zumindest für eine Weile im anderen Teil der Stadt eingesperrt gewesen.“
Dass er seiner Jugend in der DDR viel Schönes abgewinnen kann, daraus macht Sven Marquardt keinen Hehl: „Auch wenn es eine Diktatur war, war man auf eine andere Art frei. Man nahm sich die Freiheit, die man wollte. Nicht gerade ein unpolitischer Akt, auch wenn wir keine Revoluzzer im eigentlichen Sinn waren.“

Ein neues Leben

Marquardt signiert sein Buch. (c) Robin Klapprodt
Nach der Wende zog sich Marquardt zunächst aus der Fotografie zurück. Seine Arbeiten waren im wiedervereinigten Deutschland kaum nachgefragt. Er erwarb einen Job als Türsteher im Club Ostgut, dem Vorläufer des Berghains und erlangte durch die zunehmende Popularität der Diskothek und seine rigiden Auswahlkriterien gegenüber Schlange stehenden Partygästen schnell überregionale Bekanntheit. Nach einer Weile begann er wieder zu fotografieren und veröffentlichte 2010 einen Bildband, in dem seine zwischen 1984 bis 2009 entstandenen Werke abgedruckt sind. Bei den Fotos handelt es sich vornehmlich um schwarzweiße Aktfotografien und Porträtaufnahmen mit teils verstörender Wirkung.
Dass sich seine verschiedenen Rollen und Tätigkeiten in den letzten Jahren widersprechen, glaubt Marquardt nicht: “Ich habe natürlich unterschiedliche Dinge gemacht, aber es gibt auch immer wieder Schnittstellen, die die verschiedenen Berufe miteinander verbinden. Der Job als Türsteher erdet mich. Wenn ich viel Zeit auf Vernissagen verbracht habe, möchte ich zurück zu meinen Kollegen, zurück ins Berghain.“

„Als ich mir meine Ausgabe von ‘Die Nacht ist Leben‘ signieren ließ, habe ich Marquardt darum gebeten, ein Wort aufzuschreiben, das er mit meinem Äußeren assoziiere. Gerade so, als ob er über meinen Einlass ins Berghain entscheiden würde. Er lachte etwas verlegen. Dann antwortete er: “Ich bin heute nicht als Türsteher hier“, schrieb “Für Robin“ auf die erste Seite und setzte seine Unterschrift darunter. Schade eigentlich. “Muttersöhnchen“ hätte ich viel lustiger gefunden.“

Foto Galerie

Villa Elisabeth, Invalidenstr. 4 a, 10115 Berlin

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