Berühmt ist und bleibt Irving Penn für seine Mode-Fotografien in der Zeitschrift Vogue: Bereits im ersten Jahr durfte er unter Leitung Alexander Libermanns, der Penn nach seinem Scheitern als Maler auch zur Fotografie brachte, sein erstes Cover fotografieren. Seine ersten fotografischen Versuche waren jedoch nicht Fotomodelle, sondern verschiedene Stillleben – eine künstlerische Gattung, die ihn ein Leben lang begleiten und faszinieren sollte. Penn verstand diese Kunstform als Emulsion verschiedener Elemente, in der das einzelne Objekt durch die Komposition mit anderen seine Bedeutung verändert.
Am Anfang bestanden seine Motive noch aus klassischen Szenen, wie etwa einem Tafel-Arrangement aus Karaffe, Trauben, Wein und Brot. In seinen späteren Lebensjahren waren es dann alte Gebrauchsgegenstände wie ein zerlöcherter Handschuh oder eine Zigarettenschachtel, die Penn als Stillleben verewigte. Denn der Fotograf sammelte gerne die abstrusesten Dinge – in einem Sammlerverein wäre er wohl zeitlebens das einzige Mitglied geblieben: eine ganze Serie Penns dreht sich um alte Zigarettenstummel, die er fleißig aufklaubte und in Kunst verwandelte. Und das, obwohl er selbst vehementer Gegner des Rauchens war und Mitglied einer Organisation gegen Krebs. Sein bester Freund Alexej Brodovitch starb an Lungenkrebs. Doch in diesen Zigaretten-Bildern vereinigen sich große Schönheit, großer Verfall und Tod in einzigartiger Weise.
Penn drängte die Promis in die Ecke
Von Schönheit hatte Penn ganz eigene Vorstellungen: Zwar sah er die hübschesten Frauen der Welt vor der Linse – Audrey Hepburn, Coco Chanel und viele andere verewigte er in faszinierenden Porträts. In seiner ersten Porträtserie mussten sich Berühmtheiten wie Hitchcock oder Capote aber in eine graue Ecke zwängen. Warum? Penn wollte durch die räumliche Begrenzung Intimität und Nähe herausarbeiten. Sein Ziel war es, die Schranke der Selbstdarstellung zu durchdringen und einen tieferen Ausdruck offenzulegen.
Anfangs waren seine Fotomodelle empört von dieser hässlichen Darstellungsweise, später, als Penn berühmt war, wollte auf einmal jeder so abgebildet werden. Picasso jedoch war eine Ausnahme. Penn konnte den berühmten Künstler nur fotografieren, weil sein Assistent über dessen Gartentor kletterte. Picasso gab dem Fotografen schließlich fünf Minuten Zeit für ein Foto und posierte in übertrieben grotesker Haltung auf einem Stuhl. Doch Irving Penn ignorierte die ironische Haltung, fokussierte nur Picassos weit aufgerissenes Auge und offenbarte damit viel mehr, als der Künstler wahrscheinlich preisgeben wollte.
Penn brach mit seiner Fotografie die gesellschaftlichen Grenzen des Aussehens und sozialer Klassen auf, was zur damaligen Zeit revolutionär war: In seinem Studio trafen einfache Arbeiter, ausgestellt in der Serie The Small Trades, auf Topmodels und waren dort absolut gleich. Nun, vielleicht nicht alle: Schließlich verliebte sich Penn am Set in ein ganz besonderes Model, das auch als das erste Supermodel bezeichnet wird: Lisa Fonssagrives. Er selbst war übrigens eher schüchtern: Viele vermuten, dass gerade die Kamera ihm geholfen hatte, die Welt zu entdecken und eine Verbindung zu seinen Mitmenschen einzugehen.
Penns Auftrag war es also, mehrere schöne Fotomodelle auf einem Bild zu verewigen. Sie alle buhlten um die Aufmerksamkeit des Fotografen – bis auf eine: Die Schwedin Lisa Fonssagrives blickt auf dem Bild als einzige demonstrativ von der Linse weg. Was dann folgte, war eine große Liebesgeschichte: Kaum ein Jahr darauf heirateten die beiden und blieben bis zu ihrem Tod zusammen. Ihr Leben lang war Penns Ehefrau seine Muse und auch sein Fotomodell, auch wenn sie ihre Karriere mit der Hochzeit aufgab. So wusste Penn Schönheit also durchaus zu würdigen – doch er sah sie auch da, wo sie anderen Augen verborgen blieb: im Hässlichen und im Alltäglichen.
Die Schönheit im Verborgenen
Ein Motiv, das dem Fotografen erst von der Vogue „aufgezwungen“ wurde und ihn später sehr faszinierte, waren Blumen. Allerdings fotografierte Penn sie nicht in voller Blüte, sondern erst beim Verwelken: So entstanden Bilder fragiler Zerbrechlichkeit und einzigartiger morbider Schönheit. Auch Penns Aktserie entspricht nicht unbedingt den heutigen Ästhetik-Kriterien: Statt glatter, junger Haut lösen sich in Penns Bildern feste Konturen auf, die Formen rutschen in- und übereinander und erschaffen neue Landschaften. Ein bisschen erinnert das an Edvard Munchs verzerrte Malereien: Große Hängebrüste fallen über runde Bäuche, füllige Hintern nehmen das komplette Bild ein und Hautfalten schieben sich stolz übereinander.
„Ich hatte immer große Ehrfurcht vor der Kamera. Ich erkenne sie als das an, was sie ist: halb Stradivari, halb Skalpell“, wird Penn in der Ausstellung zitiert. Wo andere mit Kameras nur Fotos machten, schuf er Objekte. Ein späteres Faszinosum Penns waren anthropogene Stämme: So gibt es eine großartige Fotografie-Reihe aus dem peruanischen Lima im Jahr 1948, in der er die Tracht der Einwohner abbildet. Auch in Neu-Guinea (1967) und Marokko (1971) fotografierte er die verschiedenen Stämme – allerdings immer in Schwarz-Weiß, was gerade angesichts der Farbenfrohheit der kulturellen Trachten verwundert. Doch Penn hielt zeitlebens nicht viel von Farbfotografie. Wer ein bisschen Penn-Feeling nach Hause mitnehmen möchte, hat Glück: Das Museum hat eine eigene graue Foto-Ecke à la Irving Penn eingerichtet, bei der sich Besucher gegenseitig im gleichen Stil wie andere Berühmtheiten verewigen lassen kann.
Die Ausstellung „Irving Penn. Centennial“ läuft noch bis 1. Juli im C/O Berlin.