Der Andrang ist noch größer als sonst. Zweifelnd blickte Köchin June Marie Dennis in einen der Töpfe und schickt einen der Mitarbeiter zum nächsten Laden: „Das reicht höchstens noch eine Stunde.“ Immer mehr Menschen versammeln sich in der Begegnungsstätte in der Falckensteinstraße, die an diesem Samstag ein „kostenloses vegetarisches Abendessen“ anbietet.
Viele Gäste geraten zufällig in den Speisesaal, die vielen Menschen haben sie aufmerksam werden lassen. Einer der Hereingeschneiten ist ein Mann mit Nasenpiercing.
Passanten wundern sich, werfen einen neugierigen Blick hinein. Die Verwunderung wächst, wenn sie dann drinnen freundlich aufgefordert werden, doch einfach Platz zu nehmen. „Warum macht ihr das?“, erkundigt er sich verwundert. „Einfach so“, erwidert der freundliche Kellner, den ein Schild an der Jacke als Pawel ausweist. Als sich der Gast nachhakt, beginnt Pawel, das Prinzip des kostenlosen Essens zu erläutern.
Ein Gastro-Tipp für Menschen mit und ohne Geld
Seit etwas mehr als zwei Jahren wendet sich „Veggie Dinner for the Homeless“ mit einem gemeinsamen Gratis-Essen an Bedürftige in der Hauptstadt. Doch auch Touristen, Kiezbewohner und Bauarbeiter sind zu den Veranstaltungen eingeladen. Man möchte Menschen zusammenbringen, die sich sonst vielleicht nicht kennengelernt hätten. Wer es sich leisten kann, revanchiert sich meist mit einer Spende. „Die, die Geld haben, bezahlen mehr, so dass andere, die kein Geld haben, auch essen können“, erklärt Pawel das Konzept des Kroaten Dario Adamic.
Die Rezepte entwirft Köchin June Marie. Die fünf verschiedenen Gerichte des Menüs – eine Suppe, zwei Hauptspeisen und drei Desserts – entspringen diesmal vier unterschiedlichen Landesküchen. Die einzelnen Zutaten stammen aus dem Großhandel. Es sind Produkte, die die übrigen Kunden trotz ihrer Qualität nicht mehr zufrieden stellen und normalerweise in den Müll geschmissen werden.
Aus diesen Lebensmitteln und kleineren Einkäufen im Wert von weniger als 100 Euro zaubert June Marie ein Essen für 200 Gäste. Die 31-jährige Köchin sieht es gelassen: „Wer für 20 Leute kochen kann, schafft das auch für 200.“ Gemeinsam mit Adamic koordiniert sie den Einsatz von 25 freiwilligen Helfern. Sie arbeiten als Kellner, Suppen-Schöpfer oder Hilfs-Köche.
Im Einsatz für die gute Sache
Auch Adamic selbst legt ordentlich Hand an. Er begrüßt die Gäste, organisiert den Schichtplan und steht Rede und Antwort für verbliebene Fragen. „Wenn wir um Mitternacht zumachen, sind wir alle immer todmüde“, berichtet der 42-jährige Teilzeit-Küchenchef. Doch mit der Hilfe für andere verbringe er gerne seine freien Stunden: „Ich denke mir immer: Ich könnte einer von ihnen sein. Und dann wäre ich froh, jemand würde so etwas für mich tun.“
Die übrigen Helfer sehen es ähnlich: Monatlich melden sich so viele Freiwillige an, dass Adamic nicht alle einsetzen kann. Von dem Erfolg seiner Idee ist er selbst überrascht. Bald wird aus dem Veggie Dinner ein eingetragener Verein.
Nur bei der Vernetzung hapert es noch. Obdachlose können sich nicht via Facebook über bevorstehende Veranstaltungen informieren. Mit Flyern versuchen Adamic und seine Helfer soziale Einrichtungen und Obdachlosen-Treffs zu erreichen. Und irgendwie scheint es auch so zu funktionieren. Die Hälfte seiner Gäste kennt Adamic bereits von vergangenen Menüs.
Monatliches Stelldichein
Die Rentnerin Rosemarie gehört nicht dazu. Sie ist zum ersten Mal beim Veggie Dinner. „Das ist mal was anderes als die Weihnachtsfeier bei Frank Zander“, freut sie sich. Und öfter kann man es auch besuchen. An einem Samstag im Monat zwischen 18 und 23 Uhr führt das gemeinsame Essen Menschen aus allen Teilen der Welt zusammen.
Auch der Wilmersdorfer Andrej Goduljan ist von dem Konzept überzeugt: „Hier sitzt man am selben Tisch mit Leuten, an denen man sonst vorbeiläuft.“ Die Speisen würden dabei fast eine Nebenrolle spielen, so der Filmemacher. Manchmal vergesse er vor lauter Geschichten sogar das Essen.
Am 11. August findet das nächste „Veggie Dinner for the Homeless“ in der Falckensteinstraße 6 statt. Mehr Infos gibt es bei Facebook.