Der Schäfer aus Wandlitz steht im Stau. Centermanager Peter Schönbrunn schaut auf die Uhr, telefoniert. Noch eine halbe Stunde bis zur Ankunft der biologischen Unkrautvernichter. Die Aktion wird seit einem halben Jahr akribisch vorbereitet. Veterinäramt und Bauaufsicht sind eingeschaltet. Die Testschafe dürfen auf keinen Fall vom begrünten Dach stürzen, 30 Meter in die Tiefe, das wäre ein PR-Gau für das Shoppingcenter Wilmersdorfer Arkaden an der gleichnamigen Straße.
Der Schäfer fährt in einem rostigen Kleintransporter vor. Kameras und Smartphones sind aktiviert. Ein beglückter Aufschrei bei den Damen von der Marketing-Agentur. „Er sieht wirklich aus wie ein Schäfer“. Schwarzer Mantel, gegerbtes Gesicht, Lederhut. Perfektes Outfit. Dann treten die Schafe Puppi und Nella auf, Vertreterinnen der Rasse Scottish Black Face. Sie schauen verängstigt, ein kurzes Blöken in Richtung Presse. Dann werden sie an der Leine ins Center geführt, um die erste Fahrstuhlfahrt ihres Lebens anzutreten.
Schafe sollen Schule machen
Puppi und Nella sind die ersten Berliner Dachschafe. Sie sollen für Ordnung in der wild wuchernden Flachdach-Botanik sorgen. Dort verdrängen Klee, Löwenzahn und Schachtelhalme die Bepflanzung mit anspruchslosen Sedumgewächsen. Die Firma „Biologischer Pflanzenschutz“ hat sich die Beweidung ausgedacht. Das Pilotprojekt soll Schule machen in Berlin.
Für die Schafe ist ein Bereich mit hohen Bauzäunen abgesteckt. Zur behördlich verlangten Unfallprävention. Der Schäfer hatte zwar erklärt, seine Tiere würden nicht über das niedrigere Geländer in den Tod springen. Aber die Bauaufsicht blieb hartnäckig. In der Eingewöhnungsphase werden die Schafe abends vom Schäfer wieder abgeholt. Wenn alles gut läuft, sollen drei Schafe regelmäßig auf der 10.000 Quadratmeter großen Flachdachfläche weiden.
Nebenan summen die Dachbienen
Warum man nicht früher auf die naheliegende Idee kam, Schafe auf die Dachalm zu treiben, konnte niemand beantworten. Wahrscheinlich war die Zeit bisher nicht reif dafür. Bienen bevölkern inzwischen zu Millionen die Dächer der Stadt. Auch auf den Wilmersdorfer Arkaden leben seit kurzem vier Bienenvölker. Das Stadtgrün sei viel gesünder als die mit Insektiziden behandelten Monokulturen auf dem Land, sagt Schönbrunn. Bienen und Schafe fügen sich perfekt in den gefeierten Trend um Urban Gardening und Urban Farming.
Karl-Heinz Freitag, Schäfer seit 1965, hält sich von solchen Anglizismen fern. „Aus weidetechnischen Gründen brauche ich das hier nicht.“ Warum er trotzdem mitmacht, behält er lieber für sich. Einen kleinen Unterstand sollen die Schafe noch bekommen. Und eine automatische Wassertränke. Auf der neuen Weide machen sich die verdienten Mutterschafe sofort über den Klee her. Das Pilotprojekt beginnt vielversprechend.
Die Marketing-Damen sind hellauf begeistert von der Aktion. Da sei noch viel Potenzial zur Kundenbindung. Man könnte Schulklassen und Kitagruppen herumführen. Im nächsten Jahr will Schönbrunn seinen ersten Arkaden-Honig ernten, vielleicht ließen sich ja auch bald Wollpullover von den hauseigenen Schafen herstellen. Ein Biobauernhof direkt über der glitzernden Shoppingmall, ein Sinnbild für die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie.
Aber soweit ist man noch nicht. Erst mal müssen die Schafe über den Herbst kommen. Unfallfrei.